Der große Betrug
Die Geschichte einer Arbeiterfamilie
Ein Roman über Armut, Aufbruch und das zerbrechliche Versprechen von Gerechtigkeit – so eindringlich wie zeitlos.
In den Straßen Berlins nach dem Ersten Weltkrieg kämpfen Albert Buchner, seine Frau Margot und ihre Kinder ums nackte Überleben. Zwischen Fabrikarbeit, Hunger, Wohnungsnot und politischer Repression zerbricht langsam, was einmal Hoffnung hieß. Inflation frisst das Brot, Not treibt zur Selbstaufgabe, und der Traum von sozialer Gerechtigkeit zerschellt an der rauen Wirklichkeit der Weimarer Republik.
Adam Scharrer – selbst Arbeiter und politisch Verfolgter – erzählt mit scharfem Blick und tiefer Menschlichkeit von den Zumutungen der Zeit: von den Schicksalen der Vergessenen, den Widersprüchen der sogenannten Demokratie, von politischer Desillusionierung und mutigem Widerstand.
„Der große Betrug“ ist ein erbarmungslos ehrlicher Gesellschaftsroman über den Verrat an der Arbeiterklasse – aber auch ein stilles Denkmal für Würde, Solidarität und den ungebrochenen Willen, Mensch zu bleiben.
Ein Werk von brennender Aktualität – erschütternd, anklagend, unvergesslich.
Einige Tage später wurden Meier und der Betriebsrat zur Direktion vorgeladen. Meier forderte jedoch eine von den Kollegen gewählte Kommission, was auch bewilligt wurde. Der vogelgesichtige Herr Reimer, die ,rechte Hand‘ der Betriebsleitung, empfing sie. „Nehmen Sie bitte Platz, meine Herren!“, lud er sie ein und zeigte mit weit ausholender Handbewegung auf tiefe Sessel. „Der Herr Betriebsleiter kommt sofort!“
„'Morgen, meine Herren!“, grüßte Kirchdorf.
„'Morgen“.
Nur einer fügte hinzu: „Herr Betriebsleiter“. Es war Scheffler, der Betriebsrat.
„Wir können also beginnen. Wenn die Herren einverstanden sind, werde ich, natürlich nur um die Verhandlungen zu erleichtern, den Vorsitz übernehmen.“ Reimer lachte wohlwollend. „Sonst kann einer von den Herren ebenso gut …“
„Machen Sie nur weiter“, unterbrach Meier.
„Dann möchte wohl Herr Kirchdorf erst einige Worte sprechen, wenn die Herren …?“
Es erfolgte kein Widerspruch.
Kirchdorf fuhr mit der Hand über die Stirn. „Es handelt sich darum, ein – vielleicht nicht ganz unberechtigtes – Misstrauen zu beseitigen. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es mir darauf ankommt, zu einer Verständigung zu kommen.“ Kirchdorf sah flüchtig in die vor ihm sitzenden Gesichter, als wollte er die Wirkung seiner Worte abschätzen und die der Betonung, die er auf das Wort ,Verständigung‘ legte. Dann fuhr er fort:
„Wenn es uns nicht gelingt, auf Grund einer durchgreifenden Neukalkulation eine solide Unterlage für die Leistungsfähigkeit unserer Werke zu bekommen, dann ist die Stilllegung unvermeidlich. Ich glaube, dass Letzteres auch für die Belegschaft nicht sehr angenehm ist? “
Kirchdorf stockte wieder. Und die Proleten saßen da und überlegten. Das hatten sie nicht erwartet. Meier sah Kirchdorf an, ein unterdrücktes Lachen in den Augen.
Scheffler, der Betriebsrat, fühlte sich berufen, zu sprechen.
„Ich glaube, dass die Leistungsfähigkeit unserer Belegschaft schon voll ausgeschöpft ist, Herr Betriebsleiter. Daran kann doch die Weiterführung des Betriebes nicht scheitern?“
„Das ist wohl zu allgemein gesagt. – Darf ich mit einigen Unterlagen dienen?“
„Bitte, Herr Kirchdorf“, antwortete Scheffler.
„Man kann doch hier rauchen“, platzte Meier da in die Gemütlichkeit und setzte eine Zigarette in Brand. „Das geht hier doch nicht so rasch. Da wird wohl Meister Stempel wieder verschiedene Stunden zupacken müssen.“
Dann folgte ein langer Vortrag des Herrn Kirchdorf. Er sprach vom verlorenen Krieg, von dem Verlust großer Teile der deutschen Industrie durch den Friedensvertrag, von den ungeheuren Lasten, die die verstümmelte deutsche Wirtschaft trotzdem zu tragen habe, und erläuterte dann den vorgetragenen Zahlenberg: „Sie sehen also, meine Herren, wie die Dinge wirklich liegen. Zwei amerikanische Arbeiter leisten mehr als fünf englische und mehr als sieben deutsche. Natürlich besagt das nichts gegen den Arbeitswillen der deutschen Arbeiter. Die technische Verbesserung des Arbeitsprozesses, die den amerikanischen Arbeiter in die Lage setzt, diese Leistung zu vollbringen, das ist es! Bei dem technisch hoch entwickelten Stand der amerikanischen und englischen Industrie und den Lasten, die unsere Wirtschaft außerdem noch zu tragen hat, ist es um so notwendiger, mit der Durchorganisierung des Arbeitsprozesses ohne Verzug zu beginnen. Darum handelt es sich, meine Herren. Das ist nur durch gemeinsame Arbeit, getragen von gegenseitigem Vertrauen, möglich. Wenn sich erst die Erkenntnis von der unbedingten Notwendigkeit auch in der Arbeiterschaft durchsetzt, dann wird es auch gelingen, das Schlimmste zu verhindern.“ Kirchdorf betonte die ‚Notwendigkeit‘ und das ‚Schlimmste‘ besonders.
„Hmm“, brummte Meier nach einer Weile und nickte sinnend und rauchend.
Eisenschmidt von den Spitzendrehern meinte: „Da können wir ja noch Geld mitbringen, und dann reicht es auch noch nicht.“
Nun griff Reimer ein. „Herr Kirchdorf sind zu Ende? – Wünscht jemand von den Herren das Wort?“
„Hier!“ Meier drückte seinen Zigarettenrest im Aschenbecher aus und begann:
„Dass die Karre im Dreck steckt, das wissen wir. Und dass wir sie wieder rausziehen sollen, auch! Und wie das gemacht wird, Herr Kirchdorf, das fühlen wir jetzt schon. Wenn man so von der Schicht kommt, zehn Stunden, ein paar Stunden Fahrt noch dazu im Stehen, im kalten Zug und nichts im Magen, da weiß man schon, was die Uhr geschlagen hat. Und worauf läuft denn das alles, was Sie uns da sagen, hinaus? Vier Jahre hat man sich draußen im Dreck rumgesielt, die Frauen und Kinder sind verhungert und verkommen. Dann ist man wieder angesprungen, ochst den ganzen Tag und kann sich doch keine Hose auf’n Arsch kaufen. Und nun kommen Sie und halten uns einen Vortrag, dass das alles noch nicht genug ist. Immer mehr rausschinden. Für uns?“ Meier deutet mit dem Daumen an seine Brust. „Machen Sie doch keine Witze! Wir haben doch auch Augen im Kopf. Immer raus, immer liefern, immer druff! Wo geht denn das ganze Zeug hin, wenn die Amerikaner so billig liefern. Warum erzählen Sie denn nicht, was die amerikanischen Arbeiter verdienen? … Die Kollegen liegen den ganzen Tag mit der Nase auf der Arbeit, wenn sie mal fünf Minuten rausschinden, setzen sie es an anderer Arbeit wieder zu. Und nun verlangen Sie, wir sollen ,einsehen‘“, Meier zog das ,Einsehen‘ lang durch die Zähne, „dass wir uns noch schneller kaputt machen müssen?“
„Wünscht sonst noch jemand von den Herren? –“
„Ich wollte eigentlich dasselbe sagen“, sagte darauf Eisenschmidt. Auch die andern schüttelten die Köpfe. Dieses Köpfeschütteln war hartgesottene Zustimmung.
Scheffler suchte einen parlamentarischen Ausklang der Sitzung zu erreichen.
„Sie müssen verstehen, Herr Kirchdorf, das kommt alles etwas unvorbereitet. Es handelt sich hier ja immerhin um ein recht schwieriges Problem. Im Prinzip sind die Gewerkschaften absolut für Steigerung der Produktion“, das war ein deutlicher Wink gegen Meier, „aber für die Spitzendreherei des Turbinenbaues dürfte erst eine gründliche Vorbereitung notwendig sein.
Kirchdorf stand auf und sagte kurz und kalt:
„Dann sind wir also am Ende. ‚Morgen meine Herren!‘“
Adam Scharrer wurde am 13. Juli 1889 in Kleinschwarzenlohe (heute Gemeinde Wendelstein, Mittelfranken) geboren. Bereits in frühen Jahren prägte ihn das harte Leben der Arbeiterklasse. Nach einer Schlosserlehre führte ihn seine Arbeitssuche durch zahlreiche deutsche Städte sowie nach Österreich, die Schweiz und Italien. Während des Ersten Weltkriegs wurde er als Artillerist an die Ostfront eingezogen. Seine Erfahrungen als Soldat und seine Enttäuschung über die sozialdemokratische Zustimmung zu den Kriegskrediten radikalisierten seine politische Haltung. Er trat dem Spartakusbund bei und engagierte sich später in der linksradikalen KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands).
Scharrer begann in den 1920er-Jahren mit dem Schreiben. Seine erste Erzählung "Weintrauben" (1925) wurde anonym veröffentlicht und brachte ihm eine Anklage wegen "literarischen Hochverrats" ein. Seine Werke sind stark autobiografisch geprägt und erzählen aus der Perspektive der unteren Gesellschaftsschichten. 1930 erschien sein wohl bekanntestes Werk "Vaterlandslose Gesellen", eine proletarische Antwort auf Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues". Der Roman ist eine schonungslose Abrechnung mit dem wilhelminischen Militarismus und dem Ersten Weltkrieg.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste Scharrer untertauchen und floh zunächst in die Tschechoslowakei, dann in die Sowjetunion. Dort lebte er in einer Autorenkolonie und schrieb weiter über die Nöte der Arbeiter und Bauern. Während seines Exils entstanden unter anderem "Maulwürfe" (1934), "Pennbrüder, Rebellen, Marodeure" (1937) und "Der Krummhofbauer und andere Dorfgeschichten" (1939).
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte Scharrer 1945 nach Deutschland zurück und ließ sich in Schwerin nieder. Er arbeitete als Redakteur der "Schweriner Landeszeitung" und wurde Leiter der Literatursektion im Kulturbund. Trotz seiner politischen Nähe zur Arbeiterbewegung trat er keiner Partei bei.
Adam Scharrer starb am 2. März 1948 in Schwerin an den Folgen eines Herzanfalls, der durch eine hitzige Debatte über den Umgang mit der NS-Vergangenheit ausgelöst wurde. Er hinterließ ein umfangreiches literarisches Werk, das in der DDR große Verbreitung fand und als wichtiger Beitrag zur proletarischen Literatur gilt.
Seine Bücher, darunter "Vaterlandslose Gesellen", "Der große Betrug" und "In jungen Jahren", geben bis heute Einblicke in das Leben und die Kämpfe der Arbeiterklasse und bleiben ein wichtiges Zeugnis der deutschen Literaturgeschichte.
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- Artikel-Nr.: SW9783689124533458270
- Artikelnummer SW9783689124533458270
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Autor
Adam Scharrer
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 569
- Veröffentlichung 27.03.2025
- ISBN 9783689124533
- Wasserzeichen ja