Taxi in die Hölle

John Amber - Schatten über New York - Band 1

In New York werden die Leichen von jungen Frauen gefunden. Andere verschwinden spurlos. Das Letzte, was von ihnen bekannt ist: Sie haben ein Taxi bestiegen. Bald wird klar, die Taxifahrer sind Untote aus der Hölle. Der furiose Auftakt der neuen Heftromanserie John Amber – Schatten über New York von Newcomer Peter Coltrane Als Crissy in das gelbe Taxi stieg, wusste sie im ersten Moment gar nicht, wie sie sich fühlen sollte. Einerseits war sie erleichtert, aus dem ‚Lime Light‘ entkommen zu sein. Die laute Musik, die vielen Menschen und die schlechte Luft hatten ihr regelrecht zugesetzt. Andererseits war sie todtraurig. Was sie schon länger... alles anzeigen expand_more

In New York werden die Leichen von jungen Frauen gefunden. Andere verschwinden spurlos. Das Letzte, was von ihnen bekannt ist: Sie haben ein Taxi bestiegen. Bald wird klar, die Taxifahrer sind Untote aus der Hölle.

Der furiose Auftakt der neuen Heftromanserie John Amber – Schatten über New York von Newcomer Peter Coltrane



Als Crissy in das gelbe Taxi stieg, wusste sie im ersten Moment gar nicht, wie sie sich fühlen sollte. Einerseits war sie erleichtert, aus dem ‚Lime Light‘ entkommen zu sein. Die laute Musik, die vielen Menschen und die schlechte Luft hatten ihr regelrecht zugesetzt. Andererseits war sie todtraurig. Was sie schon länger geahnt hatte, war endlich Gewissheit geworden. Tom betrog sie mit ihrer besten Freundin Susan. Sie hatte die Beziehung augenblicklich beendet und war in Richtung Ausgang geeilt. Tom hatte noch versucht, sie zurückzuhalten, indem er sie am Arm packte. Doch Crissy riss sich los, stürmte aus dem Klub und sprang in das erste der Yellow Cabs, die immer vor dem ‚Lime Light‘ warteten. Sie nannte dem Fahrer ihre Adresse in Upper Manhattan, ließ sich in die Polster fallen und schloss die Augen.

Wilde Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Was würde der morgige Tag bringen? Wie würde ihr Leben ohne Tom werden? Und ohne Susan, denn diese Freundschaft war ganz sicher auch beendet. Sollte sie überhaupt in New York bleiben? Und wenn nicht, wo sollte sie hin? Zurück zu ihren Eltern in den Mittleren Westen bestimmt nicht. Sie war froh, dieser Spießerhölle entkommen zu sein. Sie hatte Freunde in Chicago, die in ihrer Branche tätig waren. Vielleicht würde sich dort eine Chance ergeben. Andeutungen in dieser Richtung hatte es immer wieder gegeben. Aber wie ernst waren sie tatsächlich gemeint. Ihr Traum war es schon immer, sich in Kalifornien als Immobilienmaklerin selbstständig zu machen. Aber den Traum träumten viele, vielleicht zu viele.

Es waren sicher fünfzehn Minuten vergangen, bis Crissy das erste Mal die Augen öffnete. Der Fahrer des Yellow Cabs hatte zwischenzeitlich eine gläserne Trennwand hochgefahren. Eine Vorrichtung, die Crissy gar nicht bemerkt hatte, als sie in das Taxi gestiegen war. Die Scheibe war abgetönt und die orangene Armaturenbeleuchtung schimmert sehr schwach durch das Glas. Crissy konnte den vorderen Innenraum des Fahrzeugs nur schemenhaft erkennen. Ihr Blick wanderte zur Fahrerlizenz, die am Armaturenbrett klemmte und auf die etwas Licht fiel. Das Foto zeigte einen ziemlich dicken Mittfünfziger mit freundlichen Gesichtszügen. Crissy war sich sicher, dass der Fahrer, den sie beim Einsteigen flüchtig wahrgenommen hatte, anders aussah. Und auch das Wenige, dass sie jetzt durch die getönte Scheibe erkennen konnte, passt nicht zu dem Bild auf der Lizenzkarte. Dieser Fahrer hier war sehr hager und auf einem dünnen und auffallend langen Hals saß ein kahler Schädel. Crissy beschlich ein ungutes Gefühl, das sich noch verstärkte, als sie einen Blick aus dem Fenster warf. Wo immer sie waren, das war auf keinen Fall der Weg zu ihrer Wohnung in Hamilton Heights.

„Wohin fahren Sie denn?“, rief Crissy und klopft mit dem Fingerknöchel gegen die Scheibe. Der Fahrer reagierte nicht. Das Yellow Cab war mittlerweile mit einer für das nächtliche New York viel zu hohen Geschwindigkeit unterwegs. Crissy bemerkte, dass die Fahrgeräusche nicht mehr zum Tempo des Fahrzeugs passten. Es gab überhaupt keine Rollgeräusche, als ob der Wagen durch die mit Schlaglöchern übersäten New Yorker Straßen glitt, ohne dass die Reifen den Asphalt berührten. Crissy geriet in Panik.

„Halten Sie sofort an!“, schrie sie und hämmerte mit den Fäusten gegen die Scheibe. Der Fahrer zeigte keinerlei Regung. Crissy sah jetzt rechts von sich Wasser. Wenn sie nicht völlig die Orientierung verloren hatte, musste das der Harlem River sein, dachte sie. Was hatte der Mann am Steuer vor? Crissy zitterte mittlerweile am ganzen Körper. Sie versuchte, ihre Optionen abzuwägen, doch die panische Angst verhinderte jeden klaren Gedanken. Plötzlich verminderte der Wagen seine Geschwindigkeit deutlich und bog auf ein Lagergelände für Container ein. Dort hielt der Fahrer nach einigen hundert Metern an. Crissys Herz stockte, als sich die Trennscheibe langsam nach unten bewegte. Ein unangenehmer Geruch drang an ihre Nase.

„Was wollen Sie von mir?“ Crissys Stimme überschlug sich. Ganz langsam drehte sich der Fahrer zu ihr um. Crissy gefror das Blut in den Adern, als sie seinen Totenschädel erblickte. Das Letzte, was sie wahrnahm, waren die beiden blauen Flammen, die in seinen leeren Augenhöhlen flackerten. Dann schoss der linke Arm des Monsters auf ihr Gesicht zu und Zeige- und Mittelfinger der Skeletthand bohrten sich durch ihre Augäpfel.



***



Als John Amber den Konferenzraum im One Police Plaza, dem Hauptquartier der New-York-City-Polizei in Lower Manhattan betrat, drangen wieder die Sätze an sein Ohr, die er in den letzten 15 Jahren schon hunderte Mal gehört hatte.

„Oh, Kommissar Hokuspokus ist auch da. Was will der denn hier?“

„Wer ist denn auf die Schnapsidee gekommen, dass der Yellow-Cab-Killer aus dem Sekten-Umfeld stammen könnte?“

„Ich habe eins der Opfer mit eigenen Augen gesehen. Das war ein brutaler Mistkerl und kein Nirwana-Guru, der mit seinem Gesäusel nette ältere Witwen übers Ohr haut. Und genau das ist doch die Spielwiese von diesem Clown von einem Cop.“

John ignorierte die Sprüche seiner Kollegen. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Tatsächlich war er offiziell für Kleinkriminalität im Umfeld von Sekten und anderen dubiosen Glaubensgemeinschaften zuständig. Da musste es seine Kollegen verwundern, dass er auch immer mal wieder auftauchte, wenn es um brutale Gewalt- und Kapitalverbrechen ging. Womit er sich wirklich beschäftigte, das wussten nur die wenigsten im NYPD, und diese wenigen waren zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet. Ambers Arbeitsfeld war nicht die Unterwelt der gewöhnlichen Kriminellen. Ambers Fachgebiet waren die Zwischenwelten. Die Welten, in denen Vampire, Untote, Dämonen und Monster aller Art ihr Unwesen trieben und die leider immer mal wieder die Barrieren zur Welt der Menschen durchbrachen.

Der Chief of Departement, Frank Miller, hatte den Raum betreten und sich zu einer Art Rednerpult begeben. Die anwesenden Detektivs verstummten. Miller war eine Respekt einflößende Persönlichkeit. Seine schneeweißen Haare und sein mit Falten übersätes Gesicht verrieten sein fortgeschrittenes Alter. Der Chief of Departement stand kurz vor dem Wechsel in den Ruhestand. Doch sein aufrechter Gang, seine breiten Schultern und seine muskulösen Arme ließen keinen Zweifel daran, dass der Mann immer noch in bestechender Form war.

„Gestern ist das sechste Opfer des sogenannten Yellow Cab-Killers gefunden worden“, begann Miller ohne Umschweife. Der Chief of Departement war ein alter Haudegen, dem jedes unnötige Wort zuwider war.

„Crissy Morgan, 27 Jahre. Wie bei allen anderen mit durchtrennter Kehle und ausgestochenen Augen. Diesmal wurde die Leiche auf dem Gelände eines Containerlagers in East Harlem gefunden. Zeugen haben die Ermordete zuletzt gesehen, als sie vor dem „Lime Light“ in ein Taxi gestiegen war. Die Spurensicherung am Tatort hat auch diesmal nichts ergeben. Vom Yellow Cab und seinem Fahrer fehlt jede Spur. Die Kollegen am Standort „Lime Light“ haben keine Ahnung, welchem Unternehmer das Fahrzeug zuzuordnen ist.“

Frank Miller machte eine Pause. Er sah grimmig aus.

„Aber es sind ja nicht nur die sechs Toten. Wir haben auch noch zwölf vermisste junge Frauen, alle zwischen 20 und 30 Jahren alt. Für alle Opfer gilt, dass sie das letzte Mal lebend gesehen wurden, als sie ein Yellow Cab bestiegen.“

Der Chief of Department kratzte sich am Ohr.

„Wir können von Glück reden, dass die Presse diesen Zusammenhang noch nicht hergestellt hat. Trotzdem, wenn wir nicht bald Ergebnisse bringen, wird uns die Öffentlichkeit in der Luft zerreißen. Sie alle werden ab sofort nur noch in diesem Fall ermitteln. Ihre Vorgesetzten sind gebrieft und werden sie in die jeweiligen Aufgabenbereiche einweisen. Mir war es nur wichtig, Ihnen noch mal unmissverständlich zu verdeutlichen, dass in diesem Fall der Ruf der New Yorker Polizei auf dem Spiel steht. Ich erwarte Ihren vollsten Einsatz, wenn es sein muss, 24 Stunden am Tag. Wegtreten! Amber in mein Büro!“

John Amber hatte in einem Sessel vor Millers imposanten Schreibtisch Platz genommen, während der Chief of Departement zwei Gläser mit bestem Bourbon bereitete.

„Unfassbar, John. Ein Massenmörder mit möglicherweise schon 18 Opfern und nicht dem Hauch einer Spur“, begann Miller. Die beiden Männer kannten sich schon lange. Miller gehörte zu den Mitgliedern des NYPD, die von Anfang an in Ambers Mission eingeweiht waren. Der Sonderermittler konnte sehen, dass dieser knallharte Cop, der jetzt an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, ehrlich erschüttert war.

„Das Letzte, was ich mir gewünscht habe, war ein solcher Albtraum zum Ende meiner Laufbahn“, sagte der Chief of Departement mehr zu sich selbst als zu seinem Gegenüber, „wenn ich in wenigen Wochen in meinem Boot auf dem Delaware sitze und die Angel auswerfe, will ich nicht 18 tote junge Frauen im Hinterkopf haben, deren Fall ich nicht habe aufklären können.“

Amber wusste, dass Miller ein kleines Haus am Delaware River in New Jersey besaß, in dem er gemeinsam mit seiner Frau Ruth seinen Lebensabend verbringen wollte.

„Dazu wird es nicht kommen. Ich kenne dich lange genug. Du wirst nicht ruhen, bis die Sache aufgeklärt ist.“

Miller lachte.

Wie komme ich in diesem Fall ins Spiel?“, fragte Amber ohne Umschweife.

„Das weiß ich so genau auch noch nicht“, antwortete Miller, „aber es gibt da etwas, das Du Dir ansehen solltest.“

Amber sah sein Gegenüber erwartungsvoll an, doch der Chief of Departement nahm erst einen Schluck aus seinem Whiskey-Glas.

„In den ausgestochenen Augen einiger der Opfer sind Knochensplitter gefunden worden. Aber die Knochen gehören nicht zu den Opfern selbst.“

„Das ist doch prima“, antwortete Amber spontan, „dann haben wir doch die DNA des Täters.“

„Wenn es so einfach wäre, John. Eine Untersuchung mit dem Massenspektrometer hat ergeben, dass die Knochensplitter zu einem Menschen gehören, der schon seit Hunderten von Jahren tot sein müsste.“

Amber hielt den Atem an. Jetzt war er im Spiel, daran gab es keinen Zweifel.

„John, ich verstehe von dem ganzen modernen Wissenschaftskram nicht genug, um dich umfassend informieren zu können. Fahr zur Pathologie, um dir selbst ein Bild zu machen.“

„Und mit wem soll ich da reden? Ich meine, offen sprechen kann ich ja wohl kaum.“

„Doch kannst Du. Mit Lisa Coleman. Coleman ist eine junge Pathologin, die wir seit einiger Zeit als deinen verlängerten Arm im Leichenschauhaus aufbauen. Wir wollten sie dir zur gegebenen Zeit vorstellen. Doch jetzt muss es wohl alles etwas schneller gehen. Fahr hin. Sie weiß, dass du kommst.“

Amber solle Lisa Coleman in seine Ermittlungen mit einbeziehen, gab Miller dem Sonderermittler noch mit auf den Weg.

„Ein Greenhorn am Rockzipfel, das fehlt mir gerade noch“, war Johns erste Reaktion. Doch der Chief of Departement hatte darauf bestanden und keinen Widerspruch geduldet.

„Auch nach fünfzehn Jahren ist dieser Laden immer noch für eine Überraschung gut“, dachte John Amber, als er das Gebäude in der Park Row verließ.

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