Weg in den Herbst

In dieser Autobiografie von 1987 bemerkt Uwe Berger:“ Weil ich so ganz Künstler bin, liebe ich das Leben über alles.“ Sein Leben beginnt in Emden mit dem Duft von Meer und Weite. Augsburg schenkt ihm Mittelalter, Reformation und Renaissance. Berlin konfrontiert ihn mit vielfältiger Kunst. Sein Vater holt ihn im Krieg aus einem Kinderlager in Polen. Mit 15 Jahren steht er am Messgerät einer Flakbatterie. Von einem Falkhelfer hört er die Stimme des Widerstands. In der Hungerzeit nach dem Krieg fährt Uwe Berger aufs Land, um gegen Schnaps Kartoffeln einzutauschen. Ein russischer Soldat hilft ihm, die Kontrollen zu umgehen. An der... alles anzeigen expand_more

In dieser Autobiografie von 1987 bemerkt Uwe Berger:“ Weil ich so ganz Künstler bin, liebe ich das Leben über alles.“



Sein Leben beginnt in Emden mit dem Duft von Meer und Weite. Augsburg schenkt ihm Mittelalter, Reformation und Renaissance. Berlin konfrontiert ihn mit vielfältiger Kunst. Sein Vater holt ihn im Krieg aus einem Kinderlager in Polen. Mit 15 Jahren steht er am Messgerät einer Flakbatterie. Von einem Falkhelfer hört er die Stimme des Widerstands.



In der Hungerzeit nach dem Krieg fährt Uwe Berger aufs Land, um gegen Schnaps Kartoffeln einzutauschen. Ein russischer Soldat hilft ihm, die Kontrollen zu umgehen.

An der Universität hört er Hermann Kunisch über mittelalterliche Mystik zelebrieren.

Vor der Haustür des Volk und Wissen Verlages zieht man eine weibliche Leiche aus dem Kanal. Im Aufbau Verlag lernt er Autoren wie Friedrich Wolf und Jan Petersen kennen. Mit Würde spricht er von Tod und Liebe und ist beeindruckt vom Ethos des Arztes Theodor Brugsch.



INHALT:

Sonne

Frühe Träume

Augsburger Geschichte

Lina

Gewitter

Am Landwehrkanal

Der Pflasterer

Schweigendes Polen

Fliehen

Die Methode

Die Gefangenen

Ein ungewöhnlicher Lehrer

Umwege

Der Getreidezug

Einsamkeit

Das tägliche Brot

Entscheidungen

Ruinen und Menschen

Das Haus der Literatur

Ermutigung

Kämpfe

Ein Menschenfreund

Der Sinn

Berliner Wohnungen

Tod

Liebe

Die Welt

Drohung

Begegnung in Sofia

Lew

Der Spiegel der Jugend

Wandlungen



LESEPROBE:

Einige Tage später fragte mich der abgemagerte und noch ernster gewordene Wiesner, ob ich dichthalten könne. Selbstverständlich konnte ich das. Und ich erfuhr, dass zwei Jungen, Schlüter und Wanaus, heimlich das Lager verlassen wollten. Ich kannte die beiden nur flüchtig. Sie waren älter als wir und eine Klasse weiter. Im Wesen unterschieden sie sich sehr. Erschien der eine der beiden in sich gekehrt, steif und verschlossen, war der andere lebhaft, beweglich und aktiv. Jedem war die Initiative zuzutrauen.

Wiesner setzte mich nicht ohne Grund von dem Vorhaben in Kenntnis.

Der entscheidende Schritt musste nach dem abendlichen Appell, im Schutze der Dunkelheit, geschehen. Es war erlaubt, um diese Zeit noch unter den Bäumen vor der Schule ein wenig auf und ab zu gehen. Ich ahnte, weshalb mir Wiesner angekündigt hatte, dass er und ich dort am Abend eine Kabbelei vortäuschen sollten. Während wir uns anschrien, einander Püffe gegen die Schultern versetzten und uns schließlich, im Ringkampf keuchend, zu Boden fallen ließen,



Sonne

Frühe Träume

Augsburger Geschichte

Lina

Gewitter

Am Landwehrkanal

Der Pflasterer

Schweigendes Polen

Fliehen

Die Methode

Die Gefangenen

Ein ungewöhnlicher Lehrer

Umwege

Der Getreidezug

Einsamkeit

Das tägliche Brot

Entscheidungen

Ruinen und Menschen

Das Haus der Literatur

Ermutigung

Kämpfe

Ein Menschenfreund

Der Sinn

Berliner Wohnungen

Tod

Liebe

Die Welt

Drohung

Begegnung in Sofia

Lew

Der Spiegel der Jugend

Wandlungen



Einige Tage später fragte mich der abgemagerte und noch ernster gewordene Wiesner, ob ich dichthalten könne. Selbstverständlich konnte ich das. Und ich erfuhr, dass zwei Jungen, Schlüter und Wanaus, heimlich das Lager verlassen wollten. Ich kannte die beiden nur flüchtig. Sie waren älter als wir und eine Klasse weiter. Im Wesen unterschieden sie sich sehr. Erschien der eine der beiden in sich gekehrt, steif und verschlossen, war der andere lebhaft, beweglich und aktiv. Jedem war die Initiative zuzutrauen.

Wiesner setzte mich nicht ohne Grund von dem Vorhaben in Kenntnis.

Der entscheidende Schritt musste nach dem abendlichen Appell, im Schutze der Dunkelheit, geschehen. Es war erlaubt, um diese Zeit noch unter den Bäumen vor der Schule ein wenig auf und ab zu gehen. Ich ahnte, weshalb mir Wiesner angekündigt hatte, dass er und ich dort am Abend eine Kabbelei vortäuschen sollten. Während wir uns anschrien, einander Püffe gegen die Schultern versetzten und uns schließlich, im Ringkampf keuchend, zu Boden fallen ließen, während sich immer mehr Neugierige um uns versammelten - verschwanden die Ausbrecher in der Nacht.

Bei dem Kriegsspiel am Vortag hatten sie ihre mit Schmalzstullen gefüllten Brotbeutel und Feldflaschen mit Malzkaffee im Graben an der Landstraße versteckt. Die letzte Kleinbahn war längst fort. Die Jungen legten die dreißig Kilometer bis Konin zu Fuß zurück, das heißt, sie marschierten die Nacht hindurch, um am frühen Morgen den D-Zug zu erreichen, der nach Berlin fuhr ...

Wiesner und ich rappelten uns auf, lachten, als sei alles nur halb so schlimm gewesen, klopften uns den Staub von den Hosen und schlenderten ins Haus. Im Schlafraum hatten inzwischen Mitverschworene die bereitliegenden Hemden, Pullover und Handtücher der Flüchtigen so unter ihre Decken gestopft, dass man meinen konnte, sie lägen bis über den Kopf zugedeckt darunter. Wir zogen uns aus und legten uns hin. Andere folgten. Allmählich füllte sich der Raum.

Hoffentlich kam niemand auf die Idee, die „Puppen“ anzustoßen. Glücklicherweise brannte die Glühbirne an der Decke nur schwach. Das Licht wurde schließlich ausgemacht.

K. leuchtete bei seinem Rundgang die Reihen der Liegenden mit der Taschenlampe ab und ging, ohne etwas zu bemerken.

Erst beim Aufstehen am nächsten Morgen wurde das Verschwinden der beiden Schüler von Unbeteiligten entdeckt. Einige liefen aufgeregt zur Lagerleitung. K. verhörte Freunde und Klassenkameraden der Deserteure., die jetzt im Zug nach Berlin saßen. Niemand wusste etwas. Weitere Untersuchungen, Verhöre und Ermahnungen förderten auch nichts zutage. Die Eltern der Ausgerissenen stellten sich - soviel bekamen wir mit - hinter ihre Söhne, und die Sache verlief im Sande.

Bald danach erschien der Arzt. Flüchtig untersuchte er alle. Bei mir gefielen ihm die Herztöne nicht. Er machte sich Notizen und teilte mir mit, dass ich für nicht lagertauglich erklärt werden würde. Bei der nächsten Gelegenheit wies K. in einer Ansprache auf die „Unzulässigkeit feiger Flucht“, auf die „vorbildliche medizinische Fürsorge“ und auf die „Stärke und Härte der meisten“ hin. Er war ein gelehriger Schüler seiner Vorbilder und verstand es, die Akzente zu setzen.

Mit einem Gefühl der Befreiung bestieg ich geraume Zeit später in Konin den Zug in die Richtung, in die mir jene beiden vorausgefahren waren. Herbstlicher Nebel lag auf den Feldern. Das Gesicht Wiesners schien darin zu schweben. In mir war Sonne. Die Bomben, die auf Berlin fielen, schreckten mich nicht.



Uwe Berger wurde 1928 in Eschwege geboren. Seine Jugend verlebte er in Emden und Augsburg. Mit 15 Jahren war er Flakhelfer bei Berlin. Anfang 1945 meldete er sich, um nicht zur Waffen-SS gezogen zu

werden, freiwillig zur Kriegsmarine. Im selben Jahr wurde er vorzeitig aus britischer Gefangenschaft entlassen. Während seines Studiums in Berlin (Germanistik, Kunstwissenschaft) arbeitete er im Volk und Wissen Verlag. Bald darauf wurde er in den Aufbau-Verlag geholt. Wegen eines positiven Gutachtens zu Hanns Eisler („Johann Faustus") maßregelte ihn die SED. Ermutigt sah er sich von Friedrich Wolf und Jahre danach von dem Schriftsteller und späteren estnischen Staatspräsidenten Lennart Meri.

Literarisch bedeutsame Reisen nach Nordrussland (Nowgorod) und Mittelasien, nach Sibirien und anderen Ländern unternahm er mit seiner Frau und Gefährtin.

Er ist 2014 in Berlin verstorben.



Bibliografie

Lyrik und Prosa

Die Einwilligung. Sechs Erzählungen

Straße der Heimat. Gedichte

Der Dom in dir. Gedichte

Der Erde Herz. Gedichte

Hütten am Strom. Gedichte 1946-1961

Rote Sonne. Skizzen und Aufzeichnungen

Mittagsland. Gedichte. Aufbau-Verlag

Gesichter. Gedichte. Aufbau-Verlag

Die Chance der Lyrik. Aufsätze und Betrachtungen

Bilder der Verwandlung. Gedichte

Arbeitstage. Aus dem Tagebuch 1964-1972

Feuerstein. Gedichte. Auswahl und Nachwort von Armin Zeißler

Lächeln im Flug. Gedichte

Backsteintor und Spreewaldkahn. Märkische Landschaften

Nebelmeer und Wermutsteppe. Begegnungen

Zeitgericht (Gedichte 1946-1975)

Leise Worte. Gedichte

Der Schamanenstein. Menschen und Orte

Lächeln im Flug. Ausgewählte Gedichte (1946-1978; russisch)

Nur ein Augenblick. 99 Reiseskizzen

Auszug aus der Stille. Gedichte

Das Verhängnis oder Die Liebe des Paul Fleming (Roman)

Die Neigung. Roman

In deinen Augen dieses Widerscheinen. Gedichte

Woher und wohin. Aufsätze und Reden 1972-1984

Das Gespräch der Delphine. Tierverse

Weg in den Herbst

Traum des Orpheus. Liebesgedichte 1949-1984

Last und Leichtigkeit. Oden

Flammen oder Das Wort der Frau

Suche nach mehr. Roman. 1989-1991

Atem. Liebesgedichte und Grafiken

Räume. Verse und Bilder

Pfade hinaus

Wegworte. Gedichte und Zeichen

Kater-Vater. Sinngedichte

Den Granatapfel ehren, Hundert Gedichte 1946 - 1989

Du wirst sein. Gedichte und Zeichen

Vom Sinn. Nachlese

Ungesagtem lauschen. Aus dem Tagebuch der Jahre 2000 bis 2012

Suche nach mehr

Das Gespräch der Delfine und anderer Tiere

Ein Schiff fährt über Land. Ostfriesland und das Meer

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