Verliebt auf eigene Gefahr

Das ist eine Liebesgeschichte. Aber wieso verlieben auf eigene Gefahr? Und wer verliebt sich da überhaupt in wen? Die eine Hauptperson ist Johannes, einer von der Denkmalpflege, der, obwohl noch recht jung, schon einiges im Leben durchgemacht hat – auch mit Frauen. Deswegen ist er vorsichtig. Doch als er einfach nur gemütlich auf einer Parkbank sitzt, passiert vielleicht schon wieder was: Manchmal, an besonders schönen Nachmittagen, trappelt eine Kindergruppe den Hauptweg entlang, lauter dralle kleine Gören, einheimische zweifellos, zu gesund, um aus dem Kinderkurheim zu sein. Sie tragen Schaufeln, bunte Eimer und Bälle in Netzen, damit haben sie am... alles anzeigen expand_more

Das ist eine Liebesgeschichte. Aber wieso verlieben auf eigene Gefahr? Und wer verliebt sich da überhaupt in wen? Die eine Hauptperson ist Johannes, einer von der Denkmalpflege, der, obwohl noch recht jung, schon einiges im Leben durchgemacht hat – auch mit Frauen. Deswegen ist er vorsichtig.

Doch als er einfach nur gemütlich auf einer Parkbank sitzt, passiert vielleicht schon wieder was: Manchmal, an besonders schönen Nachmittagen, trappelt eine Kindergruppe den Hauptweg entlang, lauter dralle kleine Gören, einheimische zweifellos, zu gesund, um aus dem Kinderkurheim zu sein. Sie tragen Schaufeln, bunte Eimer und Bälle in Netzen, damit haben sie am Strand gespielt. Es gibt in der Nähe einen Kindergarten, und dorthin gehen sie nun zurück, immer zwei und zwei. Sie lärmen nicht, sie sprechen ganz leise miteinander und schauen die Kurgäste, auch Johannes, mit einem Ausdruck von ernsthafter Besorgnis an.

Als er die Kinder zum ersten Mal sah, war er befremdet, und er nahm die dazugehörende Aufsichtsperson argwöhnisch in Augenschein. Er musste an Heiner denken, seinen Kleinen, dem er manchmal zugezwinkert hat. Der Junge, von Grit wegen einer Ungeschicklichkeit getadelt, saß am Tisch, und die Freude am Essen war ihm vergangen. Er hob den Blick zu seinem Vater, und Johannes zwinkerte ihm zu.

Wenn jetzt die Kinder kommen, nimmt er die Sonnenbrille ab und zwinkert. Sie lachen und sagen was zu ihrer Erzieherin. Die, während sie leise auf die Fragen der Kinder antwortet, sieht ihn an und lächelt. Vielleicht bildet sie sich ein, er sucht Kontakt zu ihr über die Kinder. Er setzt die Sonnenbrille wieder auf.

Eines Tages aber steuert die Aufsichtsperson auf ihn zu.

„Entschuldigen Sie bitte“, fängt sie an, „ich habe eine Frage.“

Sie steht vor ihm in ihrem verwaschenen, durchgeknöpften Jeanskleid, in den flachen Sandalen, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt. Er bleibt sitzen, unhöflich, wie ihm wohl bewusst ist, und ohne das geringste Entgegenkommen.

„Oder vielmehr, die Kinder haben eine Frage“, fährt sie unbeirrt fort. „Die Kinder möchten wissen, ob Sie aus Kuba sind.“

Er wendet sich den Kindern zu. Sie umringen seine Bank. Er sieht in die runden Gesichter, in die blanken, neugierigen Augen, und nimmt die Brille ab.

„Aus Kuba“, fragt er, „warum?“

Die Aufsichtsperson erklärt ihm den Zusammenhang. Es gibt im Kindergarten ein Bilderbuch über Kuba, und manche Leute darin ähneln ihm. Deshalb fragen die Kinder jedes Mal.

Die Aufsichtsperson heißt übrigens Irene.



„Entschuldigen Sie bitte“, fängt sie an, „ich habe eine Frage.“

Sie steht vor ihm in ihrem verwaschenen, durchgeknöpften Jeanskleid, in den flachen Sandalen, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt. Er bleibt sitzen, unhöflich, wie ihm wohl bewusst ist, und ohne das geringste Entgegenkommen.

„Oder vielmehr, die Kinder haben eine Frage“, fährt sie unbeirrt fort. „Die Kinder möchten wissen, ob Sie aus Kuba sind.“

Er wendet sich den Kindern zu. Sie umringen seine Bank. Er sieht in die runden Gesichter, in die blanken, neugierigen Augen, und nimmt die Brille ab.

„Aus Kuba“, fragt er, „warum?“

Die Aufsichtsperson erklärt ihm den Zusammenhang. Es gibt im Kindergarten ein Bilderbuch über Kuba, und manche Leute darin ähneln ihm. Deshalb fragen die Kinder jedes Mal.

Er ärgert sich, weil sie die Kinder nicht selber antworten lässt. Er neigt sich vor zu einem lütten Bengel, der ihm die Hand aufs Knie gelegt hat.

„In Kuba sprechen die Menschen spanisch. Ich bin von hier, ich kann sogar Platt. Kannst du das auch?“

Der Junge schüttelt den Kopf. Die Kinder drängen sich näher heran.

„Mein Opa kann’s“, sagt eine Kleine. Sie ist neben ihm auf die Bank geklettert und beginnt zu singen: „Fieken hett schräben ut Hagenow …“

Johannes lacht. Er wünscht, die Kleine hätte von ihrem Opa die gängige Verballhornung dieses Liedes gelernt, nämlich „Fieken hett schäten in’t Haberstroh“. Da wär die Aufsichtsperson schön in Verlegenheit. Sie macht Anstalten, die Kinder wieder um sich zu scharen.

Der Junge sagt schnell noch: „Du hast aber ganz schwarze Haare und ganz schwarze Augen.“

„Ja, und du bist blond. Wenn wir alle gleich aussähen, wär’s langweilig, nicht?“

„Und warum bist du krank?“



Christa Grasmeyer wurde 1935 in Schwerin geboren. Sie arbeitete zunächst in verschiedenen Berufen, war Journalistin, Arztsekretärin, im Buchhandel tätig und als Sekretärin in einem Sportclub.

1975 veröffentlichte sie ihr erstes Buch, dann regelmäßig weitere Bücher, bis sich fünfzehn Jahre später ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen so grundlegend veränderten, dass sie das Schreiben aufgab und nur noch gelegentlich die eine oder andere Kurzgeschichte verfasste.

Christa Grasmeyers Bücher wenden sich vorwiegend an jugendliche Leser. Ihre Erzählungen handeln von der schwierigen Lebensphase der Jugendzeit, von Liebe und Freundschaft, von familiären Konflikten oder von Problemen bei der Berufsausbildung.

Christa Grasmeyer lebt in Schwerin, seit 1977 freischaffend.

Bibliografie:

Eva und der Tempelritter, Verlag Neues Leben, Berlin 1975 (Prag 1979, Warschau 1983, Budapest 1985)

Kapitän Corinna, Verlag Neues Leben, Berlin 1977

Der unerwünschte Dritte, Verlag Neues Leben, Berlin 1979 (Budapest 1988)

Ein Fingerhut voll Zuversicht, Verlag Neues Leben, Berlin 1980

Verliebt auf eigene Gefahr, Verlag Neues Leben, Berlin 1984

Aufforderung zum Tanz, Verlag Neues Leben, Berlin 1986

Friederike und ihr Kind, Verlag Neues Leben, Berlin 1988

Was hast du getan?, Kurzgeschichte in: "Wahnsinn", Verlag Otto Maier, Ravensburg 1990

Drei von draußen, Kurzgeschichte in: Hamburger Abendblatt 1996

Literarische Auslese "Weihnachtsveranstaltungen", Radius-Verlag, Stuttgart

May be - Kurzgeschichte, unveröffentlicht

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  • Artikelnummer SW9783956550355.1
  • Autor find_in_page Christa Grasmeyer
  • Autoreninformationen Christa Grasmeyer wurde 1935 in Schwerin geboren. Sie arbeitete… open_in_new Mehr erfahren
  • Wasserzeichen ja
  • Verlag find_in_page EDITION digital
  • Seitenzahl 218
  • Veröffentlichung 27.08.2014
  • ISBN 9783956550355

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