Die schönsten Sagen und Geschichten vom Schweriner Schlossgeist Petermännchen

Der Schweriner Schlossgeist Petermännchen ist ein ungewöhnlicher Geist in der deutschen Mythologie: Obotritengott? Verwunschener Slawenprinz? Mittelalterlicher Poltergeist? Oder zwergenhafter Hofnarr? Auf jeden Fall nun Hausgeist des Schweriner Schlosses. Aber er geistert nicht allein im Schloss. Petermännchen ist zugleich ein Wandelgeist, lebt auch in einem Berg bei Schwerin, bewegt sich in Gängen unter der Erde, hat Behausungen und Schatzkammern im Wasser und kann durch die Lüfte fliegen. Der kleine Mann ist von großer Macht: Er macht sich unsichtbar, beobachtet alles, lohnt gute und straft böse Taten. Und er besitzt die Gabe eines Sehers und... alles anzeigen expand_more

Der Schweriner Schlossgeist Petermännchen ist ein ungewöhnlicher Geist in der deutschen Mythologie: Obotritengott? Verwunschener Slawenprinz? Mittelalterlicher Poltergeist? Oder zwergenhafter Hofnarr? Auf jeden Fall nun Hausgeist des Schweriner Schlosses. Aber er geistert nicht allein im Schloss. Petermännchen ist zugleich ein Wandelgeist, lebt auch in einem Berg bei Schwerin, bewegt sich in Gängen unter der Erde, hat Behausungen und Schatzkammern im Wasser und kann durch die Lüfte fliegen.

Der kleine Mann ist von großer Macht: Er macht sich unsichtbar, beobachtet alles, lohnt gute und straft böse Taten. Und er besitzt die Gabe eines Sehers und Warners, kündigt schlimme oder schöne Ereignisse an.

All dies ist selten, wenn nicht gar einmalig bei ein und derselben Sagenfigur.

Völlig wundersam sind die vielen verschiedenen Erlösungsarten, durch die der Schlossgeist seine frühere Gestalt wieder gewinnen könnte. Manche sind lustig, gar närrisch, andere dagegen unheimlich, unfassbar, geradezu haarsträubend – im Wortsinn. Vielleicht ist die Erlösung des kleinen Kerls aber gar nicht wünschenswert; die Folgen wären katastrophal für das Schloss, die Insel und ganz Schwerin! Andererseits: Wäre er erlöst, würde er als ein gerechter Herrscher das Land regieren. Wie soll man da den Bitten des Geistes um Erlösung begegnen?!

Die mehrteilige Sagensammlung besteht aus neuen und aus bereits früher erschienenen Geschichten der Autoren, letztere sind zumeist stark überarbeitet.

Dies sind frei gestaltete Geschichten nach Volksüberlieferungen. Benannt sind auch die Sagenorte. Sie aufzusuchen, um dort das geheimnisvolle Geschehen in der eigenen Fantasie zu erleben – wofür die Illustrationen einen zusätzlichen Raum bieten, mag ein weiterer Reiz des Buches sein.



Wie Petermännchen schützt, lohnt, straft und neckt

Der Mundschenk im Kleiderschrank

Wie der Schlossgeist Unhörbares hört

Ein General reißt aus

Wie der Schlossgeist Napoleon ärgert

Der rachsüchtige Stallknecht

Eine rostige Armspange als Lohn

Die wundersame Heilung

Gekiecher hinter den Büschen

Ein derber Denkzettel

Die Rettung der schönen Gartenknechtstochter

Der verhinderte Dieb

Der freche Spitzbube

Aufregung vorm Glockenturm

Die Schlossjungfer am Pfaffenteich

Das Geheimnis um die goldene Tuchnadel

Teufelsspiel am Steinernen Tisch

Die unheimliche Felsengrotte

Ein Polizist flieht aus dem Burggarten

Der steinerne Zwerg

Spuk im Petersberg

Ein Königsschatz unterm Amboss

Erde, Blut und Rote Rüben. Petermännchen als Prophet – Weissagung und Wirklichkeit

lut im Rinnstein (1870/71)

Die wundersame Stadt

Das unverhoffte Glück

Das Blutgerücht

Die Schlacht vor Paris

Erde, Blut und Rote Rüben (1881/82)

Ein dunkles Rätsel

Der Tod der Prinzessin – Petermännchens Weissagung?

Bleibt das Orakel ungelöst?

Der Geist im Trauerflor (1883)

Ein guter Landesherr

Was man nicht gleich sieht

Das vorzeitige Ende

Wer ist verantwortlich?

Tod in der Nordsee (1897)

Petermännchen schafft Unruhe

Der zerrissene Ölrock

Ein Schreck beim Spaziergang (1908)

Der Herr Justizrat und seine Frau Gemahlin

Die Spukgestalt im Dämmerlicht

Heutige Schönheit aus irrsinniger Vergangenheit

Die Quelle aus Tränen

Das Schloss brennt (1913)

Die lustigen Schornsteinfeger

Es brodelt in der Welt

Berta ist ganz aufgeregt

Der Spuk auf der Schlossbrücke

Herr Kleinermann und Herr Leisetritt

Der gute Herr Schmusemann

Zweifel und Verzweiflung

Es brennt

In der Geisterstunde

Das Wunder im Krankenhaus

Das Ende

Rätselhafte Zufälle. Ein Nachwort von Erika Borchardt

Spuk im Uhrturm (1922)

Das Glück des Heizers

Das Unglück der Großfürstin

Wir werden Kaiser

Petermännchen hört Adolf Hitler (1939)

Der endlose Fluch (1914/18 und 1989)

Petermännchen will König werden. Seltsame Geschichten um seine Erlösung

Eigenartige Leute. Kindergeschichten

Das Faultier im Burggarten

Der geschwätzige Prahlhans

Das rostige Schwert und die Liebe

Das Huhn auf dem Hauklotz

Haselnüsse und Golddukaten

Petermännchen unterm Backtrog

Der berauschte Nachtwächter

Menschen in Nöten

Die Habgier des armen Fischers

Der Feuerschlund im See

Schlingpflanzen überm alten Schwerin

Irrtümer eines Geistes

Hebamme, Schere und Laternchen

Zauberschlüssel und Erbsensuppe

Keine Zeit für den langen Bart

Träume

Petermännchen will nicht König werden



Die Mitternachtsstunde nahte. Aber niemand achtete auf die Zeit, nur der alte Feuerböter blickte besorgt in den durch das Feuer hell erleuchteten Nachthimmel. Mit allen Sinnen spürte er das Anschwellen des Windes. Und er fühlte das Herannahen der Geisterstunde. Karl zitterte. Das Kammermädchen stürzte auf ihn zu. Ihre Hände klammerten sich an ihn: „Wird das ganze Schloss abbrennen? Gibt es keine Rettung?“, fragte sie fassungslos. Der Alte fand nur schwer seine Sprache wieder. Hilflos strich er über ihr Haar. „Wir müssen das Ende der Geisterstunde abwarten. Zwischen zwölf und ein Uhr sind sie in ihrem Element. Wir können nichts tun.“ „Und der Schlossgeist? Ist der jetzt auch machtlos?“, fragte das Mädchen. „Er wird tun, was in seiner Macht steht. Da bin ich mir sicher. Es ist doch auch sein Schloss. Wenn das Feuer nur nicht den Munitionsturm erreicht!“, flüsterte er. „Das wäre grauenhaft.“

Tatsächlich frischte der Wind jetzt auf. Mehr Wind, das hieß noch mehr Luft für das Feuer, es konnte sich nun mit noch mehr Kraft entfalten, noch grausamer werden, noch gewalttätiger. Die Feuersbrunst drängte sich zum seeseitigen Nordflügel. Die Feuerwehrleute sahen die drohende Gefahr. Sie wollten wenigstens die historisch wertvollen Renaissancebauten mit der Schlosskirche und dem Glockenturm schützen. Dass der Schlossgeist sein Zimmerchen im Kirchturm hatte, daran dachte bei diesem heillosen Durcheinander außer Karl niemand von ihnen.

Der Feuerböter drängte zum Südflügel, das Kammermädchen mit sich ziehend. „Komm“, keuchte er. „Der Kirche und dem Kirchturm wird nichts passieren. Du wirst es sehen. Dort hat Petermännchen sein Stübchen. Er wird schon darauf acht geben. Hier müssen wir entlang. Hier müssen wir dem Feuer den Weg versperren.“ Wild schlug er mit seinem Umhang auf die Flammen. Wieder und wieder. Ohnmächtig musste Karl jedoch zusehen, wie sich die lodernde Glut all seinen Anstrengungen mühelos widersetzte. „Hier kann ich nichts mehr tun. Es ist alles sinnlos.“ „Noch ist nicht alles verloren“, widersprach das Mädchen. „Schnell! Wir müssen hier weg. Die Gefahr ist noch nicht gebannt. Die Geisterstunde noch nicht vorbei.“ Der Alte ergriff das Mädchen und hastete, sie wild hinter sich her zerrend, durch die sich mehr und mehr verdichtenden Rauchschwaden.

Die Mitternachtsstunde neigte sich dem Ende zu, nur noch wenige Minuten, dann würde die Kirchturmuhr eins schlagen. Plötzlich drehte sich, für alle unerwartet, der Wind. Das rettete den Nordflügel des Schlosses, samt Schlosskirche und Petermännchenzimmer, trieb aber die Flammen dem Gartenportal und dem Munitionsturm zu. Bevor die Feuerwehrleute die ganz neue Situation erkannten, war die Katastrophe bereits geschehen. Eine gewaltige Explosion erfolgte, mischte sich mit tausend anderen Detonationen, erzeugte blendende Helligkeit, Feuerflackern, ein Glühen und Glänzen, ein Leuchten und Lodern, ein Züngeln und Zittern von großen und kleinen, dicht ineinander verknäulten, hoch auflodernden Flammen, ein wahres Flammenmeer. Dazwischen scharfes, hartes, unaufhörliches Geknatter und weitere Explosionen. Das krachte, dröhnte, grollte und schallte, als wollten Schloss und aller Grund zerbersten.

Was einst der Munitionsturm gewesen, leuchtete jetzt wie eine ungeheure Fackel hoch über die übrigen Flammen des Schlosses hinaus.

So manch einer gab das Schloss nun ganz verloren. Niemand ahnte, dass sich im Schlossflügel am Burgsee noch zwei Menschen befanden.

Karl hatte das Mädchen vorerst in Sicherheit bringen können, wahrlich in letzter Sekunde. Die kleinen Brandwunden und der Reizhusten, der sie quälte, zählten nicht. Aber noch war die Gefahr nicht gebannt. Der Schreck durch die Explosionen im Munitionsturm machte ihnen die Knie weich. Zitternd lehnte sich das Mädchen an die Wand und rutschte langsam auf den Boden. Die letzten Kräfte hatten sie verlassen. „Ich kann nicht mehr.“

Man konnte dem Feuerböter förmlich ansehen, wie die Gedanken in seinem Kopf jagten. Nur einige Wortfetzen drangen an das Ohr des Mädchens. „Ob das sein kann? Nein, nein. Doch! Natürlich. Ja! So ist es. So wird es sein!“ Berta rüttelte den Alten, mehr erschrocken als erstaunt fragend: „Was sagst du?“ „Du musst hier raus. Eil dich!“, antwortete er. „Und du?“, fragte das Mädchen. „Das Feuer wird schon den Goldenen Saal erreicht haben. Ich muss da hin! Komm.“ Er zog das wankende Mädchen mit ungewohnter Heftigkeit hinter sich her. Sie erreichten den Thronsaal. Feine, leichte Rauchschleier schwebten in der Luft „Schnell, du gehst hier lang, durch die Schlössergalerie zum Uhrturm, dann die Wendeltreppe runter. Du schaffst es.“ Er stieß das Mädchen in den angrenzenden Flur und hastete los, ohne sich umzublicken. Berta sah noch die gemalten Schlösser an den Wänden, dann sank sie zu Boden. Die Beine wollten sie nicht mehr tragen. Kleine Fünkchen tanzten vor ihren Augen. Nur ein klein wenig verschnaufen, sagte sie sich. Da überflutete eine dunkle Woge das Mädchen und befreite sie von ihren Ängsten.



Karl lief in die Ahnengalerie. Beim Fortschaffen des Inventars hatte man in der Eile alle Türen offen gelassen. Er machte sie rasch zu. Dann rannte er in den Goldenen Saal. Dunkler Rauch schlug ihm entgegen und nahm ihm den Atem. Er schloss ein offenes Fenster, riss sich die Jacke vom Leib und drückte sie auf die Flammen. Sie mussten erstickt werden. Die Hitze brannte an seinem Körper. Übelkeit ergriff ihn, der Kopf schien bersten zu wollen. Hörte er da schon die Feuerwehrleute? Sein Herz begann wild zu schlagen. Karl schwankte, die Hände griffen ins Leere.



Der Goldene Saal vor seiner endgültigen Vernichtung durch den Schlossbrand

Der Feuerwehrmann Gustav Hellermann hielt gerade die Wasserspritze auf die obere Etage des Schlosses, da sah er hinter einem der Fenster den Schatten eines Menschen vorbeihuschen, eines kleinen Menschen mit hohem Hut. „Da oben ist noch ein Kind!“, schrie er. „Was ist das für ein Raum, da oben?“, fragte er einen der Diener, die den Feuerwehrleuten zur Seite standen. „Da oben, die dunklen Fenster?“ „Ja die, schnell, was ist das für ein Raum?“ „Na, das ist der Goldene Saal. Warum willst du das wissen?“ Gustav antworte nicht. Er drückte seinem Nebenmann die Wasserspritze in die Hand und wollte loseilen. Der war ganz verdutzt. „He, wo willst du hin?“ „Nach oben, in den Goldenen Saal. Da ist noch jemand drin.“ „Das geht nicht! Mach keinen Quatsch, Gustav. Du kommst da nicht mehr durch.“ Hellermann hörte nicht auf seinen Kameraden und stürzte ins Gartenportal. Was er dort sah, ernüchterte ihn. Die Rote Marmortreppe drohte einzustürzen. Es gab tatsächlich keine Möglichkeit, hinaufzugelangen. Entmutigt wollte er aufgeben. Da vernahm er ein Wispern: „Der Uhrturm. Die Wendeltreppe im Uhrturm. Die Wendeltreppe!“ Der Feuerwehrmann überlegte: Der Uhrturm? Natürlich. Ich muss dann eben eine andere Treppe benutzen, das ist die Lösung. Einen Fehler durfte er sich jetzt auf keinen Fall leisten. Über die Wendeltreppe gelangt man in die Festetage, zum Thronsaal, und von dort, ja, so muss es sein, kommt man zum Goldenen Saal, zum Ballsaal mit seinen großen vergoldeten Säulen.

Im Nu rannte er in den Schlosshof. Den Kameraden rief er zu: „Los! In die dritte Etage! Im Goldenen Saal, da ist noch ein Kind drin.“



Erika Borchardt:

Jahrgang 1944, Diplom-Kulturwissenschaftlerin

Fachverkäuferin für Lebensmittel, als Lehramtsanwärterin kombiniertes Direkt- und Fernstudium für Mathematik und Technisches Zeichnen, danach im Kulturbereich tätig und vier Jahre Fernstudium der Kultur- und Leitungswissenschaft sowie weitere fünf Jahre Fernstudium der Kulturwissenschaft. War über ein Jahrzehnt wissenschaftliche Mitarbeiterin im Schlossmuseum Schwerin. Mitbegründerin des Kulturvereins Sagenland Mecklenburg-Vorpommern e. V.

Autorin von wissenschaftlichen Arbeiten zur mecklenburgischen Kulturgeschichte und mehreren Erzählbüchern, vor allem mit Petermännchen-Geschichten. Daneben Hör- und Puppenspiele sowie ein Bühnenstück. Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann Dr. Jürgen Borchardt.



Jürgen Borchardt:

Jahrgang 1944, Dipl.-Germanist und Anglist, Dr. phil.

War Leistungssportler, Beton- und Straßenbauer. Arbeitete nach dem Hochschulstudium als Philosoph, Journalist sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Landesbibliothek Schwerin. Ehrenamtlich in der Filmklubbewegung der DDR sowie im Kulturbund tätig. Mitbegründer des Kulturvereins Sagenland Mecklenburg-Vorpommern e. V.

Autor und Herausgeber von Geschichten sowie literatur- und kulturhistorischer Arbeiten über Mecklenburg. Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau Erika Borchardt.

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