Codename: Teardrop Eisige Tränen im Regen
Horrorkabinett - Band 18
Die Erde hat sich verändert, als eines Tages der Himmelsmond aufgetaucht ist und die Erde fortan zwei Trabanten hat. Denn mit dem Erscheinen dieses Mondes wird Magie auf der Erde real und viele Menschen verwandeln sich unter seinem Einfluss in Werwölfe, Vampire, Feen, Dämonen, Engel und noch viele andere magisch begabte Spezies.
Haidwang ist eine kleine Landgemeinde, deren Polizeistation gerade mal vier Mitarbeiter hat. Polizeihauptmeister Lars Sturm ist einer davon, und er ist mit seiner beruflichen Situation nicht gerade glücklich. Zum einen, weil in dem Kaff außer langweiliger Routine nichts los ist. Zum anderen wird er von seinen Kollegen gemobbt und gehänselt. Seine Schwester ist nämlich eine der Magiebegabten, die hier in der Provinz noch immer mit Abneigung gesehen werden. Doch dann sorgt ein Leichenfund dafür, dass alles anders wird. Während Sturm magische Spuren an dem Toten bemerkt und einen Mord vermutet, tun seine Kollegen den Fall als schrecklichen Unfall durch ein wildes Tier ab.
Doch Sturm gibt keine Ruhe und schaltet eigenmächtig SpArks ein, die europäische Spezialeinheit für magische Verbrechen.Fortan soll Sturm gemeinsam mit dn Agenten Tanja Regen und Thorsten Kühn in der Sache ermitteln. Schon bald wird klar, dass weit mehr hinter dem Falls teckt, als zunächst angenommen. Und dann geraten die Ermittler in höchste Gefahr durch ein magisches Wesen, das durch ein abscheulichs Verbrechen außer Kontrolle geraten ist.
Nach „Das finstere Phylakterium“ präsentiert Katrin Holzapfel hier ihren zweiten Roman aus der Welt der zwei Monde.
Leis Herz klopfte laut. Nervös strich sie über ihr weißes Kleid. Saßen die Schleifen auch richtig? Mit zittrigen Fingern zupfte sie an einem der langen, cremefarbenen Bänder. Sie konnte es immer noch nicht so richtig glauben. Sie würde heiraten. Sie! Das Mädchen aus der Kleinstadt. Das Mädchen mit der blassgrauen, schuppigen Haut. Das, dass die anderen an der Uni ausgelacht hatten.
Das Auftauchen des zweiten Monds war für sie kein Glücksfall gewesen. Praktisch über Nacht war sie verwandelt worden. Aber das lag jetzt hinter ihr. Sie würde heiraten. Mit einem Lächeln auf den Lippen dachte sie an Mark. Mark, der sich für sie interessiert hatte. Mark, der Coole, der beste Spieler des Uni-Fußballteams. Mark mit den großen, braunen Augen und dem schelmischen Grinsen. Mark, dessen Vater Professor an der Übernatürlichen Universität war. An der ersten Hochschule, die sich mit der Erforschung ihresgleichen beschäftigte. Allein der Gedanke an seine Küsse ließ sie erröten.
Das Auto rumpelte durch den Wald. Groß und grün ragten die Bäume über ihr auf. Sonnenlicht sprenkelte die Blätter, malte goldene Schatten auf den nadelbedeckten Boden. Das Fenster war einen Spaltbreit offen. Würzige Luft wehte Lei um die Nase.
Die kleine Kirche lag versteckt auf einer Lichtung. Die Nadelbäume bildeten einen natürlichen Sichtschutz. Hoch streckten sich die Kronen in den wolkenlos blauen Himmel. Das Gras sah weich aus. Gelbe und weiße Blumen bildeten einen Pfad zur Kirchentür. Das rote Dach blinkte wie ein Liebeskuss zwischen den Bäumen.
Der Fahrer öffnete Lei die Tür, nachdem das Auto stehen geblieben war. Sie schenkte dem groß gewachsenen, hageren Mann ein Lächeln. Ihr Herz klopfte laut und Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch.
Dort, an der dunklen Kirchentür, standen Mark und sein Vater. Lei strich sich erneut über das Kleid. Alles war perfekt. Die kleine Kirche, die verlassene Lichtung, die Blumen. All die Dinge, die sie vorher so sehr geliebt hatte.
Den leichten Stich in den Nacken spürte sie überhaupt nicht.
*
Polizeihauptmeister Lars Sturm starrte aus dem Autofenster. Dicke, kalte Tropfen trommelten auf das blau metallische Dach des Streifenwagens. Wie ein Betrunkener rüttelte der Wind an der Karosserie. Ständig klatterten kleine Steinchen gegen die Seitentüren. Pfützen spritzten klatschend auf, wenn das Auto durch sie rauschte. In der Ferne ragte wie eine finstere Wand der Haidwang-Wald auf. Lars' Kollege Matthias Füller fuhr den Streifenwagen. Lars lehnte sich im Beifahrersitz zurück und las die Ereignismeldung.
Der kurze Bericht war von Gerichtsmedizinerin Wu verfasst worden. Das bedeutete, man konnte fast nichts davon lesen. Die ältere Pathologin hatte auf einen winzigen Zettel gekritzelt. Das Papier war von Regentropfen komplett aufgeweicht worden. Dann hatte sie von dem ausgefransten Blatt ein verwackeltes Handyfoto gemacht. Und daraus sollte er irgendetwas erfahren?
Lars versuchte, aus dem Geschmiere eine Zeit, das Geschehene, irgendwelche Details auszumachen. Ein dicker Tropfen hatte die erste Zeile verwischt. Dort waren die Buchstaben aufgedunsen. Darunter quetschten sie sich eng zusammen, als hätten sie alleine Angst. Lars kniff die Augen zusammen und hob den Bildschirm näher. Putzte sich die Brille, als das nichts half.
„Haid… platz? Haip… das hat doch keinen Sinn so!“, knurrte er.
„Haidwang-Wald, am Wanderparkplatz“, unterbrach Füller Lars‘ gemurmelte Flüche. „Wo sonst wäre die alte Hexe um diese Zeit klatschnass geworden?“
Lars verkniff sich einen Kommentar. Pathologin Wu war definitiv keine Hexe. In Haidwang gab es keine Hexen. Und auch außer zwei Werwölfen kein „Gesocks“, wie sein Chef sagte. Keine übernatürlichen Wesen. Seit knapp zwanzig Jahren wurde „Hexe“ nicht mehr als Schimpfwort verwendet. Aber auch das sagte Lars nicht. Er fuhr sich lediglich mit den Fingern durch den dunklen, langen Bart.
„Was?“ Füller warf ihm einen Seitenblick zu. Nur kurz, dann musste er sich wieder auf den Wanderweg konzentrieren. Der Streifenwagen holperte durch tiefe Fahrtrinnen. Die Scheibenwischer quietschten unablässig.
„Nichts“, erwiderte Lars nur.
„Red keinen Scheiß, Mann. Sag schon. Oh, ist es, weil ich „Hexe“ gesagt hab? Komm schon. Sei nicht albern.“ Füller stieß ihn mit dem Ellbogen an. Er grinste schief. „Dieses ganze komische Viehzeug…“
Lars fand nichts an diesen Kommentaren lustig. „Viehzeug“, als wären die magischen Kreaturen nicht besser als Bauernhoftiere. Als wären die meisten nicht vor zwanzig Jahren ganz normal gewesen. Ganz menschlich. Bis der zweite Mond aufgegangen war und alles durcheinandergebracht hatte.
Sie nannten ihn den Himmelsmond. Nach irgendeiner alten Sage hatte Lars gelesen. Im Gegensatz zu dem normalen, dem Erdenmond, war der Himmelsmond tiefblau. Und mit seinem ersten Aufgehen hatte sich alles verändert.
Lars erinnerte sich noch gut an diese Nacht. Er war kaum zehn Jahre alt gewesen. Ihren Schrei würde er niemals vergessen. Er war ins Zimmer seiner kleinen Schwester gerannt. Alicia hatte in Flammen gestanden. Der Geruch nach verkohltem Stoff verfolgte ihn. Alicia hatte ihren Plüschhasen an sich gedrückt gehabt. Das eine Knopfauge war unter ihren Fingern geschmolzen. Die Ohren zu Staub zerbröselt. Himmel, ihr Schrei. Wie ein Hilferuf direkt aus der Hölle. Es hatte Lars den Schock seines Lebens eingebracht. Denn vor seinen Augen war Alicia zu Asche zerfallen.
Mit einem Kopfschütteln konzentrierte sich Lars auf die Gegenwart.
„Schon gut“, murmelte er in seinen Bart.
Füller seufzte genervt. „Du musst doch zugeben, dass uns die mehr Arbeit machen.“
Gar nichts musste Lars zugeben. Es gab in ihrem winzigen Kaff außer den Werwölfen keine Magiewesen. Die meisten Probleme machten ihnen Jugendliche, die irgendwas klauten. Zigaretten, Kaugummis, Kleinkram. Und die Touristen, die im Haidwang-Wald verloren gingen. Lars starrte aus dem Fenster.
Ihm kam der vertraute Wald bei diesem Wetter merkwürdig vor. Wie ein Ort voller Gefahren hinter jedem Nebel umspülten, schemenhaften Baum. Eine Welt voller Geheimnisse in jeder Pfütze. Einem Flüstern in jedem tropfenschweren Blatt. Dabei ging Lars im Haidwang-Wald um diese Jahreszeit gerne spazieren. Er erinnerte sich an sonnengesprenkelte Lichtungen mit bunten Picknickdecken. Irgendwo tiefer drin gab es einen Trimm-dich-Pfad. Dort hatte er oft mit seiner Schwester gespielt. Natürlich bevor zum ersten Mal der zweite Mond aufgegangen war.
„Angeblich haben zwei Wanderer den Toten gefunden“, unterbrach Füller die Stille. „Direkt am Parkplatz.“
Lars brummte nur. Er hatte noch nie eine echte Leiche gesehen. Er wollte auch keine Leiche sehen. Das hier war die Gemeinde Haidwang. Wobei „Gemeinde“ ein zu beeindruckendes Wort für knapp dreißig Häuser war. Die Polizeistation hatte gerade mal vier Mitarbeiter. Ihn, seine beiden Kollegen Füller und Dworzek, und seinen Chef Kaffei. Kommissar Otto Kaffei – bei Lars, Füller und Dworzek reichte es nur zum Hauptmeister. Es passierte einfach nie etwas in Haidwang.
Jetzt hatten zwei Touristen eine Leiche gefunden. Und es mussten Touristen gewesen sein. Kein normaler Mensch ging morgens um fünf Uhr bei strömendem Regen wandern. Lars starrte auf den unleserlichen Bericht von Doktor Wu.
„Die Ereignismeldung sagt…“, er kniff die Augen noch stärker zusammen. Zog mit seinen zwei dicken Fingern den Text größer. „... dass die Leiche um vier Uhr dreißig gefunden wurde.“
„Kein normaler Mensch geht um vier Uhr irgendwas in den Wald“, meinte Füller abschätzig. „Viel zu früh. Und bei dem Scheißwetter sieht man nicht mal einen Sonnenaufgang oder so. Wenigstens ist kein Doppel-Vollmond.“
Lars schauderte bei der Erinnerung an den letzten Doppel-Vollmond. Da mischte der Erdenmond sein Silberlicht mit Tiefblau. Wenn beide Monde voll am Himmel hingen, passierten schlimme Dinge. Manche ganz normalen Kinder entwickelten spontan magische Fähigkeiten. Aber hauptsächlich stellten die Jugendlichen Unfug an weil es bei Doppel-Vollmond nachts beinahe taghell war. In Großstädten hatten dann auch viele Läden noch offen. Aber nicht hier in Haidwang. In Haidwang war das Highlight des Jahres das Sportfest des Schützenvereins. Mit den drei fünfzig- bis siebzigjährigen Mitgliedern.
Sie rumpelten zwischen den Bäumen hindurch. Nur verschwommen sah Lars den Tatort. Den Wanderparkplatz. Zeltplanen, grau vor grauem Himmel. Ein paar weiße, verregnete Gespenster: die Spurensicherung bei der Arbeit.
„Komm, schauen wir, was die SpuSi für uns hat“, seufzte Füller und stieg aus dem Streifenwagen. Lars beeilte sich, ihm zu folgen. Er wollte gerade die Tür zuschlagen, da fiel ihm etwas ein. Mit einem Seufzen holte er die schwarze Mappe aus seiner Diensttasche. Er steckte sie sich unter die Jacke, um sie vor Regen zu schützen. Wäre ja noch schöner, wenn er alle Berichte zweimal schreiben müsste.
Praktisch sofort durchnässte der Regen Lars' Jacke, sein Hemd, seine Schuhe. Seine Brillengläser – er war praktisch blind. Kalt und klamm war es, obwohl es im August eigentlich warm sein sollte. Aber um sechs Uhr morgens war es mit dem Sommer nicht so weit her. Nein, statt Ice in the Sunshine bekamen sie eher Purple Rain. Die Bäume waren schwarze Schemen, die sich bedrohlich über den Wanderweg lehnten. Sie warfen Nadeln nach Lars, der verzweifelt seine Kapuze festhielt. Füller war bereits vom Nebel verschluckt worden.
*
Lars Sturm fand seinen Kollegen schließlich bei den grauen Zelten. Die Spurensicherung hatte sie aufgebaut, um Beweise zu bewahren. Zwischen den herumwuselnden Kollegen in weißen Overalls stand Doktor Wu.
Sie war deutlich kleiner als ihre Mitarbeiter. Lars reichte sie sogar nur bis zum Ellbogen. Aber was ihr an Größe fehlte, machte sie mit Lautstärke wett. Und mit purer Ausstrahlung.
„Da sind Sie ja endlich!“, rief sie, als sie Lars und Füller entdeckte. „Ihre Zeugen stehen sich schon die Beine in den Bauch. Kommen Sie, schauen Sie sich das an.“ Sie schüttelte den Kopf. Der weiße Overall klebte ihr am Körper. Darunter konnte Lars eine Bluse ausmachen – es war wohl auch Doktor Wus freier Tag gewesen.
Die ältere Pathologin wartete nicht auf ihre Antwort. Stattdessen kämpfte sie sich fluchend die Böschung hinunter.
„Eine schöne Schande ist das“, teilte sie Lars und Füller schnaubend mit. „Muss ein ziemlicher Schock gewesen sein. Für die Ottersons, meine ich. Wir haben natürlich mit einer Leiche gerechnet. Sonst ruft man die Pathologie ja gar nicht.“
„Ähm, ja, Doktor Wu – “, setzte Füller an.
Aber die Gerichtsmedizinerin redete einfach weiter. „Und dann so eine Sauerei. Sehen Sie sich das an. Wirklich.“
Sie schob die größte Zeltplane beiseite. Sofort beschlug Lars' Brille, und er putzte sie mit einem Hemdärmel. Zunächst sah er nur verschwommene Umrisse. Dann setzte er die Brille wieder auf. Noch Tage später wünschte Lars sich, er hätte das nicht getan.
Der Tote war ein Mann, so viel war klar. Sein kariertes Hemd war nämlich aufgerissen. Man sah Überreste von blutverklebtem, nassem Brusthaar. Aus der Bauchwunde quoll etwas Dunkles. Außerdem hatte der Tote einen Bart gehabt. Vermutlich ähnlich lang wie Lars‘, aber er war ausgerupft worden. Wahrscheinlich, als der Täter ihm den Hals aufgerissen hatte.
Die Leiche schwamm praktisch in einer Blutlache. Regen mischte sich mit roter Flüssigkeit. Sie gluckerte nur ein Stück entfernt in einen Abfluss. Wie Bäche teilte sich Blut um weiche, aufgequollene Finger.
Aber am schlimmsten war der Geruch. Im Zelt war es stickig. Die Luft war feucht und schwer. Süßlich roch es nach Verwesung, metallisch nach Blut. Darin vermischt war der würzige Waldduft. Mit dem Geschmack des Todes legte er sich auf Lars' Zunge. Ihm wurde schlecht.
Hastig wandte er den Blick ab. Er sah Füller, der fast so blass war wie der Tote.
„Das muss doch ein Tier gewesen sein“, sagte Füller. Sein Kollege blickte angestrengt in Doktor Wus Gesicht.
„Können wir jetzt noch nicht sagen“, erwiderte die Gerichtsmedizinerin kopfschüttelnd. „Eure Zeugen haben ausgesagt, etwas hätte sich über ihn gebeugt. Aber es ist geflohen, bevor sie es erkennen konnten.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Was ich euch sagen kann, ist, dass der Tote Niklas Richter heißt. Sein Ausweis war in der Brusttasche.“ Sie zeigte auf das zerfranste Hemd.
Lars musste sich zwingen, erneut hinzuschauen. Er schaffte nur einen winzigen Blick. Vermutlich würde er tagelang Albträume haben. Aber der Tote hatte tatsächlich ein Stück Plastik in der Brusttasche.
„Großartig“, meinte Füller. „Ich gehe dann mal zu den Zeugen. Sturmi, übernimmst du hier?“ Bevor Lars protestieren konnte, war Füller schon aus dem Zelt geschlüpft. Und ließ ihn mit Doktor Wu und der Leiche allein zurück. Aber Lars sagte nichts.
Er fragte sich, wer bei so einem Wetter unterwegs war. Und das noch um vier Uhr morgens.
„Die Zeugen heißen Otterson?“, fragte er Doktor Wu, mehr, um sich abzulenken.
Doktor Wu nickte abwesend. „Sie wohnen in der Finkenstraße. Waren auf dem Trimm-dich-Pfad.“
Lars runzelte die Stirn. Der Name Otterson sagte ihm nichts. Er hatte gedacht, von allen Einwohnern Haidwangs zumindest gehört zu haben. Die Ottersons mussten ohne Auto hergekommen sein. Auf dem Parkplatz standen nur die Fahrzeuge der Gerichtsmedizin. Und ihr Streifenwagen, natürlich. Aber von der Finkenstraße bis hierher waren es vier Kilometer. Lars schüttelte den Kopf. Manche Leute waren eben, nach Bruce Springsteen, Born to run. Geboren, um zu laufen.
„Kann ich die Ereignismeldung noch mal haben?“, fragte er. Die Gerichtsmedizinerin hob beide grauen Augenbrauen. „Ich brauche eine neue Version für die Akten.“
„Was stimmt mit der Ersten nicht?“, wollte Doktor Wu wissen. Wortlos zeigte Lars ihr das verwackelte Handyfoto.
Doktor Wu fluchte unterdrückt. „Und da sage ich noch, sie sollen aufpassen! Alles muss man selber machen.“ Sie strich sich eine grau melierte Haarsträhne aus dem faltigen Gesicht. „Was brauchen Sie sonst noch?“
Lars holte die schwarze Mappe unter seiner Jacke hervor. Sie war nur an den Rändern etwas nass geworden. Dort hatte sich die Pappe gewellt, aber das Papier darin war unbeschädigt. Dankbar konzentrierte sich Lars auf den Papierkram. Wenigstens musste er dann nicht dauernd auf die Leiche starren.
Langsam ging er die Punkte auf der Liste durch. „Die erste Liste für das Beweismittelprotokoll“, begann er.
Die Pathologin nickte und schrie einen Befehl aus dem Zelt hinaus. „Viel werden Sie da nicht finden“, sagte sie. „Bevor es so richtig zu schütten anfing, haben wir wenig gefunden. Ein paar Spuren von irgendwas, aber die sind inzwischen voller Wasser. Herrn Richter hier natürlich. Und ein Stück weiter in den Wald hinein eine Pfütze aus Blut. Könnte aber auch Tierblut gewesen sein. Wir haben Proben genommen.“
„Brauche ich alles aufgeschrieben“, bestätigte Lars, machte sich aber schon erste Notizen. „Dann das Tatortprotokoll.“
„Ist noch in Arbeit. Ach, dafür brauche ich ohnehin Ihre Unterschrift, und auch die von Hauptmeister Füller.“ Doktor Wu hielt ihm ein Tablet hin. Lars vermerkte seine und Füllers Ankunftszeit. Dann unterzeichnete er. „Fotografien kriegen Sie im Laufe des Tages.“
Lars nickte. „Fehlt nur noch das Protokoll mit den ersten Zeugenaussagen.“
Doktor Wu hob erneut die Augenbrauen. „Sie kennen sich wirklich gut aus. Ein Hauptmeister, der Ahnung von Papierkram hat, ist selten.“ Sie klang beinahe anerkennend. Lars verzog das Gesicht. Es hatte seine Gründe, dass er so exakt arbeitete. Und keiner davon war, dass er Papierkram mochte. Ohne ging es aber eben auch nicht.
„Danke“, murmelte er. „Wenn Sie mich dann entschuldigen würden…?“
„Gehen Sie nur. Nicht alle Leute ertragen einen Toten so früh am Morgen.“ Doktor Wu schenkte ihm ein Lächeln und zwinkerte ihm zu. Lars hielt die Worte zurück, die ihm auf der Zunge lagen. Es lag nicht an der Tageszeit. Sein Unwohlsein lag an der Leiche, die hier im Dreck lag.
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- Artikel-Nr.: SW9783961274291458270.1
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Autor
Katrin Holzapfel
- Verlag Novo Books im vss-verlag
- Seitenzahl 94
- Veröffentlichung 25.01.2025
- ISBN 9783961274291
- Verlag Novo Books im vss-verlag