Der zweite Mann
Rückblick auf Leben und Schreiben
Wolfgang Schreyer erinnert sich seiner literarischen Anfänge. Der Autor bekannter Erfolgstitel überrascht das Publikum jetzt mit der schwungvollen Schilderung seines eigenen Lebens.
Was wird aus dem Hitlerjungen von 1939? Ob im Elternhaus oder bei der Heimatflak, an der Front, in US-Gefangenschaft oder NKWD-Haft - auch an Albtraumorten treibt ihn der Wunsch, alles zu begreifen, was da geschieht, um es später stimmig zu erzählen. Magdeburgs Schwarzmarkt der 40er Jahre, das erste eigene Buch nebst Preisverleihung, Kämpfe mit der Zensur, Reisen nach Polen, in die Sowjetunion, nach Kuba, Portugal und in die USA: persönliche Dramen voller Anekdoten und exemplarischer Abenteuer. Aus mancher Begegnung oder Liebschaft, selbst aus dem Nachwende-Frust gewinnt Schreyer kostbare Erfahrung. Heute lockt es ihn mehr denn je, Menschen sichtbar zu machen - damit der Leser sich hier selbst wiederfindet: "...in Spiegelungen seiner eigenen Träume, Zweifel oder Ängste, so dass er all dem Großartigen, Komischen und Tragischen begegnet, aus dem, in wechselnder Mischung, unser Leben besteht."
Wo Hoch- und Populärliteratur sich nahe sind, standen für DDR-Leser die Bücher Wolfgang Schreyers. Sieben davon wurden verfilmt. Sein Rückblick auf sechzig Schaffensjahre verblüfft durch Freimut auch im Privaten. Viele Kapitel lesen sich wie Thriller-Miniaturen: witzig, packend, handlungsprall, frech oder nachdenklich, nie klagend. Vom Hitlerreich bis zur Gegenwart ein sehr persönlich gefärbtes Bild unserer Zeit.
"Ich kenne Wolfgang Schreyer seit langem, aus den DDR-Jahren und später. In dieser Zeit hat er sich von einem hochbegabten Abenteuer-Autor zu einem Philosophen entwickelt, der uns allen von seinem Reet-Haus in Ahrenshoop her eine Menge zu sagen hat. Davon legt sein Buch 'Der zweite Mann' gültiges Zeugnis ab." Stefan Heym
DER DUNKLE SPIEGEL
KEINE ANGST, ROSMARIE!
PERLEN VOR DIE SÄUE
UND WER WAR SCHULD?
FRÜHLINGSERWACHEN
FLÜCHTEN ODER STANDHALTEN ?
VOR SONNENUNTERGANG
BILDNIS EINES LEUTNANTS
GEHT ALLES VOM KRIEG AB
STELLUNGSWECHSEL
GENIESSE DEN KRIEG
DIE ÖLOFFENSIVE
WINDIGES DÄNEMARK
HEIM INS REICH
TRÜBER TAG, FELD
SOMMER IN HEILBRONN
DAS UFER-SYNDROM
SPRECHER UND VERTRAUENSMANN
EINE MITTEILUNG ZUVIEL
DER KARRIEREKNICK
HINTERM LADENTISCH
AMOR, AMOR, AMOR
SOLL UND HABEN
STEH AUF, STEH AUF
ANNÄHERUNG DURCH WANDEL
AUSLÄUFER DES STURMTIEFS
DAS GELOGENE WORT
DAS WAGNIS
DER DURCHBRUCH
DIE LETZTE ETAPPE
TOTER BRIEFKASTEN
AFFÄRE REIMANN
DER ZUSAMMENSTOSS
EIN GLÜCKSPILZ
VERSPRÜHENDE FLAMME
LOCKRUF DER FERNE
DER STARTSCHUSS
FEHLSCHLÄGE
CUBA SI, BARCO NO
CHRUSCHTSCHOWS TOURISTEN
DAS VORSPIEL
BÖHMISCHE POLKA
REALIZACIÓN
AUTORENSPIELE
VERFÜHRUNG
AUSGETRICKST
DAS ARRANGEMENT
FREMDER IM PARADIES
WINTERBILD
VERBOTENE FRÜCHTE
KÄLTEEINBRUCH
ROUTINEFALL
ZWÖLF UHR MITTAGS
BIG BROTHER
WIDERSPRUCH
REIFGLÄTTE
PRINZIP HOFFNUNG
ÜBERRANNT ...
VORHANG AUF!
LANGER ABSCHIED
ZURÜCK ZUR NATUR
LUSIADEN
DIE DURSTSTRECKE
OTTO FERNANDEZ
NACHSPIEL
SPLITTER IM HERZEN
UHU CONTRA PLAYBOY
STANDESGERICHT
DER VIERTE ZENSOR
MELANCHOLIE
DIE SINUSKURVE
AUF DER ACHTERBAHN
DER ÜBERFLIEGER
ZU NEUEN UFERN
DAS GELOBTE LAND
ENDZEIT DER SIEGER
STURMWARNUNG
DER LETZTE HERBST
NEBEL
DAS GELD IST WEG
DIE GLITZERNDE WOGE
ZWEI VERSCHWENDER
ZOFF IM CLUB
LANDEANFLUG
LICHT IN DER DÄMMERUNG
Da biegt sie um die Ecke, kommt auf mich zu. ich lasse den Wasserschlauch los und spreche die Nymphe an. Früher hat sie im Vorbeigehen artig geknickst, nun bleibt sie immerhin stehen und lauscht, die Lippen leicht geöffnet. Ob sie gelegentlich Post für mich tippen kann, da sie doch Steno und Schreibmaschine lernt? (Post, kein Manuskript; da käme sie ja kaum zu mir ins Haus.) Dies fragend, blicke ich auf ihr Ohr unter dem heute hochgesteckten Haar, so winzig ist es, wie noch nie an Erwachsenen bemerkt. Ihre Augen müssen größer sein, die weiten sich verblüfft und erfreut. »Aber gern ...« Recht tief die Stimme bei der Figur.
Es durchrieselt mich. Endorphin wird frei, es geht ja gut! Erstmals eigenes Geld zu verdienen und dazu noch wichtig sein, Gehilfin eines Nachbarn, der Bücher schreibt, den sogar ein Kinoplakat zeigt am Alten Markt - wie da nein sagen: Das baut sie daheim und vor ihren Freundinnen auf. Die freilich meinen, es sei ja klar, worauf das abzielt; mit ihr schlafen will der Kerl. Das aber leuchtet ihr nicht ein, da spricht der blanke Neid. Und wirklich, die Bedrohung ist gering. Mir sind die Hände gebunden: Doppelt so alt und glücklich verheiratet mit einer Frau, die sichtlich schöner ist als sie! Für eine behütete Jungfrau aus christlichem Haus, die zweiten Alt im Domchor singt und deren Mutter im Kirchenrat wacht, spricht alles für mein Bravsein.
Da kommt sie nun ahnungslos zu mir, ein- oder zweimal die Woche, adrett gekleidet, quicklebendig und unpünktlich; nie ist die Maschinenschrift so fehlerlos wie das Stenogramm. Was tut das, wo doch Funken sprühen? Geht sie dann weg, schützt mich nur Arbeit vor der Leere, vorm Grübeln darüber, was mir da geschieht. Dem weißen Papier entsteigt das Gesicht der Lolita, leicht asymmetrisch, nicht ganz fotogen. Mein Lexikon erklärt die Wortbedeutung: Nymphen sind weibliche Naturgottheiten der Bäume, Berge, Gewässer und des Meeres bei den Griechen. Eigentlich, so heißt es weiter, meint das Wort schlicht »Mädchen«; auch »kleine Schamlippe« in der Anatomie. Deshalb also sagt man nymphoman, wie fatal.
Das eigene Begehren projizierend, suche ich Lüsternheit bei ihr, die zu wecken wäre; von wem. wenn nicht durch mich? Voll knisternder Elektrizität erscheint sie mir. Ahmt sie nicht die Bardot nach, lockt mit dem Haarschwall und mit Beinen, lang wie die einer Barbiepuppe? Dionysisch ihr Wesen, gesalbt mit dem Wunderöl Sex-Appeal! Leider hat Mephisto schlechte Karten, weil all das einem anderen gilt. Sie ist verliebt in ihren Tanzfreund Uwe, einen Boxamateur. Und sogar dem erlaubt sie wenig, zu tief hat die Mutter sie erschreckt: Schmerzhaft sei Sex, bloß in der Ehe allenfalls erträglich, dazu folgenschwer.
Mein Vernarrtsein hat Charlotte rasch entdeckt. Gar nicht tragisch, wir glauben beide, dass unsere Partnerschaft nach so vielen Jahren dies verträgt. Ein paar Anbeter umschwirren meine Frau, das macht sie tolerant. Englisch lernt sie, um mit dem russischen Übersetzer und Weltkriegsflieger Jura Kappe zu flirten, der sie Charly nennt und ihr schreibt: »Denk an mich, wenn Du den Wolfgang vermisst, der farbige Damen in Kuba küsst ...« Schadenfreude mischt sich mit Besorgnis, als sie mich jetzt vor dem Boxer warnt.
Wolfgang Schreyer, geboren 1927 in Magdeburg. Oberschule, Flakhelfer, Soldat, US-Kriegsgefangenschaft bis 1946. Debütierte mit dem Kriminalroman "Großgarage Südwest" (1952), seitdem freischaffend, lebt in Ahrenshoop. 1956 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis für den Kriegsroman "Unternehmen Thunderstorm". Schreyer zählt zu den produktivsten und erfolgreichsten Autoren spannender Unterhaltungsliteratur in der DDR, schrieb Sachbücher, Szenarien für Funk und mehr als zwanzig Romane mit einer Gesamtauflage von 6 Millionen Exemplaren.
Versandkostenfreie Lieferung! (eBook-Download)
Als Sofort-Download verfügbar
- Artikel-Nr.: SW9783863948191