Vampire auf dem Highway

John Amber - Schatten über New York - Band 3

 
Im beschaulichen Städtchen East Aurora im Norden des Staates New York geraten zwei Mafiafamilien aneinander. Doch die einen sind in Wahrheit Vampire und die anderen japanische Dämonen. Auch Band 3 der Horror Serie John Amber bietet wieder durchgehend Spannung und Grusel bis hin zu hartem Horror. Der leitende Officer Chris Taylor hatte das kleine Polizeirevier in East Aurora um 4:45 Uhr verlassen, um für die Nachtbesetzung frischen Kaffee und Bagels zu besorgen. Um diese Jahreszeit im November war es da noch stockdunkel. East Aurora ganz im Norden des Staates New York hatte nur knapp 6.000 Einwohner, aber weil im Ort die Spielwarenfirma Fisher Price ansässig... alles anzeigen expand_more

Im beschaulichen Städtchen East Aurora im Norden des Staates New York geraten zwei Mafiafamilien aneinander. Doch die einen sind in Wahrheit Vampire und die anderen japanische Dämonen.

Auch Band 3 der Horror Serie John Amber bietet wieder durchgehend Spannung und Grusel bis hin zu hartem Horror.



Der leitende Officer Chris Taylor hatte das kleine Polizeirevier in East Aurora um 4:45 Uhr verlassen, um für die Nachtbesetzung frischen Kaffee und Bagels zu besorgen. Um diese Jahreszeit im November war es da noch stockdunkel.

East Aurora ganz im Norden des Staates New York hatte nur knapp 6.000 Einwohner, aber weil im Ort die Spielwarenfirma Fisher Price ansässig war, wo rund um die Uhr in Schichten gearbeitet wurde, lohnte es sich für den Breakfast-Shop auf der Main Street, bereits um fünf Uhr morgens zu öffnen. Das Polizeirevier selbst lag etwas abseits in einem kleinen Gewerbegebiet, in dem zu dieser nachtschlafenden Zeit noch niemand unterwegs war.

Die Nachtbesetzung bestand heute neben Taylor selbst aus Officer Mike Osborn und Officer Richie Sebastian. Osborn war ein beleibter, gemütlicher Mittfünfziger. Der alte Hase hatte in seinen knapp 35 Jahren als Cop schon so gut wie alles gesehen. Jetzt wollte er sein Berufsleben in diesem beschaulichen Städtchen vor den Toren Buffalos nur noch ruhig ausklingen lassen. Richie Sebastian war im Vergleich dazu das genaue Gegenteil, ein Grünschnabel von Anfang zwanzig, der darauf brannte, sich die Hörner abzustoßen.

Officer Taylor hatte seinen Dienstwagen auf dem weitläufigen, ansonsten leeren Parkplatz abgestellt und wollte, in der einen Hand die Tüte mit den Bagels, in der anderen ein Tablett mit Kaffee, das Revier betreten. Doch da hörte er plötzlich hinter sich laute Motorengeräusche und quietschende Reifen. Zwei Ford Transit kamen mit hoher Geschwindigkeit auf den Hof gerast. Taylor sah, wie die Türen der Fahrzeuge aufflogen und Männer mit Sturmgewehren heraussprangen. Der Officer ließ augenblicklich die Tüte und das Tablett mit dem Kaffee fallen und griff nach der Eingangstür, doch in diesem Moment schlugen schon die ersten Kugeln um ihn herum ein. Taylor stieß die Tür auf und rettete sich mit einem Hechtsprung ins Innere. Dort war er sofort wieder auf den Beinen, warf die Tür ins Schloss und schlug auf den Security-Button. Über der Tür und über allen Fenstern begannen Motoren zu rattern, und schusssichere Rollläden wurden heruntergelassen. Der Officer war heilfroh, dass diese Sicherheitseinrichtung in seinem Revier als einem der Ersten im Raum Buffalo eingebaut worden war. Als damals die Entscheidung anstand, hatte Taylor Kollegen mit Revieren an gefährlicheren Orten den Vortritt lassen wollen, doch aus irgendeinem Grund war es anders gekommen.

„Wir werden angegriffen, Waffenschrank auf“, schrie der Revierleiter, doch Mike Osborn hielt ihm schon einen Colt M4 Karabiner entgegen, die Standard-Langwaffe der New Yorker Polizei.

„Sehr gut, dann ruf jetzt sofort die Kollegen in Buffalo an. Wir brauchen hier dringend Verstärkung.“

Osborn hob das Telefon auf einem der Schreibtische ab und drückte die Kurzwahltaste. Nach einigen Sekunden blickte er entgeistert auf den Hörer in seiner Hand.

„Das Ding ist tot.“

In Officer Osborns Stimme schwang Überraschung mit.

„Dann nimm dein Handy.“

Der sonst so gemütliche Cop kramte hektisch sein iPhone aus der Tasche seiner Uniformjacke, wählte die Nummer der Polizei in Buffalo und hielt sich das Gerät ans Ohr.

„Auch tot.“

„Das gibt’s doch nicht“, stöhnte der Revierleiter, „wir müssen doch irgendwie eine Verbindung zu den Kollegen in der Großstadt herstellen können.“

Mike Osborn zuckte ratlos mit den Schultern.

Officer Sebastian hatte sich zwischenzeitlich auch einen Karabiner geschnappt und spähte durch einen der Schießschächte, die in die schussfesten Rollläden eingelassen waren.

„Die Typen sind hinter ihren Vans in Deckung gegangen und belauern uns.“

Sebastian schob seinen Lauf durch die Öffnung und augenblicklich folgte ein lautes Trommeln, als die Kugeln der Angreifer von außen auf die Rollläden prasselten. Erschrocken zog der junge Cop seine Waffe zurück und ließ sich auf den Boden fallen. Er war von einer Sekunde auf die andere kreidebleich geworden.

„Was ist denn da draußen los?“, erklang in diesem Moment eine laute und tiefe Stimme aus dem kleinen Zellentrakt im hinteren Bereich des Reviers. Dort gab es einen kurzen Gang, an dem zwei spartanisch ausgestattete Arrestzellen lagen.

„Den Spinner haben wir ja auch noch“, bemerkte Mike Osborn trocken.

Revierleiter Chris Taylor war nicht entgangen, dass sein junger Kollege Richie Sebastian beinahe die Nerven verloren hatte, als die Kugeln in der Nähe des Schießschachts einschlugen. Ablenkung würde ihm guttun.

„Richie, geh nach hinten und beruhige unseren Gast ein wenig. Erzähl ihm irgendeine Märchengeschichte von einer Übung oder so etwas. Hauptsache, er hält die Klappe.“

Officer Sebastian robbte auf dem Boden liegend von der Schießscharte weg in Richtung Zellentrakt und erhob sich erst, als er den kleinen Gang fast erreicht hatte. Mike Osborn beobachtete das skurrile Schauspiel, das sein junger Kollege bot, mit Kopfschütteln.

Als der junge Cop den Zellentrakt betrat, hatte sich der Gefangene bereits von seiner Pritsche erhoben und umklammerte mit beiden Fäusten die Gitterstäbe seiner Zelle. Der Mann war circa dreißig Jahre alt und seine Gesichtszüge verrieten seine italienische Abstammung. Er trug seine schwarzen Haare streng nach hinten gekämmt. Die Frisiercreme, die er benutzte, glänzte pomadig. Seine Kleidung war lässig, aber augenscheinlich sehr teuer. Richie Sebastian wusste nur, dass dieser Typ gestern auf der Perry Road in Richtung East Aurora in seinem Ford Mustang mit stark überhöhter Geschwindigkeit unterwegs war und deshalb von einer Polizeistreife angehalten wurde. Bei der folgenden Festnahme hatte er den wilden Mann markiert. Angeblich habe er sogar versucht, einem Beamten in den Hals zu beißen, bevor die Handschellen klickten.

„Was ist da draußen los, verdammt noch mal?“, schrie der Mann, als er den Cop erblickte.

Richie Sebastian ärgerte sich maßlos über sich selbst und darüber, dass sein Vorgesetzter und der Kollege Osborn bemerkt hatten, dass ihm das Herz in die Hose gerutscht war, als die Kugeln flogen. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war ein rotzfrecher Gefangener, und schon gar nicht hatte er Lust darauf, diesen Typen zu beruhigen, wie es eigentlich sein Auftrag war.

„In diesem Ton nicht mit mir, Freundchen“, herrschte er den Mann in der Zelle an, „und du sprichst mich gefälligst mit ‚Sir‘ an, sonst setzt es eine Tracht Prügel.“

Der Mann hinter den Gitterstäben hob erstaunt die Augenbrauen.

„Was ist denn mit dir los, Bübchen? Hat Mama dir nicht gezeigt, wo dein Platz in dieser Welt ist?“

Der Gefangene wartete auf eine Antwort. Doch da hatte Officer Sebastian schon seinen Schlagstock aus dem Gürtel gezogen und schlug nach der linken Faust des Mannes, die immer noch die Gitterstäbe umklammerte. Doch zur großen Überraschung des jungen Cops zog der Gefangene seine Linke blitzschnell aus der Gefahrenzone, während die rechte Hand nach vorn schoss und sein Gegenüber am Kragen packte. Eine kurze ruckartige Bewegung und Richie Sebastians Gesicht donnerte gegen die Gitterstäbe. Verschwommen nahm der Cop wahr, dass die Augen des Mannes hinter den Gitterstäben feuerrot angelaufen waren. Dann öffnete der Gefangene den Mund und seine Vampirzähne kamen zum Vorschein.

*



Sergeant Antonio de Silva war der letzte Teilnehmer, der an diesem kalten Novembernachmittag zu der Besprechung im Büro des Chiefs of Department im Hauptquartier der New Yorker Polizei am One Police Plaza nahe der Südspitze Manhattans eintraf. De Silva war der Chef einer kleinen Swat-Einheit, die Chief Miller zur Unterstützung seiner Spezialeinheit ‚Zwischenwelt‘ ins Leben gerufen hatte.

Am Besprechungstisch hatten aus dieser Spezialeinheit bereits John Amber, seine Partnerin Lisa Coleman und die haitianische Voodoo-Priesterin Grandma Mambo Platz genommen.

Wenn Frank Miller die führenden Köpfe der Spezialeinheit ‚Zwischenwelt‘ zusammenrief, dann musste es etwas Wichtiges gegeben haben. Diese zwei Frauen und drei Männer, die sich jetzt im Büro des Chiefs of Department am One Police Plaza versammelt hatten, ermittelten nicht in den Niederungen der gemeinen Kriminalität, wo Polizeiarbeit normalerweise stattfindet. Diese Spezialisten ermittelten in den Schattenwelten von New York, wo Zombies, Dämonen, Werwölfe, Vampire und ähnliche Kreaturen ihr Unwesen treiben.

„Im malerischen Städtchen East Aurora im Norden unseres schönen Bundesstaates ist heute Nacht die örtliche Polizeistation angegriffen worden“, begann Frank Miller seinen Bericht. nachdem alle am Tisch mit einer frischen Tasse Kaffee versorgt worden waren.

„Allerdings ist das dortige Revier mit den modernsten Sicherheitsvorrichtungen ausgestattet. Deshalb blieb der Angriff erfolglos und es hat auch keine Verletzten gegeben. In den frühen Morgenstunden, mit Anbruch der Dämmerung, war der Spuk plötzlich vorbei und die Angreifer verschwunden. Und da funktionierten auch alle Kommunikationssysteme wieder, die während der Attacke außer Gefecht waren. Technisch keine Kleinigkeit, denn auch die Mobilfunkverbindungen waren tot.“

„Okay, das klingt sehr besorgniserregend“, sagte de Silva, „aber ich sehe noch nicht ganz, was das mit uns zu tun hat?“

„Das alleine hätte auch tatsächlich nichts mit uns zu tun. Aber die Kollegen dort hatten während des Angriffs einen Mann in ihrer Arrestzelle sitzen, und durch den kommen wir ins Spiel: Vito Montana.“

Lisa Colemans Miene verfinsterte sich schlagartig beim Klang dieses Namens in einer Weise, die John Ambers Aufmerksamkeit erregte. Doch als die junge Ermittlerin dem fragenden Blick ihres Partners begegnete, schüttelte sie beschwichtigend den Blick.

„Bei dem Namen Montana denke ich erst mal an die bekannte Mafia-Familie“, bemerkte Antonio de Silva.

„Vollkommen richtig. Die Montana-Familie ist tatsächlich eine der großen New Yorker Mafiafamilien und Vito Montana ist ihr Kronprinz“, erläuterte John Amber, „Betätigungsfeld der Montanas ist die gesamte Palette der Clankriminalität: Prostitution, Drogenhandel, Geldwäsche, Auftragsmorde und so weiter, aber ihr Spezialgebiet ist die New Yorker Türsteherszene.“

„Okay, Überfall auf ein Polizeirevier hoch im Norden und ein Mafia-Clan aus New York City. Ich kriege immer noch nicht auf die Reihe, was wir damit zu tun haben“, bohrte de Silva nach.

„Wir wissen seit Jahren, dass es sich bei den Montanas eben nicht nur um einen normalen Mafia-Clan handelt“, schaltete sich John Amber ein, „sondern dass sich dahinter eine sizilianische Vampir-Dynastie verbirgt.“

„Die Ursprünge der Montana-Familie lassen sich in das Jahr 1542 zurückverfolgen, als der Familienpatriarch, Claudio Montana, auf Sizilien geboren wurde“, ergriff Frank Miller erneut das Wort, „Claudio war ein mächtiger Adliger und hatte bereits zu seinen Lebzeiten Verbindungen zur Zwischenwelt. Bei einem dunklen Ritual wurde er in einen Vampir verwandelt, was ihm und seiner Familie zusätzliche Macht verlieh. Im späten 19. Jahrhundert wanderte die Familie nach New York aus, um ihr Einflussgebiet auf die Neue Welt auszuweiten. Mit ihren übernatürlichen Fähigkeiten gelang es ihnen schnell, sich in der aufstrebenden Stadt als eine der mächtigsten Mafiafamilien zu etablieren.“

„Okay, und diese Vampire haben gestern Nacht versucht, ihren Kronprinzen aus den Händen der Polizei zu befreien“, mutmaßte Officer de Silva.

„Wenn es so einfach wäre“, unterbrach ihn der Chief of Department, „aber auch wenn die Montanas vermutlich eine gefährliche Vampir-Dynastie sind, ticken sie in erster Linie wie ein ganz normaler Mafia-Clan. Und keine Mafia-Familie der Welt würde den Versuch unternehmen, ein Mitglied gewaltsam aus der Haft zu holen, das wegen überhöhter Geschwindigkeit hinter Gittern gelandet ist und am nächsten Tag ohnehin entlassen wird.“

Frank Miller griff zu seiner Kaffeetasse, und John Amber registrierte die tiefen Sorgenfalten auf der Stirn seines alten Freundes.

„Der Schlüssel in diesem Fall ist die New Yorker Türsteherszene“, fuhr der Chief of Department fort, „in dieser Szene ist ein Krieg ausgebrochen zwischen den Montanas und der Familie Hoshino.“

„Klingt nicht Italienisch“, warf Antonio de Silva ein.

„Ist es auch nicht“, entgegnete Miller, „die Hoshinos sind eine japanische Yakuza-Familie. Und die haben offensichtlich die Chance gesehen, ihre Feinde, die Montanas, schwer zu treffen, indem sie deren Kronprinzen in ihre Gewalt bringen. Bewegungsprofile zeigen, dass Mitglieder der Hoshino-Familie gestern tagsüber nach Norden aufgebrochen waren.“

„Noch mehr Mafia. Ich fange gerade an, mich nach meinem kleinen, beschaulichen Leichenschauhaus in der Bronx zu sehnen“, stöhnte Lisa Coleman. Die junge Spezialermittlerin arbeitete tatsächlich als Pathologin in einem Leichenschauhaus der New Yorker Polizei, teils zur Tarnung, teils, weil die Leichen der Opfer von Gewalttaten auch dann wichtige Hinweise geben konnten, wenn die Täter aus der Zwischenwelt kamen.

„Ich befürchte, Ihre Sehnsucht wird sich noch steigern, wenn Sie gleich den Rest erfahren haben“, bemerkte der Chief of Department trocken, „die Hoshinos haben nämlich einen ähnlichen dämonischen Background, wie die Montanas.“

Lisa Coleman wollte gerade nachhaken, was Frank Miller mit dämonischem Background meinte, als John Amber ihr zuvorkam.

„Bevor wir in die Details gehen, zunächst eine ganz grundsätzliche Frage: Wie haben die beiden Familien davon erfahren, dass die Kollegen in East Aurora hoch im Norden Vito Montana eingebuchtet haben?“

„Gute Frage“, bemerkte Frank Miller, „bei den Montanas ist das einfach zu erklären. Vito hat den ihm zustehenden Anruf im Polizeirevier genutzt, um Daddy zu informieren. Bei den Hoshinos nehmen wir an, dass sie die Montanas abhören. Diese Yakuza-Clans sind in solchen technischen Dingen viel gewitzter als die italienische Konkurrenz.“

„Was man ja auch am Ausfall der Kommunikationsmittel in East Aurora sehen kann“, ergänzte Sergeant de Silva.

Der Chief of Department nickte zustimmend.

„Und dann haben sich die Hoshinos sofort auf den Weg gemacht, weil sie die Chance gewittert haben, den Kronprinzen des Feindes in die Finger zu bekommen“, führte John Amber den Gedanken fort.

„Genau“, griff Frank Miller den Faden wieder auf, „und meine Informanten berichten, dass sich die Montanas heute ganz gemütlich auf den Weg gemacht haben, um ihren verlorenen Sohn morgen in Empfang zu nehmen.“

„Was ja nur bedeuten kann, dass der italienische Vampirclan noch nichts vom Treiben des japanischen Dämonenclans weiß“, ergänzte John Amber.

Der Chief of Deparment nickte bestätigend.

„Okay, habe ich verstanden“, ergriff Lisa Coleman das Wort, „aber jetzt möchte ich wissen, was ‚dämonischer Background‘ in Bezug auf die Hoshinos überhaupt zu bedeuten hat?“

„So, wie die Montanas eine Vampirdynastie sind, sind die Hoshinos eine Yokai-Dynastie, erläuterte John Amber, „der Begriff "Yokai" lässt sich grob mit "Monster", "Geist" oder "Dämon" übersetzen. Doch die tatsächliche Bandbreite dieser Wesen ist erheblich vielfältiger. Die Formen, die Yokai annehmen können, sind höchst unterschiedlich und reichen von menschenähnlichen Gestalten bis hin zu tierähnlichen und fantastischen Kreaturen. Aber auch wenn sie gelegentlich freundlich und sogar attraktiv daherkommen, am Ende verbirgt sich dahinter meistens ein Albtraum.“

„So ist es“, schaltete sich Frank Miller ein, „Die Hoshino-Familie wird von Akira Hoshino angeführt, einem charismatischen und berechnenden Patriarchen. Der führt nicht nur seine kriminellen Geschäfte mit eiserner Hand. Er verfolgt auch hartnäckig den Plan, sowohl die territorialen als auch die magischen Machtstrukturen seines Yakuza-Clans zu konsolidieren und auszubauen. Akira Hoshina selbst ist ein Oni, einer der mächtigsten Yokai-Dämonen überhaupt. Der Chef der Yakuza-Familie hat drei Töchter, und die sind nicht minder gefährlich als der Ober-Dämon selbst. Alle drei sind Nure-Onnas.“

„Sind was?“, fragte Lisa Coleman.

„Ja, so ähnlich habe ich auch reagiert, als ich den Begriff zum ersten Mal gehört habe“, erwiderte Miller, „deshalb habe ich Grandma Mambo gebeten, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.“

Miller tippte der Zauberin aus der Karibik ganz leicht auf den Arm.

„Bitte, Sie sind dran.“

Die haitianische Voodoo-Priesterin hatte ununterbrochen mit geschlossenen Augen am Tisch gesessen. Jetzt kam langsam Leben in den 120 Kilo Körper unter ihren weiten bunten Gewändern, und es wirkte ein bisschen, als wäre sie gerade noch ganz woanders gewesen. Alle am Tisch kannten diese Phasen geistiger Abwesenheit bei der exotischen Magierin, und John Amber und Lisa Coleman hatten sie auch schon das eine oder andere Mal auf ihren Trancereisen begleiten müssen. Dass diese Trips nicht zu ihren touristischen Hochgenüssen zählten, darin waren sich die beiden Special-Investigators vollkommen einig.

Im Hier und Jetzt angekommen, fiel der Blick der Magierin wie üblich zuerst auf John Amber.

„Ist das nicht schön, mein Süßer, dass ich dir mal etwas erzählen kann, was du noch nicht weißt?“, fragte sie den Spezialermittler mit ihrer überkandidelten Flirtstimme.

Lisa Coleman verdrehte die Augen, was auch schon ein immer wiederkehrendes Ritual war, doch Grandma Mambo hatte von einer Sekunde auf die andere auf eine sehr ernste Tonlage umgeschaltet.

„Nure-Onnas gehören ebenfalls zu den Yokai, und sie sind extrem gefährliche japanische Dämonen. Nure-Onnas haben den Oberkörper einer Frau und den Unterkörper einer Schlange. Aber dieses Aussehen können sie perfekt verbergen. Die Folge ist, dass Menschen den Eindruck bekommen, vor einer wunderschönen, wenn auch etwas blassen und wässrigen Frau zu stehen. Bis sie von der Schlange in den Würgegriff genommen werden, und ihnen diese blasse Frau mit ihren spitzen Schlangenzähnen das Blut aus dem Körper saugt.“

„Also wie ein Vampir“, sagte Lisa Coleman.

„Ja, eine gewisse Verwandtschaft besteht tatsächlich“, bestätigte Grandma Mambo.

„Müssen Nure-Onnas auch tagsüber schlafen wie Vampire, oder gehört das generell ins Reich der Legenden?“, fragte Antonio de Silva.

„Weder noch“, schaltete sich Amber ein, „tatsächlich mussten Vampire noch vor wenigen Jahrhunderten die Tage in ihren Särgen verbringen, weil das Sonnenlicht sie verbrannt hätte. Das sind also keine Legenden. Aber Vampire sind, wie wir Menschen auch, einem evolutionären Prozess unterworfen, allerdings einem, der im Vergleich zu dem der Menschen in rasender Geschwindigkeit vonstattengeht. Und so haben sich diese Blutsauger in wenigen Jahrhunderten dem Lebensrhythmus der Menschen anpassen können. Moderne Vampire fürchten das Sonnenlicht nicht mehr.“

„Das ist übrigens nicht das Einzige, was Vampire nicht mehr fürchten“, schaltete sich Grandma Mambo ein, „mit Knoblauch und geweihten Kreuzen kann man bei diesen Monstern bestenfalls noch einen Lachanfall auslösen. Was aber immer noch funktioniert, sind Silberkugeln und ein Holzpfahl direkt durchs Herz.“

„Und wie tötet man eine Nure-Onna?“, warf Lisa Coleman ein.

Auf Grandma Mambos Stirn erschienen tiefe Sorgenfalten.

„Ich habe keine Ahnung“, sagte die Voodoo-Priesterin, „aber ich arbeite daran.“

„Ich hoffe sehr, dass Sie Erfolg haben werden, denn wir wissen, dass Akria Hoshinos älteste Tochter, Haruna, ihren Vater in den Norden begleitet“, stellte Frank Miller fest.

Der Chief of Departement erhob sich, um zu signalisieren, dass die Zeit der Diskussion vorüber war.

„Wir können davon ausgehen, dass die Familie Hoshino für den Überfall auf das Revier in East Aurora verantwortlich ist. Doch die ungewöhnlich starke Sicherung dieser kleinen Polizeistation hat die japanischen Dämonen überrascht. Deshalb haben sie den Angriff in den frühen Morgenstunden abgebrochen. Das heißt aber nicht, dass sie aufgegeben haben.“

Frank Miller griff zu einer Fernbedienung und schaltete den großen Monitor ein, der an der Wand seines Büros hing. Eine Umgebungskarte von East Aurora wurde sichtbar.

„Wir wissen mittlerweile auch, dass Leute der Montana-Familie auf dem Weg in den Norden sind, um ihren Kronprinzen nach Hause zu eskortieren“, fuhr der Chief of Department in seiner Analyse fort, „meine Sorge ist, dass die beiden Familien in East Aurora aneinandergeraten und daraus eine 400 Kilometer lange Blutspur bis New York City wird, die ich niemandem erklären kann.“

John Amber ahnte, was auf ihn und seine Mitstreiter zukommen würde.

„Den Knaben in einen Polizeihubschrauber zu setzen und nach New York zu fliegen, geht auch nicht, denn die Presse würde sich sehr schnell fragen, warum jetzt schon Menschen, die wegen eines kleinen Verkehrsdeliktes in Gewahrsam genommen wurden, einen solch teuren Service auf Staatskosten erhalten.“

Der Chief of Department machte eine Pause und sah jedem Einzelnen am Tisch tief in die Augen.

„Deshalb habe ich Folgendes beschlossen“, setzte Frank Miller wieder an, „wir schicken zwei Fahrzeuge nach East Aurora. Im ersten Fahrzeug haben wir Amber, Coleman und Grandma Mambo, im zweiten de Silva und vier Mann aus de Silvas SWAT-Team. Ihr holt Montana aus seiner Zelle und bringt ihn nach New York. Was dann mit ihm geschieht, entscheiden wir erst, wenn er bei uns ist. Euer Job ist es also, Vito Montana lebend zum One Police Plaza zu bringen.“

„Wenn man bei einem Vampir überhaupt von ‚lebend‘ sprechen kann“, warf Lisa Coleman ein. Doch der Chief of Department überging diese Bemerkung.

„Unterwegs werdet ihr ziemlich sicher die Angriffe sowohl der Hoshinos als auch der Montanas abwehren müssen. Dabei darf aber nur so wenig Staub, wie eben möglich, aufgewirbelt werden. Vor allem müsst ihr dafür sorgen, dass keine unbeteiligten Zivilisten in die Auseinandersetzungen hineingezogen werden.“

Der Chief of Department nahm einen Schluck Kaffee, um den anderen die Gelegenheit zu geben, das Gehörte zu verdauen.

„Mit Lisa und ihrer FBI-Ausbildung in Quantico, mit de Silva und mit Amber haben wir drei erfahrene Kämpfer an Bord. Und die Männer aus de Silvas Truppe sind ohnehin mit allen Wassern gewaschen. Dazu kommen dann noch Grandma Mambo mit ihrem ganz eigenen Arsenal an Waffen. Ein besseres Team kann ich mir für diese Aufgabe wirklich nicht vorstellen“, betonte Miller, dem aber nicht entgangen war, dass seine Leute nicht ganz so zweifelsfrei optimistisch waren.

„Was soll's“, sagte John Amber schließlich, „der Job muss erledigt werden, also tun wir es.“

„So will ich dich hören“, erwiderte Miller, „ich habe zwei Chevrolet Suburban mit allem ausstatten lassen, was man für den Kampf gegen Vampire und Nure-Onnas benötigt, zumindest so weit wir das gegenwärtig schon beurteilen können. Ihr findet Waffen und ausreichend Silbermunition, daneben angespitzte Holzpfähle und entsprechende Hämmer sowie Drahtseilschlingen an Führstäben. Außerdem gibt es eine ausreichende Anzahl an Maulkörben für Blutsauger. Wenn ihr sonst noch Wünsche habt, muss ich sehen, ob sich die noch realisieren lassen.“

Das Team verneinte unisono.

„Was das Auto selbst angeht, habe ich die Variante mit neun Sitzen gewählt. Die letzte Reihe besitzt in beiden Fahrzeugen Vorrichtungen, um einen Vampir so zu fixieren, dass er auch unmittelbaren Sitznachbarn nicht gefährlich werden kann. Solltet ihr ein Fahrzeug verlieren, wäre der andere Wagen immer noch groß genug, um alle Mitglieder des Teams, sowie Vito Montana nach New York City zu bringen“

Frank Miller sah mit Genugtuung, dass bei seiner Mannschaft die anfängliche Skepsis wachsender Entschlossenheit gewichen war.

„Wenn ihr euch bald auf den Weg macht, könnt ihr heute Abend gegen zehn Uhr in East Aurora eintreffen. Dort erwartet euch der Revierleiter, Officer Chris Taylor. Taylor, mit dem ich heute Morgen schon telefoniert habe, scheint ein sehr handfester Mann zu sein. Allerdings hat er keine Ahnung, was da in seiner Arrestzelle sitzt. Und das muss auch unbedingt so bleiben.“

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