Wetterleuchten über Isenheim
Ein Grünewald-Roman
Im Mittelpunkt dieses historischen Romans steht der Maler Mathis Neithart, der unter dem Namen Matthias Grünewald bekannt wurde. Neben Albrecht Dürer war er der expressivste deutsche Maler an der Wende von der Spätgotik zur Renaissance. Sein großes Hauptwerk - der Isenheimer Altar - entstand 1512-1516 im elsässischen Antoniterkloster, wo am „Antoniusfeuer“ Erkrankte gepflegt wurden.
Die Autorin zeichnet anschaulich und mit Detailkenntnis ein genaues Bild jener Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs der Bauernkriege und Reformation. Der Leser taucht gewissermaßen ein in das Leben des berühmten Künstlers und nimmt an seinem Schaffen teil. Einst Erzbischöflicher Hofmaler in Mainz, lebte Grünewald an seinem Lebensende - nach erniedrigenden Bittgängen - sozial entwurzelt in Halle. Geblieben aber sind seine berühmten Werke.
LESEPROBE:
Im Kaminzimmer hat der Qualm einen beißenden Geruch hinterlassen, aber es lässt sich atmen. Meister Mathis breitet die Pläne auf einem Tisch aus und weist Meister Baltz an, die einzelnen Mauerteile und Winkel nachzumessen. Es geht lakonisch zu. Zahlen werden angesagt, verglichen, bestätigt. Weiter hinein in den verrußten Abzug muss der Geselle kriechen. Bisher decken sich alle Angaben.
Plötzlich aber gibt es eine Abweichung. Meister Mathis wird hellwach. »Noch mal! Sagtet Ihr sechsundvierzig? Bei mir steht sechsundsiebzig!«
»Wo?« Im Nu steht Baltz von Martenstein neben Meister Mathis. »Die Zahl soll eine Sieben sein? Wo habt Ihr denn das Zahlenschreiben gelernt? Ihr habt statt dessen wohl Männchen gemalt!«
Ein üblicher Vorwurf! Vielen Leuten will es nicht in den Schädel, dass ein und derselbe Mensch ein exakter Rechner und gleichzeitig ein fantasiebegabter Künstler sein kann. Als ob andere das nicht wären! Leonardo da Vinci zum Beispiel oder Albrecht Dürer. Immer dieser Argwohn: Eines kann er nur vernünftig machen. Entweder - oder. Ein wunder Punkt für Meister Mathis. Folglich geht er jetzt hoch: »Und Ihr! Habt Ihr in Eurer Lehre nichts vom maßstabgerechten Zeichnen gehört?! Selbst wenn Euch die Zahl nicht eindeutig war, so brauchtet Ihr doch wohl nur die Längen zu vergleichen! Und außerdem hättet Ihr mich im Zweifelsfall jederzeit fragen können. Das ist eine verdammt faule Ausrede!«
»Euch oblag die Oberaufsicht! Also hättet Ihr aufpassen müssen!«
»Wie soll ich ahnen, dass ich es mit fachlichen Analphabeten zu tun habe!«
Die Wut schaukelt sich hoch, droht in unsinnige Feindschaft auszuarten. Meister Mathis erschrickt selbst.
Im Kaminzimmer hat der Qualm einen beißenden Geruch hinterlassen, aber es lässt sich atmen. Meister Mathis breitet die Pläne auf einem Tisch aus und weist Meister Baltz an, die einzelnen Mauerteile und Winkel nachzumessen. Es geht lakonisch zu. Zahlen werden angesagt, verglichen, bestätigt. Weiter hinein in den verrußten Abzug muss der Geselle kriechen. Bisher decken sich alle Angaben.
Plötzlich aber gibt es eine Abweichung. Meister Mathis wird hellwach. »Noch mal! Sagtet Ihr sechsundvierzig? Bei mir steht sechsundsiebzig!«
»Wo?« Im Nu steht Baltz von Martenstein neben Meister Mathis. »Die Zahl soll eine Sieben sein? Wo habt Ihr denn das Zahlenschreiben gelernt? Ihr habt statt dessen wohl Männchen gemalt!«
Ein üblicher Vorwurf! Vielen Leuten will es nicht in den Schädel, dass ein und derselbe Mensch ein exakter Rechner und gleichzeitig ein fantasiebegabter Künstler sein kann. Als ob andere das nicht wären! Leonardo da Vinci zum Beispiel oder Albrecht Dürer. Immer dieser Argwohn: Eines kann er nur vernünftig machen. Entweder - oder. Ein wunder Punkt für Meister Mathis. Folglich geht er jetzt hoch: »Und Ihr! Habt Ihr in Eurer Lehre nichts vom maßstabgerechten Zeichnen gehört?! Selbst wenn Euch die Zahl nicht eindeutig war, so brauchtet Ihr doch wohl nur die Längen zu vergleichen! Und außerdem hättet Ihr mich im Zweifelsfall jederzeit fragen können. Das ist eine verdammt faule Ausrede!«
»Euch oblag die Oberaufsicht! Also hättet Ihr aufpassen müssen!«
»Wie soll ich ahnen, dass ich es mit fachlichen Analphabeten zu tun habe!«
Die Wut schaukelt sich hoch, droht in unsinnige Feindschaft auszuarten. Meister Mathis erschrickt selbst. Das ging zu weit. Das hätte er besser nicht sagen sollen! Er sucht zu beschwichtigen: »Jedenfalls wissen wir jetzt, wo der Fehler liegt. Wir müssen eine Überschlagsrechnung machen, wie viel zusätzliche Arbeitsstunden der Umbau bedeutet. Wie viel muss abgerissen werden?«
Der Maurermeister schluckt. Eigentlich wollte er’s dem Maler geben, der sich hier als Ingenieur aufspielt, aber vor eine so konkrete Frage gestellt unterdrückt er seinen Zorn. Er guckt in den Kaminabzug, bedenkt die Mauerdicke. Ihm wird siedend heiß. »Ich fürchte, fast alles!«
Meister Mathis wird starr vor Schreck. »Das bedeutet - sieben Wochen Arbeit umsonst? Ist der Mörtel denn schon so hart, dass die Steine nicht wieder verwendet werden können?«
»Ein Teil der Steine geht sicher dabei zu Bruch.«
Geboren 1934 in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern).
Studium der Kunstgeschichte und Klassischen Archäologie an der Humboldt-Universität BerIin. Diplom, Promotion zum Dr. phil.
1965-69 Redakteurin am Lexikon der Kunst, HU Berlin.
1973-84 Leiterin der Graphischen Sammlung des Staatlichen Museums Schwerin.
Ausstellungsbetreuungen u.a. in Japan, Mexiko und Estland.
Studienaufenthalte in Holland, Frankreich, England, Irland, Skandinavien, Italien und den USA
Verheiratet seit 1955, drei Kinder, vier Enkel.
Seit 1985 freischaffende Schriftstellerin.
Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller und im Friedrich-Bödecker-Kreis.
Auszeichnungen:
Franz Bunke-Preis 1991 (Hamburg),
Peter-Härtling-Preis 1994 (Weinheim).
Bibliografie (Auswahl):
Das Haus an der Voldersgracht. Ein Vermeer-Roman. Prisma-Verlag, Leipzig 1977,
Meister Bertram. Ein Künstlerroman. Prisma-Verlag, Leipzig 1981,
A. v. Ostade. Radierungen, eigene Bestände im Staatlichen Museum Schwerin. Staatliches Museum, Schwerin 1985,
Die Woge. Ein Hokusai-Roman. Prisma-Verlag, Leipzig 1988,
Das mecklenburgische Reutergeld von 1921. Ein kulturgeschichtliches Kuriosum. Stock und Stein, Schwerin 1994,
Ein Schmetterling aus Surinam. Die Kindheit der Maria Sibylla Merian. Beltz und Gelberg, Weinheim 1995,
Wetterleuchten über Isenheim. Ein Grünewald-Roman. Fouqué-Literaturverlag, Egelsbach/Frankfurt am Main 2002,
Schwerin. Hinstorff, Rostock 1998,
Mecklenburg-Vorpommern. Hinstorff, Rostock 1999,
Reisefieber-Fieberreisen. Helms, Schwerin 2004,
Quintessenzen. Gedichte. Edition Nordwindpress, Hof Grabow 2006,
Bei den Schmetterlingen in Surinam. Die Reise der Maria Sibylla Merian. Edition Nordwindpress, Dalberg-Wendelstorff 2008.
Der Maler und sein Biograph. Ein Thomas Gainsborough-Roman. Edition Nordwindpress, Lychen 2011
Fast ein Jahrhundert. Das lange Leben der Alma M. geborene S. Edition Nordwindpress, Lychen 2012
Der Traum vom Glück ohne Ende. Aus dem Leben des Malers Adrian Ludwig Richter. EDITION digital, Pinnow 2014
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- Artikel-Nr.: SW9783956550683.1
- Artikelnummer SW9783956550683.1
-
Autor
Ingrid Möller
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 306
- Veröffentlichung 22.09.2014
- ISBN 9783956550683