Ungesagtem lauschen

Aus dem Tagebuch der Jahre 2000 bis 2012

Diesen Erinnerungen hat der Autor in einer Vorbemerkung eine Berufung auf ein Wort von Alexander von Humboldt von „dem Selbstbeobachteten, dem Selbsterlebten“ vorangestellt. Und genau darum geht es in diesen hier zum ersten Mal veröffentlichten persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen, die zur Wende von 1989/1990 hinführen, von ihr herkommen und heutige Umstände zeigen zur Zeit der Erstveröffentlichung im Jahre 2005. Gelegentlich habe er dafür die Form des Gestern und Heute verbindenden Essays gewählt, so der Autor. Erklärtes Ziel dieser 50 Textseiten von Uwe Berger ist es, „ein Licht auf deutsche Irrwege und Wege in unserer... alles anzeigen expand_more

Diesen Erinnerungen hat der Autor in einer Vorbemerkung eine Berufung auf ein Wort von Alexander von Humboldt von „dem Selbstbeobachteten, dem Selbsterlebten“ vorangestellt. Und genau darum geht es in diesen hier zum ersten Mal veröffentlichten persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen, die zur Wende von 1989/1990 hinführen, von ihr herkommen und heutige Umstände zeigen zur Zeit der Erstveröffentlichung im Jahre 2005. Gelegentlich habe er dafür die Form des Gestern und Heute verbindenden Essays gewählt, so der Autor. Erklärtes Ziel dieser 50 Textseiten von Uwe Berger ist es, „ein Licht auf deutsche Irrwege und Wege in unserer Zeit zu werfen und anderen zu helfen, sich zurechtzufinden“.

Und so reichen diese sehr persönlichen und politischen Erinnerungen vom zweiten Weltkrieg, als der Vierzehnjährige 1943 als aus Berlin evakuiertes Kind erstmals polnischen Boden betrat und dort faschistisches Lagerleben kennenlernte, über eine viel spätere Reise mit einer DDR-Kulturdelegation nach Polen sowie über Begegnungen und die Freundschaft mit dem estnischen Schriftsteller, Filmemacher und Politiker Lennart Meri bis zu einem Volksfest im Verbannungsort des großen russischen Dichters Puschkin im Jahre 1971. Aber auch manch andere Erinnerung an Menschen und Zeiten kommt zur Sprache, die die Lage in der früheren DDR erhellen. Manchmal ist da auch von der Kritik am kleinkarierten Denken in DDR-Köpfen die Rede. Das gab es aber offenbar auch anderswo. Denn mit dem damaligen Botschafter der UdSSR in der Deutschen Demokratischen Republik, Wjatscheslaw Kotschemassow, verstand er sich offensichtlich nicht: „Wir hatten uns nichts zu sagen.“

Ein besonderes Stück deutscher und DDR-Geschichte – nicht zuletzt im Widersteit zwischen Anpassung und Abwendung von der sowjetischen Führung. Spannende Details von einem, der manchmal dicht dran war an der großen Politik des kleinen Landes. Und nicht zuletzt ist „Pfade hinaus“ eine spannende kulturelle Bildungsreise, die es anzutreten lohnt.



Bald standen wir vor den riesigen Schwungrädern dreier Schöpfmaschinen, die einst mit Dampfkraft Wasser aus dem Müggelsee und aus dem Grund geholt hatten. Ein Ingenieur aus England namens Henry Gill installierte sie 1893. Nicht weit davon erinnerte die rostige Stahlhülle einer Bombe, die nicht explodiert war, an andere Boten der britischen Inseln. Gewiss war der Bombenkrieg von Deutschland ausgegangen. Aber Wasser, auch wenn es Leben ist, hilft gegen Phosphorbomben wenig.

Der kleinen Lina erzählte ich, dass wir dummen Schüler anfangs solche ausgestellten Splitter von Bomben und Granaten als Trophäen gesammelt hatten. Angesichts von Tafeln zur Stadtentwässerung erzählte ich ihr von meiner intensiven Berührung mit Rieselfeldern. Bei Großziethen hatte die Flakbatterie gelegen, in der ich als Fünfzehnjähriger dienen musste. Da wir Flakhelfer mit den russischen Kriegsgefangenen in der Stellung Schnitzereien gegen Brot getauscht hatten, wurden wir bestraft. Der geschniegelte Batteriechef ließ es sich nicht nehmen, uns persönlich über die nahe gelegenen Rieselfelder zu hetzen. Er befahl uns, auf dem Bauch kriechend das übel riechende Wasser zu durchqueren, das auf den Äckern stand.

Einen Durchgang zum Müggelsee suchend, stießen wir später im Garten auf ein sonderbares Gebilde aus Stahlbeton, ein Schutztürmchen für ein bis drei Personen. Das granatenförmige Ding mit offener Klappe wirkte unheimlich und musste für Wachleute, die im Bombenhagel hineinkrochen, ein schrecklicher Aufenthaltsort gewesen sein. Unsere Vorstellung von angstvoller Enge verflog beim Anblick des Müggelsees, der sich bald darauf vor uns auftat, graublau und in der Sonne so schillernd, dass man das Wasser metallisch klirren zu hören meinte. Das gegenüberliegende Ufer war lückenlos bewaldet.

Hier erst wurde Lina munter. Wie aus finsterem Traum erwacht, plapperte sie los. Sie sprang mich an und wollte toben.

Zu Hause klagte die Kleine über Jucken an Arm und Bein. "Im Museum war ich abgelenkt", sagte sie. "Da hab ich nichts gemerkt." Der Mückenstich am Arm wurde von meiner Frau behandelt. Am Fuß vermuteten wir Pilz, weil Lina neuerdings mit Gleichaltrigen zum Schwimmen ging. Ich sah nach, fand aber die Haut unbeschädigt. Zur Vorbeugung rieb ich etwas Batrafen zwischen die unwahrscheinlich kleinen und zarten Zehen.



Uwe Berger wurde 1928 in Eschwege geboren. Seine Jugend verlebte er in Emden und Augsburg. Mit 15 Jahren war er Flakhelfer bei Berlin. Anfang 1945 meldete er sich, um nicht zur Waffen-SS gezogen zu

werden, freiwillig zur Kriegsmarine. Im selben Jahr wurde er vorzeitig aus britischer Gefangenschaft entlassen. Während seines Studiums in Berlin (Germanistik, Kunstwissenschaft) arbeitete er im Volk und Wissen Verlag. Bald darauf wurde er in den Aufbau-Verlag geholt. Wegen eines positiven Gutachtens zu Hanns Eisler („Johann Faustus") maßregelte ihn die SED. Ermutigt sah er sich von Friedrich Wolf und Jahre danach von dem Schriftsteller und späteren estnischen Staatspräsidenten Lennart Meri.

Literarisch bedeutsame Reisen nach Nordrussland (Nowgorod) und Mittelasien, nach Sibirien und anderen Ländern unternahm er mit seiner Frau und Gefährtin.

Er ist 2014 in Berlin verstorben.



Bibliografie

Lyrik und Prosa

Die Einwilligung. Sechs Erzählungen

Straße der Heimat. Gedichte

Der Dom in dir. Gedichte

Der Erde Herz. Gedichte

Hütten am Strom. Gedichte 1946-1961

Rote Sonne. Skizzen und Aufzeichnungen

Mittagsland. Gedichte. Aufbau-Verlag

Gesichter. Gedichte. Aufbau-Verlag

Die Chance der Lyrik. Aufsätze und Betrachtungen

Bilder der Verwandlung. Gedichte

Arbeitstage. Aus dem Tagebuch 1964-1972

Feuerstein. Gedichte. Auswahl und Nachwort von Armin Zeißler

Lächeln im Flug. Gedichte

Backsteintor und Spreewaldkahn. Märkische Landschaften

Nebelmeer und Wermutsteppe. Begegnungen

Zeitgericht (Gedichte 1946-1975)

Leise Worte. Gedichte

Der Schamanenstein. Menschen und Orte

Lächeln im Flug. Ausgewählte Gedichte (1946-1978; russisch)

Nur ein Augenblick. 99 Reiseskizzen

Auszug aus der Stille. Gedichte

Das Verhängnis oder Die Liebe des Paul Fleming (Roman)

Die Neigung. Roman

In deinen Augen dieses Widerscheinen. Gedichte

Woher und wohin. Aufsätze und Reden 1972-1984

Das Gespräch der Delphine. Tierverse

Weg in den Herbst

Traum des Orpheus. Liebesgedichte 1949-1984

Last und Leichtigkeit. Oden

Flammen oder Das Wort der Frau

Suche nach mehr. Roman. 1989-1991

Atem. Liebesgedichte und Grafiken

Räume. Verse und Bilder

Pfade hinaus

Wegworte. Gedichte und Zeichen

Kater-Vater. Sinngedichte

Den Granatapfel ehren, Hundert Gedichte 1946 - 1989

Du wirst sein. Gedichte und Zeichen

Vom Sinn. Nachlese

Ungesagtem lauschen. Aus dem Tagebuch der Jahre 2000 bis 2012

Suche nach mehr

Das Gespräch der Delfine und anderer Tiere

Ein Schiff fährt über Land. Ostfriesland und das Meer

weniger anzeigen expand_less
Weiterführende Links zu "Ungesagtem lauschen"

Versandkostenfreie Lieferung! (eBook-Download)

Als Sofort-Download verfügbar

eBook
6,99 €

  • SW9783863940041

Ein Blick ins Buch

Book2Look-Leseprobe

Andere kauften auch

Andere sahen sich auch an

info