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November 1918, Dresden: Der Krieg ist vorbei, aber für viele beginnt der wahre Kampf erst jetzt.
In den kalten Fluren eines überfüllten Lazaretts, wo die Lebenden und Toten beinahe ununterscheidbar nebeneinander liegen, kämpfen die Verwundeten nicht nur gegen ihre physischen Wunden, sondern auch gegen eine unbarmherzige Bürokratie und die Wirren einer untergehenden Ordnung. Ein junger Arzt, selbst versehrt, wird unfreiwillig zum Anführer in einer Stadt, die zwischen Verzweiflung und Revolution schwankt. Während das Chaos die Straßen erfüllt und die Hoffnung schwindet, muss er entscheiden, ob er die Verantwortung für ein System übernimmt, das er kaum versteht – und das ihn am Ende fast zugrunde richtet.
Dieses packende Zeitdokument aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und der deutschen Revolution wirft einen schonungslosen Blick auf die Abgründe menschlicher Existenz und zeigt, wie dünn der Faden zwischen Heldentum und Wahnsinn ist.
Am kommenden Tag, dem 7. November, demonstrierten die gehfähigen Insassen unserer sämtlichen Lazarette. Es kam darauf an, dass auch die Kameraden von Dresden-Neustadt über die Absperrung der Augustusbrücke zu uns gelangten. Ich stand mit den Altstädter Demonstranten an der Brühlschen Terrasse. Ein Zug mit Transparenten rückte von der Neustädter Seite heran. Ein starkes Aufgebot berittener Gendarmerie hatte die Brücke abgeriegelt. Immer näher kam der Zug. Der Zusammenstoß schien unvermeidlich. Plötzlich rissen die Gendarmen die Pferde herum und preschten davon. Was war geschehen? Die Lazarettinsassen trugen auf der Vorderseite ihrer Transparente die Aufschrift: VORSICHT! ISOLIERBARACKEN! Die Gendarmen aber – dies lesend – sahen offenbar in ihrem kindlichen Gemüt die Typhusbazillen leibhaftig wie blutgierige Geier auf sie losflattern. Schreckerfüllt waren sie davongeprescht, während die Demonstranten ihre Transparente umdrehten, und nun stand auf der anderen Seite in riesigen Lettern : NIEDER DER KRIEG! ES LEBE DER FRIEDE!
So marschierten sie über die Brücke zu uns.
*
Das war am Morgen des 7. November 1918. Doch schon zwei Monate danach, am 17. Januar 1919, bei unserer Demonstration nach der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, rötete unter den MG-Feuerstößen der Noskesöldner in der Wettinerstraße Arbeiterblut auch das Dresdener Pflaster.
Vorerst aber überwog das Satyrspiel den Ablauf der Tragödie. Mitte November meldete man mir, dem Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats, in der Stadt befinde sich immer noch eine militärärztliche Dienststelle, die heimkehrende Soldaten als kv (kriegsverwendungsfähig) registriere. Ich fuhr mit zwei Kameraden hin und fand tatsächlich dort den „königlichen“ Generalarzt M. in voller Büroschlacht mit seinem ganzen Stab, die Heimkehrer auf „Kriegsverwendungsfähigkeit“ untersuchend. Auf meine wohl nicht sehr leise Belehrung, dass der Arbeiter- und Soldatenrat sämtliche alten Militärämter aufgelöst habe, starrte mich der Generalarzt fassungslos an und stieß dann die Worte hervor: „Wenn dem so ist, weshalb halten Sie dann den Dienstweg nicht inne?“ Hoffnungslos, dem alten Herrn klarzumachen, was inzwischen geschehen war. Man konnte ihn nur nach Hause schicken. Erst später erkannten wir, dass diese alten Herrschaften gar nicht so harmlos waren, sondern bereits nach einigen Wochen die „Baltikumer“ auf uns hetzten und sich die Hände rieben, während Arbeiterblut auf Dresdens Straßen floss.
Friedrich Wolf (* 23. Dezember 1888 in Neuwied; † 5. Oktober 1953 in Lehnitz) war ein deutscher Arzt, Schriftsteller und Dramatiker, der sich besonders durch seine politische und literarische Arbeit einen Namen machte.
Friedrich Wolf wurde als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Er studierte von 1907 bis 1912 Medizin, Philosophie und Kunstgeschichte in verschiedenen deutschen Städten und promovierte 1913 in Medizin. Während des Ersten Weltkriegs diente er als Truppenarzt und entwickelte sich zum entschiedenen Kriegsgegner. Nach dem Krieg engagierte er sich politisch und wurde Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats in Dresden.
Wolf war ab 1928 Mitglied der KPD und verfasste zahlreiche politisch engagierte Werke. Sein bekanntestes Drama, "Cyankali" (1929), prangerte das Abtreibungsverbot des § 218 an und löste eine breite gesellschaftliche Debatte aus. Neben seiner literarischen Tätigkeit arbeitete er als Arzt und engagierte sich für die Rechte der Arbeiterklasse.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Wolf 1933 in die Sowjetunion, wo er weiterhin literarisch aktiv war und für Radio Moskau arbeitete. Während des Spanischen Bürgerkriegs versuchte er, als Arzt an den Internationalen Brigaden teilzunehmen, blieb aber in Frankreich. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er in Frankreich interniert, konnte jedoch 1941 mit sowjetischer Hilfe nach Moskau zurückkehren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Wolf nach Deutschland zurück und engagierte sich in der DDR kulturpolitisch. Er war Mitbegründer der DEFA und der Deutschen Akademie der Künste. Zudem diente er von 1949 bis 1951 als erster Botschafter der DDR in Polen. Friedrich Wolf starb 1953 an einem Herzinfarkt und wurde auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin beigesetzt.
Wolf hinterließ ein umfangreiches literarisches Werk, das durch seinen politischen und sozialen Einsatz geprägt ist. Seine Söhne Markus und Konrad Wolf setzten sein Erbe als bedeutende Persönlichkeiten der DDR fort.
Staatliche Auszeichnungen
1943: Orden Roter Stern
1949: Nationalpreis der DDR II. Klasse für das Theaterstück Professor Mamlock
1950: Nationalpreis der DDR I. Klasse für den Film Rat der Götter.
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- Artikel-Nr.: SW9783689121884458270.1
- Artikelnummer SW9783689121884458270.1
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Autor
Friedrich Wolf
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 15
- Veröffentlichung 21.08.2024
- ISBN 9783689121884
- Wasserzeichen ja