Petermännchen will König werden
Seltsame Geschichten um seine Erlösung
Wer möchte schon ein Zwerg und Schlossgeist bleiben, wenn er in Wirklichkeit ein verwunschener Prinz ist und König sein könnte! Der Schlossgeist Petermännchen bemüht sich seit Hunderten von Jahren redlich um seine Erlösung. Dafür gibt es viele verschiedene Möglichkeiten; mit ihm ringen, ihm das Schlüsselbund holen, sein Schwert putzen oder ihm bloß – den Kopf abschlagen. Es würde auch schon genügen, wenn seine Laterne mit einer bestimmten Schere geputzt wird oder wenn jemand etwas ganz laut ruft. Reicher Lohn winkt dem, der das macht. Und – fast – alles scheint auch ziemlich einfach zu sein. Aber die Wirklichkeit ist eine andere, birgt Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Als das beinah verzweifelte Petermännchen selbst seine Erlösung in die Hand nehmen will und sie scheinbar auch nach Plan verläuft, stellt sich am Ende heraus: Sogar ein Geist kann sich irren.
Aber eine Möglichkeit bleibt ihm noch. Dafür braucht er eigentlich bloß Geduld. Und wieder kommt alles anders…
Dies sind frei gestaltete Geschichten nach Volksüberlieferungen. Benannt sind auch die Sagenorte. Sie aufzusuchen, um dort das geheimnisvolle Geschehen in der eigenen Fantasie zu erleben – wofür die Illustrationen einen zusätzlichen Raum bieten, mag ein weiterer Reiz des Buches sein.
Eigenartige Leute. Kindergeschichten
Das Faultier im Burggarten
Der geschwätzige Prahlhans
Das rostige Schwert und die Liebe
Das Huhn auf dem Hauklotz
Haselnüsse und Golddukaten
Petermännchen unterm Backtrog
Der berauschte Nachtwächter
Menschen in Nöten. Dramatische Geschichten
Die Habgier des armen Fischers
Der Feuerschlund im See
Schlingpflanzen überm alten Schwerin
Irrtümer eines Geistes. Komische Geschichten
Hebamme, Schere und Laternchen
Zauberschlüssel und Erbsensuppe
Keine Zeit für den langen Bart
Träume. Eine nachdenkliche Geschichte
Petermännchen will nicht König werden
Nachträge
Voraussetzungen, Arten und Folgen der Erlösung des Petermännchens
So viele Möglichkeiten
Die Habgier des armen Fischers
Sagenort: Schweriner See – Großer Stein bei Kaninchenwerder
Vor vielen Jahren stand unweit vom Schweriner See ein kleines Stroh gedecktes Haus. Dort wohnte ein Fischer, der sich, wie viele seines Standes, mehr schlecht als recht durchs Leben schlug und gern besser gelebt hätte. Er legte jeden Abend die Netze aus und holte sie jeden Morgen noch vor Sonnenaufgang ein. Er glaubte, wenn er nur recht fleißig wäre, würde er schon zu kleinem Wohlstand gelangen. Trotzdem blieb sein Leben ärmlich, wie bei den meisten Menschen in der Stadt und den umliegenden Dörfern.
Wenn Peter, so hieß der Fischer, mit seinem Boot an der Burginsel vorbeifuhr und aus den hell erleuchteten Fenstern des Schlosses Musik, fröhliches Lachen und das Stimmengewirr der unzähligen Gäste des Schlossherrn schallte, dann dachte er, wie gut es doch diese Damen und Herren dort oben im Schloss hätten. In seiner Fantasie malte er sich aus, wie sie, in Samt und Seide gekleidet, mit Gold und Edelsteinen geschmückt, an reich gedeckten Tischen saßen und sich vor lauter Überfluss nicht entscheiden konnten, ob sie zuerst die zarte Fasanenpastete wählen sollten oder den köstlichen Hummer, den würzig geräucherten Lachs, das knusprig gebratene Hühnchen, den saftigen Lammbraten, den zarten Fisch oder die farbenfrohen süßen Torten und Kuchen, während ihm in der feuchten Kälte der Nacht der Magen knurrte. Aus tiefstem Herzen wünschte er sich dann, reich zu sein, und sollte es seine Seele kosten.
Von niemandem aber hatte er etwas zu erhoffen. So fuhr er Nacht für Nacht auf den See, um zu fischen. Und so vergingen die Jahre. Er hatte zu essen, auch einige Taler für Notzeiten, aber seine Sehnsucht blieb.
Es war mitten im Winter, der letzte Tag des Monats Dezember war angebrochen. Noch hatte es nicht gefroren, noch war kein Schnee gefallen. Die anderen blieben zu Hause, flickten die Netze und begnügten sich mit dem, was der Herrgott ihnen bescherte.
Peter jedoch fuhr auch an diesem Abend hinaus, die Netze auszulegen. Vergebens hatten ihn die Leute gewarnt, in der Neujahrsnacht zu fischen. Da wäre es auf dem See nicht geheuer. Peter hatte wie sie den sternenklaren Himmel gesehen, der Frost verkündete. Aber solange der See nicht zugefroren war, wollte er arbeiten, und so schlug er alle wohl gemeinten Ratschläge in den Wind. Er sah schon die Taler im Beutel klingen, die er für die frischen Neujahrskarpfen, die ihm ins Netz gehen würden, von den Bürgersfrauen erhielte.
Seine Blicke glitten sehnsüchtig über die dunkle Fläche des Wassers, das solchen Fischreichtum barg. Plötzlich sah er im Bug des Bootes ein kleines Männchen sitzen. Peter hätte beschwören können, dass er allein losgefahren war. Hier ging etwas nicht mit rechten Dingen zu. Ihn sollte niemand zum Narren halten! In seinem Boot war er der Herr! Zornig ergriff er das Ruder und wollte auf den ungebetenen Fahrgast einschlagen. Aber was war das? Er konnte den Arm nicht bewegen. Wie fest gewachsen stand er im Boot, das bedrohlich schwankte. „Hast dich erschrocken, Peter? Das wollte ich nicht! Aber wenn es dir nicht passt, kann ich ja aussteigen“, sprach das Männchen. „Petermännchen?!“, fragte der Fischer ungläubig. „Ich hab immer gedacht, du wärst ein Schlossgeist. Und dein Revier wäre das Schloss. Wie kommst du in meinen Kahn?“ „Heute ist Altjahrsnacht, hast du das vergessen? Am letzten Tag im Jahr kann ich gehen, wohin ich will.“ Nach einer kleinen Pause fügte der Schlossgeist hinzu: „An diesem Tag suchen wir Geister Menschen, die uns erlösen können.“
Dem Fischer war bei diesen Worten nicht wohl. Doch erwiderte er nichts, sondern legte sich mächtig in die Riemen. Ehe er sich's versah, waren sie am Großen Stein angelangt, nahe der Insel Kaninchenwerder. Peter wunderte sich. Hier pflegte er nie die Netze auszuwerfen. Er hatte doch eine andere Richtung eingeschlagen. Wie konnte er sich in dieser klaren Nacht nur verfahren? Das ging auch nicht mit rechten Dingen zu, darauf würde er seinen Kopf verwetten. Unvermittelt lief das Boot auf Grund und lag fest.
Bevor der Fischer einmal tief Luft holen konnte, saß der Schlossgeist, als wäre er durch die Luft geflogen, auf dem Großen Stein und sprach: „Gold und Geld regier‘n die Welt. Aber Glück bringen sie nur, wenn man nicht zu viel davon hat. Hier“, und damit zeigte er auf den Stein, auf dem er saß, „hier unter diesem Stein kannst du heute all die Schätze, all das Gold sehen, das ich für mein Volk bewache. Gute kann ich damit belohnen. Aber sorgsam muss ich sein. Ich habe Menschen reich werden sehn, und sie wurden habgierig und böse, und geizig gegen sich selbst. Sie hatten keine Freude mehr, wurden misstrauisch und kannten keinen anderen Genuss, als das Geld im Beutel zu zählen. Argwöhnisch wacht so ein Mensch über seinen Reichtum und trachtet nur danach, noch mehr an sich zu raffen, indes sein Leben zerrinnt wie der Sand zwischen den Fingern.“ Während dieser Worte hatte sich das Wasser wie auf geheimen Befehl zurückgezogen. Der Stein lag mit einem Mal auf einem Sandhügel, der sanft im flachen Wasser auslief. Nun schob das kleine Petermännchen den Großen Stein zur Seite, mit einer Leichtigkeit, als besäße er Zauberkräfte. Ein riesiges Loch ward darunter sichtbar, bis obenan mit Gold und Silber angefüllt, mit Münzen, Diamanten, Halsketten und Armbändern, silbernen Pokalen und goldenen Bechern. Sie glitzerten und gleißten in der sternklaren Nacht gleich den Strahlen der aufgehenden Sonne. Der Fischer wurde fast blind von all dieser Pracht. „Gold!“, stöhnte er und die Finger krallten sich unbewusst in die Bordwand des Bootes. Unter dem stoßweisen Atem hob und senkte sich sein Brustkorb wie ein Blasebalg. Er konnte die Augen von dem unermesslichen Reichtum vor ihm nicht abwenden. „Wenn du mich erlöst, Peter, wenn du machst, was ich dir sage, kannst du davon nehmen, soviel du brauchst“, hörte er das Petermännchen sagen.
Der Fischer stierte nur auf das Gold. Er schien plötzlich ein anderer Mensch geworden zu sein. Mit bebenden Lippen flüsterte er: „Soviel wie ich brauche? Ich will alles! Alles wird meins! Alles!“ Ohne auch nur den Kopf zu wenden, flehte Peter: „Ich tue, was du willst. Wenn nur der Schatz mir gehört, wenn alles meins wird.“ Der Schlossgeist sah den Fischer erschrocken an, sein stierer Blick flößte ihm Angst ein. Ja, Petermännchen fürchtete sich, obwohl er ein Geist war, vor dem Menschen. So etwas war ihm noch nicht passiert. Er ließ sich nichts anmerken und sagte: „Ich wurde einst verwünscht, weil mein Volk anders war und andere Götter hatte als die Deutschen. Wenn du nun mit mir gemeinsam ein Haus für alle Menschen baust, ein Haus für Junge und Alte, für Schwarze, Weiße und Gelbe, für Gläubige aller Art, auch für die, die an keinen Gott glauben, ein Haus, in dem sich alle Menschen ohne Hass und ohne Gewalt begegnen, wo sie einander zuhören und sich freuen darüber, dass andere anders sind als sie selbst. Wenn du mit mir dieses Haus hier erbaust, dann bin ich von meiner Zwergengestalt erlöst und frei. Und dann“, fügte er hinzu, „kannst du von dem Gold nehmen, soviel du brauchst.“
Er blickte auf den Fischer, der ihn gar nicht zu hören schien. Deshalb hob er seine Stimme ein wenig. „Das Haus muss aus den Steinen gebaut werden, die hier liegen. Es muss fertig sein, bevor die Glocken des Kirchturms das neue Jahr einläuten. Dann magst du dir von dem Schatz deinen Lohn nehmen!“ Der Fischer schien seine Umwelt gar nicht wahrzunehmen, die blutleeren Lippen flüsterten unaufhörlich: „Alles wird meins! Alles meins!“ „Willst du mit mir dieses Haus bauen?“, fragte der Schlossgeist noch einmal, nun mit weithin schallender Stimme. „Alles will ich tun! Alles, was du sagst. Wenn nur das Gold mir gehört“, sprach der Fischer, keines anderen Gedankens mehr fähig. Fast schlafwandlerisch, ohne darauf zu achten, ob er nass würde, stieg er aus dem Kahn und begann, die Steine zusammenzutragen. Kein Brocken war ihm zu groß, keiner zu schwer, er schien keine Last zu spüren. Immer dachte er an das Gold. „Alles wird meins. Alles meins“, etwas anderes konnte er nicht mehr denken. „Ich werde dir helfen“, sagte das Petermännchen, zog sein Wams aus, legte den Hut daneben und bückte sich nach dem ersten Stein.
Schnell und wortlos trugen beide die Steine zusammen und schichteten sie auf. Stunde um Stunde verrann. Die Mauern wuchsen höher und höher. Jetzt fehlte nur noch das Dach, dann war das Erlösungswerk vollendet.
Glücklich lief der Schlossgeist hin und her und betrachtete zufrieden den breiten flachen Stein, den der Fischer vorsorglich neben der Mauer hatte liegen lassen, um ihn als Dach zu verwenden. Der Schlossgeist glaubte, nach Hunderten von Jahren wäre nun endlich die Zeit seiner Erlösung gekommen. Über den See klang hell ein Glockenschlag. Halb Zwölf. Das war mehr Zeit, als sie brauchten. Gleich könnte der Stein obenauf liegen. „Das Dach!“, rief Petermännchen wohlgemut und hüpfte übermütig um den Stein herum.
Der Fischer stand jedoch auf einmal unbeweglich neben dem Bau. Er machte keinerlei Anstalten, den flachen Stein hochzuheben. „Das Dach, Peter“, wiederholte der Schlossgeist, immer noch frohen Mutes. „Gleich haben wir es geschafft.“ Peter stierte wieder auf den Schatz. Der Dachstein und das Petermännchen schienen für ihn gar nicht mehr zu existieren. Der Schlossgeist wartete weiterhin, wenn auch mit wachsender Ungeduld. Noch war Zeit. Sollte sich der Fischer erst mal verpusten, dann würde er den Stein schon auflegen. Sollte er sich ruhig an dem Lohn erfreuen, der ihn erwartete.
Aber Peter wollte sich gar nicht ausruhen. „Erst den Lohn!“, sprach er höhnisch, „dann das Dach. Erst das Gold!“ Er lachte tückisch. „Du denkst wohl, ich bin dumm? Mit dem zwölften Glockenschlag bist du erlöst, bist verschwunden und der Schatz ebenfalls! Da hättest du dir einen Dümmeren aussuchen müssen. Bei mir bist du an den Falschen geraten.“ Hämisch, gar nicht recht bei Sinnen, kicherte er vor sich hin, als hätte er einen Witz gemacht. „Ich werde dich schon von dem Gold befreien.“ Enttäuscht blickte der Schlossgeist auf den Fischer „So nimm dir, was du brauchst!“, antwortete er. Der Fischer hatte nur darauf gewartet. Schon kniete er vor dem mit Gold gefüllten Loch. Gierig griff er mit beiden Händen hinein. „Aber nimm nicht mehr, als du brauchst! Nimm nicht mehr! Es könnte dein und mein Unglück sein“, beschwor das Männchen den Fischer. Es ahnte Schreckliches. „Dein Unglück vielleicht, aber mein Glück! So viel nehmen, wie ich brauche? Ich kann alles brauchen!“ Unaufhörlich murmelte Peter vor sich hin: „Alles wird meins! Alles meins!“ Trotz der Kälte zog er die Jacke aus, legte sie an den Rand des Lochs und schaufelte das Gold darauf. So konnte er schneller und vor allem mehr Gold in seinen Kahn schaffen, als wenn er mit jeder Handvoll hin lief. Klug dünkte sich Peter. Wer ihn übers Ohr hauen wollte, musste schon früher aufstehen. Er kicherte vor sich hin. Petermännchen sah dem Treiben des besessenen Fischers mit besorgter Miene zu: „Es ist gleich zwölf, Peter! Denk an das Dach! Bevor die Turmuhr die Mitternachtsstunde anzeigt, muss das Haus fertig sein. Sonst war alles umsonst!“
Der Kahn war in der Zwischenzeit fast bis an die Bordwand hoch mit Gold beladen. Peter schob ihn ins tiefere Wasser. Nur noch ein paar Hände voll Gold wollte er holen. Er musste dann eben ganz langsam rudern, damit das Wasser nicht ins Boot schwappte, so würde er schon heil ans Ufer gelangen. Auf die Worte des Petermännchens achtete er ebenso wenig wie auf den schneidend scharfen Wind, der die Wasserfläche zu kräuseln begann. Dichte Wolkenmassen schoben sich vor den Mond und verdunkelten den Himmel. Erneut griffen die Hände des Fischers in das Gold! „Peter, das Dach!“, schrie der Schlossgeist gegen den nun schon brausenden Sturmwind. „Lege den Stein auf die Mauern. Die Zeit ist bald abgelaufen. Peter, das Dach!“ Die flehenden, in höchster Angst gerufenen Worte drangen in das Ohr und das Hirn des Fischers, nicht aber in sein Herz. Diese große goldene Krone mit den riesigen Diamanten, die musste noch in seinen Kahn. Und dieser kunstvoll ziselierte goldene Becher ebenfalls, dann, ja dann wollte er den Stein auflegen.
Peter merkte nicht, dass die Schaumkronen der brausenden Wellen bereits den Sand überspülten, auf dem er stand. Ja, er fühlte nicht einmal das eisige Wasser. Es reichte ihm schon bis an die Brust, als er die Krone in den Kahn legte. Er dachte nur daran, wie reich er jetzt war.
Da klang der erste Glockenschlag über den See, die zwölfte Stunde verkündend, das Ende des alten Jahres. Ein unheimlich tosender Sturm heulte nun über den See und trieb die Wellen mit rasender Geschwindigkeit vor sich her, auf den Großen Stein zu. Die Mauern des Hauses, das die Menschen und das Petermännchen erlösen sollte, stürzten in sich zusammen.
Ein grausiger Wirbel erfasste den Kahn und den Fischer und zog beide in die Tiefe.
Beide Jg. 1944 und miteinander verheiratet.
Erika Borchardt, Dipl.–Kulturwissenschaftlerin, war wissenschaftliche Mitarbeiterin im Schlossmuseum Schwerin. Freie Autorin. Veröffentlichte eine Reihe von Erzählungen, Hör- und Puppenspielen und (gemeinsam mit ihrem Ehemann) Sachbüchern zur mecklenburgischen Kulturgeschichte.
Jürgen Borchardt, Dipl.–Germanist, Dr. phil., arbeitete als Philosoph, Germanist und Journalist, war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Landesbibliothek M–V Schwerin. Freier Autor. Publikationen zur mecklenburgischen Literatur-, Kultur- und Zeitgeschichte, gemeinsam mit seiner Ehefrau auch Belletristik.
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- Artikel-Nr.: SW9783956558825458270
- Artikelnummer SW9783956558825458270
-
Autor
Erika Borchardt
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 168
- Veröffentlichung 29.04.2019
- ISBN 9783956558825
- Wasserzeichen ja