Die Baumwollfähnchen
Im eisigen Winter des Zweiten Weltkriegs dringt die Realität der Ostfront bis in die Nähstuben der Heimat vor. Während Frau Brackebusch und ihre Kolleginnen in einer Textilfabrik „Baumwollfähnchen“ – unzureichende Winterausrüstung für die Soldaten – herstellen, wachsen ihre Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Krieges. In einem Gespräch voller bitterer Wahrheiten und stiller Verzweiflung enthüllt sich das schmerzhafte Auseinanderdriften von Propaganda und Realität. Die Erzählung bietet einen schonungslosen Blick auf die Ohnmacht und Wut der einfachen Menschen im Angesicht von Krieg und Elend.
Haben Sie heut im Radio gehört, Frau Brackebusch, da melden sie von der ersten großen Kältewelle in Russland; ich glaub, mich trifft der Schlag, fünfunddreißig Grad unter Null soll es da vor Stalingrad sein, wo doch mein Willi liegt – was sagen Sie, Frau Brackebusch, minus fünfunddreißig Grad, so was gibt es doch in Europa überhaupt nicht? Ich dacht auch zuerst, ich hätt eine falsche Akustik im Ohr, und hab bei uns im Betrieb gefragt; aber es ist schon so, viele Mädels wussten es auch, und manchen von denen stak heute jedes Wort wie ’n Kloß in der Kehle, weil sie auch einen ihrer Leute in Russland haben. Der Maria Schütz ihr Bruder, wissen Sie, der früher Chauffeur war, dem sind doch letzten Winter vor Moskau beide Füße erfroren und mussten dann amputiert werden, der geht jetzt an Krücken … schade um so ’nen kräftigen Mann! – Was meinen Sie, Frau Brackebusch? Die Winterausrüstung sei diesmal besser? Mein Gott, sind Sie aber gebildet, Frau Brackebusch, so von wegen der umwendbaren Schneejacken unsrer Männer an der Ostfront … das ist ja, was mich so in Rage bringt, wie ich heute von den fünfunddreißig Grad unter Null höre und diese zweifarbigen, umdrehbaren Schneejacken, die werden doch grade in unsrer Bude zugeschnitten und genäht, das Material hab ich täglich zwischen den Fingern! Wissen Sie, wie unsre Mädels das nennen? „Baumwollfähnchen“, da ist bloß Baumwolle und Kunstfaser dran, da fegt so ein Ostwind durch wie mit Messern!
Friedrich Wolf (* 23. Dezember 1888 in Neuwied; † 5. Oktober 1953 in Lehnitz) war ein deutscher Arzt, Schriftsteller und Dramatiker, der sich besonders durch seine politische und literarische Arbeit einen Namen machte.
Friedrich Wolf wurde als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Er studierte von 1907 bis 1912 Medizin, Philosophie und Kunstgeschichte in verschiedenen deutschen Städten und promovierte 1913 in Medizin. Während des Ersten Weltkriegs diente er als Truppenarzt und entwickelte sich zum entschiedenen Kriegsgegner. Nach dem Krieg engagierte er sich politisch und wurde Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats in Dresden.
Wolf war ab 1928 Mitglied der KPD und verfasste zahlreiche politisch engagierte Werke. Sein bekanntestes Drama, "Cyankali" (1929), prangerte das Abtreibungsverbot des § 218 an und löste eine breite gesellschaftliche Debatte aus. Neben seiner literarischen Tätigkeit arbeitete er als Arzt und engagierte sich für die Rechte der Arbeiterklasse.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Wolf 1933 in die Sowjetunion, wo er weiterhin literarisch aktiv war und für Radio Moskau arbeitete. Während des Spanischen Bürgerkriegs versuchte er, als Arzt an den Internationalen Brigaden teilzunehmen, blieb aber in Frankreich. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er in Frankreich interniert, konnte jedoch 1941 mit sowjetischer Hilfe nach Moskau zurückkehren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Wolf nach Deutschland zurück und engagierte sich in der DDR kulturpolitisch. Er war Mitbegründer der DEFA und der Deutschen Akademie der Künste. Zudem diente er von 1949 bis 1951 als erster Botschafter der DDR in Polen. Friedrich Wolf starb 1953 an einem Herzinfarkt und wurde auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin beigesetzt.
Wolf hinterließ ein umfangreiches literarisches Werk, das durch seinen politischen und sozialen Einsatz geprägt ist. Seine Söhne Markus und Konrad Wolf setzten sein Erbe als bedeutende Persönlichkeiten der DDR fort.
Staatliche Auszeichnungen
1943: Orden Roter Stern
1949: Nationalpreis der DDR II. Klasse für das Theaterstück Professor Mamlock
1950: Nationalpreis der DDR I. Klasse für den Film Rat der Götter.
Werkverzeichnis
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- Artikel-Nr.: SW9783689123017458270
- Artikelnummer SW9783689123017458270
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Autor
Friedrich Wolf
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 12
- Veröffentlichung 02.10.2024
- ISBN 9783689123017
- Wasserzeichen ja