Spuk auf Spyker
Wundersame Geschichten
„Schritte, tapp tapp, tapp tapp. Nicht laut, aber deutlich vernehmbar, vierfüßig, wenn er sich nicht täuschte, und ganz in der Nähe, vielleicht hinter der Bohlenwand. Ein unverständliches Wispern begann, mal dumpf, mal glucksend, dann stöhnend, als würgte der Teufel seine Großmutter, und löste sich in einem verhaltenen Schrei …!
Unheimlich, gespenstisch, Schauder erregend, aber nicht ohne Humor und Ironie geht es zu in diesen wundersamen Geschichten. Pommern und die Uckermark haben da allerhand zu bieten: Ein Teufel macht in der Gestalt eines hübschen Mädchens dem starken Geschlecht ganz schön zu schaffen, Ferdinand lässt sich von einem Männchen mit einem großen Hut helfen, eine Frau ohne Kopf erscheint und ein uralter, steingrauer Wels, dem Merkwürdiges widerfährt, taucht auf. Aber nicht nur in der Vergangenheit spukt es, auch die Gegenwart ist nicht frei von makabren Ereignissen, lässt uns Heinz-Jürgen Zierke wissen. Eine Äbtissin macht einem Dienstreisenden Angst, auf Schloß Spyker stören dunkle Gestalten eine Schulung, und schließlich geht es um viel Geld, einen Besenbinder und - um Spucke in einer Spuk- und Spuckgeschichte an einem nicht näher bezeichneten Ort. Manche Stadt und manches Dorf allerdings finden deutliche Erwähnung. Und so kann der geneigte Leser überprüfen, ob dergleichen Un-Heimlichkeiten auch heute noch stattfinden in: Stralsund, Tribsees, Voigdehagen, Rom, Lübz, Parchim, Abtshagen, Gornow, Wildenbruch, Jamund, Torgelow, Saal, Damgarten, Putgarten, Sagard, Arkona, Jatznick, Kölzow, Stolzenburg, Pasewalk, Greifenberg, Prenzlau, Woldegk, Neubrandenburg, Fürstenwerder, Ueckermünde und auf Schloß Spyker.
Der Teufel als Mädchen
Der Schneider Plück
Der brennende Schatz
Die Meerfrau
Der alte Mann am Reisighaufen
Die Mittagsfrau
Der Teufelstaler
Der steingraue Wels
Der Teufelstanz
Die Frau ohne Kopf
Bittersüßer Nachtschatten
Spuk auf Spyker
Der Mann, der das Gras wachsen sah
Ein Trompetensignal zerriss das schweißtreibende Schweigen. Zwei Männer, ganz in Schwarz wie alle hier im Saal, hatten einen roten in ihre Mitte genommen, rot der Umhang, rot die Maske, rot die Kapuze. Unter dem Umhang baumelte deutlich sichtbar das Schwert. Der Henker! entfuhr es Aldi, nein, er dachte es nur; er blieb stumm wie die anderen auch. Kein Wort fiel, kein Hüsteln, kein Füßescharren störte die Stille.
Das tat der Herold. Man sah ihn nicht; nur der Widerschein des von dem blanken Metall der Fanfare zurückgeworfenen Lichts huschte über Decken und Wände. Er verkündete mit heller Knabenstimme: „Der Scharfrichter von Stralsund!“ - Mein Gott, gab es den heutzutage noch? Nein, nein, das musste ein Mummenschanz sein. Wir leben doch im zwanzigsten Jahrhundert!
Die Dreiergruppe trat auf den Teppich. Die schweren Stiefel hinterließen sichtbare Spuren in der weichen Wolle. In der Teppichmitte stand - Alfred hatte ihn bis jetzt übersehen - ein grober hüfthoher Holzklotz, der Richtblock.
Ein neues schrilles Signal des unsichtbaren Herolds. Die Schiebetür an der Rückseite des Saales glitt beiseite, und auch hier traten drei Mann ein, zwei in Schwarz und in ihrer Mitte ein unverhüllter alter Mann. Es war - Aldi blieb der Mund offen, was hinter der Maske zum Glück niemand bemerkte - Graf Wrangel selbst, der Herr des Schlosses, als sei er eben aus dem lebensgroßen Bild, das im Lesezimmer hing, herabgestiegen. Die bunte Marschallschärpe schlotterte um den Greisenleib. Aldi, dem Ordnungsfanatiker, fiel auf, dass die weißen Spitzenmanschetten angegraut und überdies falsch gefältelt waren.
Die schwarzen Wächter stießen dem armen Alten die Fäuste ins Genick, bis er niederkniete und den Kopf auf den Bock legte. Der Scharfrichter zog das Schwert, stellte es vor sich hin und stützte sich mit beiden Händen auf die Parierstange. „Wo andre Schwerter eine Spitze haben“, belehrte uns Aldi, „wie das des Herzkönigs auf meinem Skatblatt, war alles abgerundet, nicht zum Stich, nur zum Hieb geeignet.“ Logisch, ein Scharfrichter kann ja nicht wie ein Schauspielschüler mit einem Florett herumfuchteln. Die Stimme des Herolds, oder war es eine andere, hatte ihre Frische verloren, klang hohl wie aus einem dumpfen Keller. Wegen verschuldeter Niederlage und heimlicher Unbotmäßigkeit gegen königliche Anordnungen sei Karl Graf Wrangel zum Tode durch das Schwert verurteilt.
Bewegung kam in die schwarz vermummten an den Wänden. Sie drängten sich zusammen, als fürchteten auch sie für ihre Hälse den scharfen Schnitt des Richtstahls.
Der Scharfrichter packte den Schwertknauf.
Das Licht erlosch, ohne dass jemand die Kerzen ausgeblasen hätte. Aldi hielt den Atem an, erwartete den Todesschrei. Doch es blieb still, totenstill. Nur eine Mücke summte aufreizend. Er fühlte wieder den harten Griff seines Begleiters, der ihn aus dem Saal schob, ihn über Treppen und Gänge führte, in Winkeln, im Kreise, bis vor die Zimmertür, wo er ihm Umhang und Maske entriss, ihn in die Stube stieß und unhörbar verschwand.
Als Aldi am andern Morgen aufwachte und sich gähnend auf den Bettrand setzte, glaubte er geträumt zu haben. Verwunderlich war nur, dass seine Sachen, die er am Abend so kunstvoll auf dem Stuhlsitz aufgeschichtet hatte, achtlos verstreut auf dem Boden lagen. Und die grünblauen Flecken am Oberarm? Er spürte immer noch den harten Griff des Schwarzen.
Und die Kollegen? In den Lektionen blickte er unruhig von einem zum andern. Die Lektoren ermahnten ihn, erbaten sich Aufmerksamkeit. Auch in den Pausen deutete kein Wort, keine Miene, kein verschleiertes Auge auf die Aufregungen der vergangenen Nacht. Fragen scheute er. Gewerkschaftskassierer machen sich nicht gerne lächerlich.
Am Abend, im Bett, rechnete er seine Kassenbucheinträge der letzten beiden Jahre durch, vorwärts und rückwärts, damit sich der Kopf mit Zahlen füllte und kein Platz für schwarze Umhänge und rote Kapuzen blieb. Mit Erfolg.
Auch die nächste Nacht blieb er unbehelligt. In der dritten aber trat der Vermummte wieder durch die verriegelte Tür, warf ihm Umhang und Maske zu und führte ihn über winklige Gänge und runde Treppen hinab in den spärlich beleuchteten Teppichsaal.
Geboren 8.7.1926 in Marienthal, Kreis Greifenhagen (Pommern), aufgewachsen und Volksschule in Wildenbruch/Pommern.
Lehrerbildungsanstalt in Neisse und Patschkau (Oberschlesien), Arbeitsdienst, Wehrmacht, Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion.
Vorstudienschule Greifswald, Studium der Germanistik (abgebrochen), Dramaturg an den Theatern Greifswald und Stralsund, Arbeit in verschiedenen Kulturverwaltungen, Chefdramaturg des Staatlichen Folkloreensembles der DDR.
Seit 1967 freischaffender Schriftsteller.
Heinz-Jürgen Zierke lebt seit 1969 in Stralsund.
Bibliografie
Das Gottesurteil, Roman, 1965
Sieben Rebellen, 1957
Sie nannten mich Nettelbeck, Roman, 1969
Eine Chance für Biggers, Roman, 1970
Nowgorodfahrer, Roman, 1973
Von einem, der auszog, Napoleon zu schlagen, 1975
Gänge durch eine alte Stadt, Riga, 1977
Karl XII. ,Roman, 1978
Eine livländische Weihnachtsgeschichte, Erzählungen, 1981
Ich war Ferdinand von Schill, Roman, 1983
Der Dänenschatz, 1988
Wibald der Mönch, Roman, 1987
Odins Schwert, 1990
Pommern grient,1997
Spuk auf Spyker, Erzählungen, 1998
Ana Regina vaziuoja i miesta, Novelle, 1998
Das Mädchen aus Vineta, Erzählung, 2000
Kinderhörspiele (vor 1990)
Hensken
Jana
Der schwarze Stein
Der Rebellenmajor u. a.
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- Artikel-Nr.: SW9783956552885
- Artikelnummer SW9783956552885
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Autor
Heinz-Jürgen Zierke
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 156
- Veröffentlichung 22.03.2015
- ISBN 9783956552885