Brennaburg

Herbst 928. Die Panzerreiter König Heinrichs I. überqueren die Elbe. Binnen weniger Monate besiegen sie die slawischen Heveller und deren Nachbarn. Als sie vier Jahre später sogar ein ungarisches Heer in die Flucht schlagen, scheint es, dass niemand ihnen widerstehen kann. Doch schon bald nach Heinrichs Tod gerät Otto, sein Sohn und Nachfolger, in größte Bedrängnis. Dieser fundierte historische Roman lässt die Regierungszeit Heinrichs I. und Ottos des Großen lebendig werden. Er schildert auch ein politisches Massaker, das zu den folgenschwersten des europäischen Mittelalters zählt. DORT, WO DIE Werkstatt der Töpfer an... alles anzeigen expand_more

Herbst 928. Die Panzerreiter König Heinrichs I. überqueren die Elbe. Binnen weniger Monate besiegen sie die slawischen Heveller und deren Nachbarn. Als sie vier Jahre später sogar ein ungarisches Heer in die Flucht schlagen, scheint es, dass niemand ihnen widerstehen kann. Doch schon bald nach Heinrichs Tod gerät Otto, sein Sohn und Nachfolger, in größte Bedrängnis.

Dieser fundierte historische Roman lässt die Regierungszeit Heinrichs I. und Ottos des Großen lebendig werden. Er schildert auch ein politisches Massaker, das zu den folgenschwersten des europäischen Mittelalters zählt.



DORT, WO DIE Werkstatt der Töpfer an die der Weber grenzte, legte eine Magd jeden Morgen einen Stapel Felle ab, der einem Einbeinigen als Sitzplatz diente. Die Hofleute nannten ihn Walter und nahmen ihn gern für Arbeiten in Anspruch, welche die Handwerker nicht in der jeweils gewünschten Frist erledigen konnten. Dafür bekam er, was er zum Leben benötigte. Meist war er bereits gegen Mittag von Krügen, Schüsseln und Körben umstellt, für alle ein Zeichen, dass er bis auf weiteres genügend Aufträge hatte. Da er ständig schmunzelte und vor sich hinsprach, hielt ihn Otto für geistesschwach.

Einmal beobachtete er, wie Walter den Stamm einer jungen Esche spaltete, indem er der Länge nach einen Keil hineintrieb. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, stützte er sich dabei auf eine Krücke, die er unter die linke Achselhöhle geklemmt hatte. Von Mitleid erfasst, wollte ihm Otto helfen, denn ihm schien, dass diese Arbeit für den Krüppel eine furchtbare Quälerei bedeutete.

Als er näher trat, spuckte der Mann plötzlich aus und sagte mit einer eigentümlich hellen Stimme: „Da schwitze ich nun über diesem Drecksding, und es macht mir auch noch Spaß. Ist das nicht verrückt?“

Otto traute seinen Ohren nicht. Dass ihn ein Knecht auf diese Weise ansprach, war zu ungewöhnlich. Aber noch während er mit seiner Verblüffung rang, hörte er sich antworten: „Es sieht aus, als sollte es ein Bogen werden. Warum sagst du Drecksding dazu?“

„Weil es eins ist“, erwiderte der andere trocken. Er fuhr mit den Fingerspitzen über die eine Schnittstelle des Stämmchens und murmelte: „Prachtvolles Holz. Schön fest. Faser ganz gerade. Auf der Nordseite gewachsen, im Schatten. Ein Drecksding ist es trotzdem.“

„Aha“, machte Otto. Er hatte richtig vermutet, der Mann war offenbar nicht bei Verstand. Es gab nichts mehr zu sagen, dennoch zögerte er weiterzugehen.

In diesem Moment ließ der andere von seiner Arbeit ab, setzte sich und klopfte neben sich auf den Fellhaufen. „Nun komm schon. Dir zittern ja die Knie.“

Widerspruchslos folgte Otto der Aufforderung. Es war genau das, wonach ihn jetzt verlangte: In der Sonne sitzen und mit jemandem reden, selbst, wenn es sich bei diesem Jemand um einen harmlosen Irren handelte.

„Möchtest du einen Schluck trinken?“ Walter wies auf die Krüge um sich herum. „Bier, Most, Milch, du kannst haben, was du willst. Nur Wein fehlt. Den könnten sie mir auch mal wieder spendieren.“

Otto verneinte. Um nicht unhöflich zu wirken, fragte er in einem verbindlichen Ton: „Warst du auch mit im Krieg? Ich entsinne mich nicht, dich gesehen zu haben.“

„Heißt das etwa, du würdest alle wiedererkennen, die mit waren?“, fragte der Mann, ihn neugierig musternd, zurück.

„Nein, wohl kaum“, entgegnete Otto, ein bisschen befremdet, dass seine leutselige Bemerkung so nüchtern aufgenommen wurde.

Der andere lachte geringschätzig, so, als habe er diese Antwort erwartet. „Ich war im Krieg, aber nicht in dem, den du meinst, junger Herr. Ich kämpfte vor einigen Jahren an der Seite deines Vaters in Lothringen.“

Otto errötete. Dieser Walter wusste demnach, wen er vor sich hatte. Umso verwunderlicher war, wie ungezwungen er sich benahm … Statt sich jedoch darüber zu ärgern, überkam ihn erneut das Bedürfnis, dem anderen etwas Angenehmes zu sagen: „In Lothringen also. Ja, ich erinnere mich, obschon ich damals ein Kind war. Aber ich weiß noch sehr gut, wie alle von diesem Krieg geredet haben.“

„Wie denn?“

„Nun, dass er ein Erfolg gewesen war.“



Am 29. August 1948 in Oberseifersdorf geboren, Abitur, Lehre als Schriftsetzer, Studium der Kulturwissenschaft und Soziologie, Forschungsstudium am Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig, Promotion.

Er lehrte an der Berliner Humboldt-Universität, der Universität Bratislava und der Hochschule für Bildende Künste Dresden.

Seit 1983 ist er freier Autor und veröffentlichte Romane und Kulturpublizistik. Er ist Mitglied im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) sowie des Exil-P.E.N. Von 1991 bis 2004 war er Regionalvorsitzender des VS und von 1995 bis 2003 stellvertretender Vorsitzender des Sächsischen Literaturrates. Seit 1991 veröffentlicht er Sachbuch- und Veranstaltungsrezensionen in der Presse sowie Texte in Anthologien und Zeitschriften.

Wolfgang David ist Sohn des Schriftstellers Kurt David. Er lebt in Dresden.



Werke:

Bendgens Frauen oder Prüfungen ohne Testat. Roman, Mitteldeutscher Verlag Halle/S. 1980

Furcht vor Amseln. Hörspiel, Rundfunk der DDR, UA 1983

Hund unterm Tisch? Essay zur Literaturkritik, Mitteldeutscher Verlag Halle/S. 1985 (Förderpreis des Literaturinstitutes Leipzig)

Brennaburg. Historischer Roman, Verlag Neues Leben Berlin 1991

Der bleiche Tod der Sarazenen. Historischer Roman, SALON LiteraturVERLAG, München 2012

Im Aufwind der Macht. Roman, SALON LiteraturVERLAG, München 2021

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