Hexenfeuer
Erzählung
Auch die leidenschaftlichste Liebschaft kann ein Leben nicht ausfüllen, wie es der junge Zimmermann Jan Scholz leben will. Wenn die Menschen seines Heimatdorfes gegen ihn stehen, wenn Großbaustellen mit lockenden Angeboten winken - er kann sich von seinem Dorf nicht trennen, denn es macht ihm allmählich Spaß, unbequem zu werden.
Joachim Nowotny erzählt die Geschichte des Zimmermanns Jan Scholz in starken poetischen Episoden, deren psychologische Ausleuchtung einen interessanten Einblick in die Welt junger Menschen gibt, die an ihrem Heimatdorf hängen und doch in die Stadt wollen, die mit dem alten Brauch des Hexenfeuers verbrennen möchten, was ihrem Leben auf dem Lande entgegensteht, um bleiben zu können, wo sie aufgewachsen sind.
Das spannende Buch erschien erstmals 1965 im Mitteldeutschen Verlag Halle/Saale.
Der Buchhalter zuckt zusammen.
„Sehr wohl, Genosse Oberleutnant“, dienert er. „Das ist alles leicht zu erklären. Hubalek sprach von einem gewissen Johann Scholz, bei uns Scholz-Teifel genannt. Man weiß, dass er kürzlich aus dem Zuchthaus entlassen worden ist. Seinerzeit wurde er auf Veranlassung des Vorstandes festgenommen. Diebstahl am privaten und genossenschaftlichen Eigentum, Sie verstehen ... Der Schäfer vermutet nun ganz logisch, dass sich dieser Scholz rächen wollte. Damit wäre der Brand erklärt. Um so mehr, als die fragliche Person heute früh in der Heide beobachtet wurde. Auch von Hubalek, verstehen Sie? Er hütete draußen eine Herde und ...“
„Zur Sache!“, drängt der eine Polizist.
„Zur Sache, ja!“ Wenke leckt sich die Fingerspitzen. „Der Zimmermann hier ist der Sohn des genannten Scholz-Teifel. Seine Mutter starb bei der Geburt. Er kam zu Leuten in Pflege. Seit vier Jahren hat er eine Kammer beim Vorsitzenden Jento. Der eigentliche Vater kümmerte sich nicht um ihn, müssen Sie wissen. Er trieb sich in der Gegend herum, falls er nicht gerade im Knast, äh, Zuchthaus saß. Ein a-so-zi-a-Ies Element, wenn das richtig ist.“
„Es ist richtig!“, bestätigt der Polizist. Er klopft ungeduldig mit dem Bleistiftrücken auf den Tisch.
Wenke aber hebt die Schultern.
„Mehr kann ich leider nicht ...“
„Eben sagten Sie aber, es sei alles leicht zu erklären.“
„Sie erlauben?“
Wenke setzt sich auf den vorderen Stuhlrand. Das ist ein Kunststück bei seinen Speckhüften. Aber er schafft es. Was der Mensch so alles zuwege bringt, wenn er Eindruck schinden will.
„Bis hierher lässt sich alles bezeugen. Jeder im Dorf könnte es. Jetzt aber bewege ich mich gewissermaßen in Vermutungen.“
Da sein Blick zu meinen Fäusten hinwandert, kann ich für einen Moment seine Augen sehen. Sie sind tief unter gelblichen Fettpolstern verborgen und flackern wie Reisigfeuer.
„Es könnt’ sein“, beginnt er zögernd, „es könnt’ sein, dass doch eine geheime Verbindung zwischen Vater und Sohn besteht. Bisher hat es den Zimmermann immer kalt gelassen, wenn irgendwo in seiner Gegenwart von den Schandtaten Johanns gesprochen wurde. Deshalb nahm sich der Schäfer auch heut kein Blatt vor den Mund. Niemand hatte damit gerechnet, dass der Junge plötzlich aus der Haut fährt und seinen Vater gewissermaßen mit Faustschlägen verteidigt. Niemand, meine Herren!“
Ich bin jetzt ganz ruhig. Mittlerweile habe ich begriffen, was da für ein Gerüst zusammengezimmert werden soll. Man muss nur kräftig mit dem Fuß dagegen treten, und schon bricht es in sich zusammen. Aber ich warte ab. Man ist kein Spielverderber. Mal sehen, was sie noch alles auskramen. Ist dann ein Aufwasch!
Der Polizist legt den Bleistift wieder aufs Papier und pfeift plötzlich durch die Zähne.
„Hui!"
Doch der Zivilist lässt ihn nicht zu Wort kommen.
„Haben Sie eine Erklärung für Ihr Verhalten?", fragt er mit eingefrorener Miene. Es sieht aus, als wäre Reif auf eine Pfingstrose gefallen.
„Nein“, sage ich. Ich habe tatsächlich keine Erklärung. Es ist über mich gekommen, vorhin in der Gaststube. Manchmal zuckt es mir in den Fingern. In einer Tour muss ich sie zur Faust ballen. Eine Fliege kann mich dann zur Raserei bringen. So geht es schon Jahre ...
„Haben Sie sich mit Ihrem, hm, Vater, getroffen?"
„Ja“, sage ich patzig. „Gestern Abend beim Mondschein. Er wollte das ganze Dorf abfeuern.“ Und die Kreisstadt auch, weil er dort gesessen hat. Am meisten war er auf eine gewisse Villa in der Bahnhofstraße scharf.“
Buchhalter Wenke staunt.
„Wieso ...?“
„Ach“, sage ich, „das ist ganz einfach. Leute in Zivil und Uniform, die andauernd blödsinnige Fragen stellen, kann er nicht riechen. Deshalb ...“
Joachim Nowotny entstammt einer Arbeiterfamilie. Er absolvierte eine Lehre als Zimmermann und arbeitete in diesem Beruf. 1954 legte er an einer Arbeiter-und-Bauern-Fakultät die Reifeprüfung ab und studierte anschließend bis 1958 Germanistik an der Universität Leipzig. Nach Abschluss des Studiums arbeitete er als Verlagslektor. Seit 1962 lebt er als freier Schriftsteller in Leipzig. Von 1967 bis 1982 wirkte er als Dozent am dortigen Literaturinstitut Johannes R. Becher.
Joachim Nowotny ist Verfasser von Erzählungen, Romanen, Hör- und Fernsehspielen. Den Schwerpunkt seines Werkes bilden Kinder- und Jugendbücher; thematisch ist er eng mit seiner Heimatregion, der Lausitz, verbunden. Nowotny behandelte als einer der ersten DDR-Autoren am Beispiel des Lausitzer Braunkohle-Tagebaus Themen wie Landschafts- und Umweltzerstörung.
Joachim Nowotny ist seit 1990 Mitglied des Verbands Deutscher Schriftsteller.
Auszeichnungen:
1971 Alex-Wedding-Preis,
1977 Heinrich-Mann-Preis
1979 Nationalpreis der DDR (II. Klasse für Kunst und Literatur)
1986 Kunstpreis des FDGB.
Bibliografie (Auswahl)
Hochwasser im Dorf, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1963
Jagd in Kaupitz, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1964
Hexenfeuer, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1965
Jakob läßt mich sitzen, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1965
Labyrinth ohne Schrecken, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1967
Der Riese im Paradies, Der Kinderbuchverlag, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1969
Sonntag unter Leuten, Mitteldeutscher Verlag, Halle (S.) 1971
Ein gewisser Robel, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1976
Die Gudrunsage, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1976
Ein seltener Fall von Liebe, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1978
Abschiedsdisco, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1981
Letzter Auftritt der Komparsen, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1981
Die Äpfel der Jugend, Aufbau Verlag, Berlin 1983
Ein Lächeln für Zacharias, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1983
Der erfundene Traum und andere Geschichten, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1984
Schäfers Stunde, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1985
Der Popanz, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1986
Wo der Wassermann wohnt, Domowina Verlag, Bautzen 1988 (zusammen mit Gerald Große)
Adebar und Kunigunde, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1990
Als ich Gundas Löwe war, Faber & Faber, Leipzig 2001
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- Artikel-Nr.: SW9783863941451.1