The Putgatory – Im Vorhof zur Hölle

Horrorkabinett - Band 1

Glenn Goldwell ist der Überzeugung, leichtes Geld verdient zu haben, als er einem geheimnisvollen Fremden für 3000 Dollar seine Seele verkauft. Doch mit diesem Augenblick verändert sich sein Leben.Nichts will ihm mehr gelingen, alles, was er beginnt, geht schief. Er wir zu einem von allen gemiedenen einsamen Wolf. Wie kann er seine Seele wiederbekommen, oder irgendwie an eine andere kommen? Der Gedanke daran füllt ihn völlig aus, und mehr und mehr verfällt Glenn Goldwell dem Wahnsinn. Und sein umnachteter Geist lässt ihn grauenvolle Bluttaten begehen. Dann trifft er den Fremden wieder, der ihm einst seine Seele nahm . . . Ein Gruselwestern... alles anzeigen expand_more

Glenn Goldwell ist der Überzeugung, leichtes Geld verdient zu haben, als er einem geheimnisvollen Fremden für 3000 Dollar seine Seele verkauft. Doch mit diesem Augenblick verändert sich sein Leben.Nichts will ihm mehr gelingen, alles, was er beginnt, geht schief. Er wir zu einem von allen gemiedenen einsamen Wolf.



Wie kann er seine Seele wiederbekommen, oder irgendwie an eine andere kommen? Der Gedanke daran füllt ihn völlig aus, und mehr und mehr verfällt Glenn Goldwell dem Wahnsinn. Und sein umnachteter Geist lässt ihn grauenvolle Bluttaten begehen.



Dann trifft er den Fremden wieder, der ihm einst seine Seele nahm . . .



Ein Gruselwestern von besonderem Format.



Blut. Irrtanz des Wahnsinns.

Überall war Blut.

Alles war voll Blut.

Blut, Blut und nochmals Blut.

Nichts als Blut.

Wohin das Auge auch blickte - Blut!

Blut an der Decke. Blut an den Wänden. Blut auf dem Fußboden. Blut auf dem Tisch und an allen anderen Möbelstücken. Blut an den Gardinen und an den Fensterscheiben.

In dem kleinen Raum schien es keinen Fleck zu geben, an dem kein Blut war. Es war eben einfach überall. Und wenn es nur ein paar winzige Spritzer waren, nicht viel größer als Stecknadelköpfe.

An der Decke hing das Blut in halbkugelförmigen Tropfen. Im Schein der Petroleumlampe glitzerten sie wie Tauperlen im ersten Sonnenlicht des Morgens.

Aber wo gab es Schon roten Tau?

An den getünchten Wänden war Blut heruntergeflossen und hatte lange Rinnsale hinterlassen. Es sah fast so aus, als wäre Feuchtigkeit eingedrungen, als wäre Regen durch Ritzen und Spalten gequollen.

Das meiste Blut hatte sich auf dem Boden angesammelt. Eine Menge davon hatten die ausgetrockneten und rissigen Dielen bereits in sich aufgesaugt. Ihr Durst war gestillt. So bildete dieses Blut so etwas wie einen kleinen See. Mit Buchten, Lagunen und Nebenarmen. Beinahe lustig anzusehen.

Aber wo gab es schon einen roten See?

Alles in allem erinnerte das Ganze fatal an einen Schlachthof. Und dortselbst an jene Stelle, an welcher der Metzger seine Hauptarbeit verrichtete und Rinder und Schweine abstach und ausbluten ließ.

An jene Stelle, an der pochende Tierherzen den dunkelroten Lebenssaft aus zuckenden und verendenden Leibern pumpten.

An jene Stelle, an der tagtäglich Dutzende von Kreaturen zum Tode befördert wurden, um dem Menschen als Nahrung zu dienen.

Doch dies hier war kein Schlachthof. Trotz der Unmenge von Blut. Trotz des Übelkeit erregenden Geruchs, der wie eine eklige Wolke im Raum schwebte.

Dies war ein ganz normales Zimmer in einem mittelgroßen Blockhaus. Ein Zimmer, das vielen Zwecken diente. In dem seine Bewohner schliefen, kochten, aßen, liebten, beteten und zahllose andere Dinge trieben. .

Kurzum ein Zimmer, das zum Leben eingerichtet war!

Zum Sterben war es nicht der rechte Ort. Jedenfalls nicht zum gewaltsamen Sterben.

Trotzdem war hier gestorben worden. Nicht auf natürliche Weise. Ganz im Gegenteil. Denn das Leben, das hier eigentlich herrschen sollte, war vorsätzlich ausgelöscht und vernichtet worden.

Der Tod hatte sich Zutritt in eine Oase des Lebens verschafft!

Aber nicht nur er allein. Er war in angemessener Begleitung erschienen, hatte den Schrecken und das Entsetzen mitgebracht. Zu grauenvoller Dreisamkeit hatten sie sich vereint.

Wie Bestien waren sie über den Raum hereingebrochen. Wie blutrünstige Untiere. Brüllend, tobend und gnadenlos.

Sie hatten ihrer ganzen Gier die Zügel schießen lassen. Weder Mitleid noch Erbarmen hatten sie gekannt. Das war schließlich nicht der Zweck ihres brutalen Überfalls gewesen.

Sie waren gekommen mit dem festen Vorsatz, das zu tun, was nun auch geschehen war:

Leben auszulöschen!

Ein Blutbad anzurichten!

Den Rausch des Wahns bis zur Neige auszukosten!

Verkörpert wurden die drei mörderischen Kumpane durch einen Menschen. Zumindest der äußeren Erscheinung nach zu urteilen, musste es sich um einen solchen handeln.

Obwohl das, was er getan hatte, in keiner Weise menschlich zu nennen war. Ganz und gar nicht. Denn mit menschlichem Tun oder Verhalten hatte es nichts, überhaupt nichts gemeinsam.

Zwar konnte sich der Mensch zuweilen in einen grausamen Unhold verwandeln. Doch selbst dann gab es für ihn immer noch gewisse Grenzen.

Oder nicht immer?

Vielleicht wäre es in diesem Zusammenhang besser zu sagen, dass kein noch so ausgehungertes oder bis zur Weißglut gereiztes und aufgestacheltes Raubtier in der Lage gewesen wäre, dermaßen grauenvoll und sinnlos zu wüten.

Wie dem auch sei, der Urheber dieser grässlichen Bluttat war ein Mensch. Ohne jeden Zweifel. Ganz eindeutig.

Und zwar ein Mann!

Aber was für ein Mann mochte das wohl sein?!

Er sah nicht das Meer von Blut, das ihn umgab.

Er merkte nicht, dass er von oben bis unten besudelt war.

Er registrierte nicht, dass er inmitten einer riesigen roten Lache stand.

Nichts von alldem!

Diese Dinge interessierten ihn auch nicht. Waren ihm egal, gleichgültig, einerlei. Es waren lästige Begleiterscheinungen. Man musste sie in Kauf nehmen, wenn man das Ziel erreichen wollte.

Das Ziel!!

Unmittelbar vor Augen hatte er dieses Ziel gehabt, als er vor wenigen Minuten über die Frau und den Jungen hergefallen war. In so greifbarer Nähe war es gewesen, dass er sich eingebildet hatte, bloß die Hand auszustrecken und zugreifen zu brauchen.

Und genau das hatte er getan!

Er hatte die Hand ausgestreckt. Besser gesagt, er hatte sie vorschnellen lassen. Immer wieder. Und wieder und wieder und wieder

Diese rechte Hand, die das Messer hielt!

Einfach zugestoßen und -gestochen hatte er. Blindwütig und nur zum Zweck des Tötens. Zuerst war die Frau im blauen Kleid an der Reihe gewesen. Dann der etwa zehnjährige Junge mit der blonden Mähne.

Es war schnell gegangen. Schnell und unkompliziert. So wie er es gewollt hatte. Keine Chance hatte er ihnen geben wollen. Nicht den Schatten einer Chance.

Aber all diese Dinge waren zweitrangig. Auf sie kam es nicht so sehr an. Sie waren Mittel zum Zweck. Stationen auf dem Wege zum Ziel.

Folglich hatten ihn auch die gellenden, schrillen, kreischenden Schreie des Entsetzens nicht gestört. Oder kaum gestört, denn ein bisschen lästig waren sie ihm schon gewesen. Zum Glück waren sie rasch versiegt.

Irgendwie war er froh, als endlich Stille eintrat. Sie passte besser zu dem, was er vorhatte. Sie war dem Ernst der Sache angemessener.

Leicht geduckt stand er nun über seinen beiden Opfern. Schwer atmete er. Auf seiner Stirn glänzte Schweiß. Er rann ihm übers Gesicht und mischte sich mit dem Blut, das er abgekriegt hatte. Die rötlich-glitschige Schicht verlieh ihm ein furchterregendes und fast unirdisches Aussehen.

Aus sperrangelweit aufgerissenen Lidern stierte er auf die zwei reglosen Körper zu seinen Füßen. Seine Züge waren verzerrt. Hektisch zuckte es darin. Ein Veitstanz tobte sich aus.

Spaltbreit klafften seine Lippen. Sie wirkten trocken wie Pergament. Flink wieselte plötzlich die Zunge zwischen ihnen hervor und befeuchtete sie.

Im unsteten Licht der Laterne funkelte die breite Klinge des Bowiemessers. Die Stellen, an denen sie blutig war, schimmerten matt.

Die Schneide des Jagdmessers war so scharf, dass man sich damit hätte rasieren können. Aber nicht deswegen hatte er sie voller Sorgfalt und Geduld geschliffen.

Vielmehr wollte er von vornherein vermeiden, dass sein Vorhaben im letzten Moment an einer stumpfen Klinge scheiterte!

Denn zu viel hing vom Gelingen des Plans ab. Zu lebenswichtig war es für ihn, dass alles klappte und wie am Schnürchen lief.

Hundertprozentig!

Und bisher konnte er mit den Ergebnissen ganz zufrieden sein!

Eine Zeitlang herrschte das Schweigen des Todes in dem kleinen Raum. Es wurde erst gebrochen, als sich der Killer wieder bewegte.

Er bückte sich, packte die tote Frau und zerrte sie vom Fußboden hoch. Mühelos hob er sie auf die Platte des roh gezimmerten Tisches.

Mit hurtigen und geschickten Schnitten trennte er ihr das Kleid vom Leib. Die Unterwäsche folgte. Binnen Sekunden war sie nackt. Wie rote Striche übersäten die Stichwunden ihren weißen Körper.

Doch das sah der Mann nicht. Es gehörte auch zu jenen Dingen, die eher unwichtig waren. Die zum notwendigen Übel gehörten.

Was ihn interessierte, war von außen nicht zu erkennen. Es befand sich im Inneren des Körpers. Irgendwo tief im Inneren.

Bloß wo?

Er hatte nicht die leiseste Ahnung. Es überforderte sein Vorstellungsvermögen. Zu viele Verstecke bot das Innere des Menschen.

Es konnte im Kopf oder im Bauch sein. Es konnte in der Brust oder in den Beinen sein. Oder sonst wo. Praktisch überall konnte es sein.

Das, was er unbedingt haben wollte!

Demzufolge bliebe ihm keine andere Wahl, als überall danach zu suchen. Jeden Quadratzoll würde er unter die Lupe nehmen müssen, wenn ihm das gütige Geschick nicht gleich den Weg wies.

Denn finden musste er es. Um jeden Preis. Unter allen Umständen. Allein das zählte.

Nicht umsonst wollte er die beiden Menschen hingemeuchelt haben. Ein reines Vergnügen war das nämlich nicht für ihn gewesen. Hätte es einen anderen Weg gegeben, mit Sicherheit hätte er ihn beschritten.

Aber er hatte alles Erdenkliche versucht, das Ziel auf andere Weise zu erreichen. Jahre hatte er dafür geopfert. Tausende von Meilen hatte er zurückgelegt. Alle Kräfte hatte er aufgewandt.

Vergebens!

Das Ziel war keine Handbreit näher gerückt. Je schneller er ihm nachgeeilt war, desto schneller hatte es sich entfernt.

Einige Male hatte er es dicht vor sich gewähnt. Doch jedesmal war es Trug gewesen. Hatte es sich als Fata Morgana erwiesen, in Luft aufgelöst.

Die ständige Hetzjagd war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Sie hatte ihn gezeichnet. Sowohl äußerlich wie auch innerlich. Jeder Fehlschlag hatte eine Narbe hinterlassen.

Mit jenem Mann, der er vor gut sieben Jahren gewesen war, hatte er heute kaum noch Ähnlichkeit. Aus dem stolzen Cowboy von einst war ein schmutziger Satteltramp geworden.

Und nicht nur das!

Auch ein Räuber, Dieb und Gauner war daraus geworden. Und nun noch ein Mörder.

Obgleich das, was er soeben getan hatte, in seinen Augen kein richtiger Mord war. Es war eher eine Art von Notwehr. Ein letzter verzweifelter Versuch nach all den Fehlschlägen der Vergangenheit.

So weit war der Wahnsinn dieses Mannes bereits fortgeschritten, dass er die Dinge nicht mehr im rechten Verhältnis zueinander sah. Recht und Unrecht flossen ineinander über. Die Grenzen hatten sich verwischt.

Für ihn war daher alles Rechtens, was ihn dem Ziel näher brachte. Um dorthin zu gelangen, konnte er gar kein Unrecht tun. Das war ganz unmöglich.

Denn das Ziel war für ihn derart erhaben, dass es hoch über allem stand. Es wäre sogar zu rechtfertigen, wenn der Weg dorthin von Leichenbergen gesäumt wäre.

Aber vielleicht brauchte es gar nicht soweit zu kommen. Vielleicht wäre in Kürze alles ausgestanden. Vielleicht fände er in den nächsten Augenblicken, wonach er bislang so erfolglos gesucht hatte.

Wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm, so klammerte er sich an diese vage Aussicht. Diesmal durften die Hoffnungen nicht zerplatzen wie Seifenblasen.

Das nämlich wäre der Anfang vom endgültigen Ende!

„Die Jagd ist... zu Ende!“ stieß er brüchig aus. „Endlich ... zu Ende!“

Sie hätte schon viel früher zu Ende sein können, wenn er früher auf diese gute Idee gekommen wäre. Er schalt sich einen Narren, weil es ihm erst so spät eingefallen war. Dabei war es so simpel.

Wie ein Idiot hatte er sieben kostbare Jahre seines Lebens vergeudet. Vor lauter Bäumen hatte er den Wald nicht gesehen. Fast war es ein Witz. Beinahe zum Totlachen komisch.

Seine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Seine Blicke umfingen die Frau, die vor ihm auf dem Tisch lag. In ihr war das verborgen, was er in seinen Besitz zu bringen trachtete.

Irgendwo in ihr musste es sein!

„Ich werd’s schon finden!“ flüsterte er tonlos. „Wo immer es versteckt ist..

Und damit ging er ans Werk. Die Art, in der er das tat, lässt sich in ihrer abstoßenden Widerlichkeit nicht näher beschreiben. Selbst das teuerste Papier würde sich weigern, die Worte anzunehmen.

Einem Metzger, zu dessen täglichem Handwerk es immerhin gehörte, Tiere zu zerlegen, würde sich vor Ekel der Magen umdrehen!

Doch dieser Mann arbeitete mit einer Ruhe, Gelassenheit und Zielstrebigkeit, die nicht von dieser Welt sein konnte. Die akribische Systematik, die er bei allem walten ließ, setzte dem Grauen die Krone auf.

Anfangs war er ruhig und konzentriert. Ganz unmerklich jedoch änderte sich sein Verhalten. Je länger er tätig war, desto nervöser wurde er.

Denn er fand nicht, was er suchte!

Er hatte gehofft, es würde ziemlich schnell gehen. Nun erwies sich das genaue Gegenteil. Zäh dehnte sich die Sache in die Länge.

Und der Erfolg blieb aus!

Was zuerst nur leichter Unwille war, wuchs allmählich zu sichtbarer Enttäuschung. Sie äußerte sich durch zunehmende Fahrigkeit der Bewegungen.

Schließlich war der Tisch leer. Doch die Erwartungen des Mannes blieben unerfüllt. Er hatte nicht gefunden, was er so sehr begehrte.

Obwohl er alles, alles abgesucht hatte!

Eine senkrechte Falte bildete sich auf seiner Stirn. Ihm war anzusehen, dass in seinem Inneren Aufruhr herrschte. Aber er hielt sich im Zaum.

Er gab sich Mühe nachzudenken. Sein Gehirn lief auf Hochtouren.

Warum, so lautete die zentrale Frage, hatte er es nicht gefunden? Welchen Grund konnte es dafür geben, dass er es nicht entdeckt hatte?

Vorhanden sein musste es doch, auf jeden Fall…?

Oder?

Auf einmal keimte Zweifel in ihm auf. Ihm schoß durch den Sinn, ob es sein könnte, dass die Frau es gar nicht besaß. Nicht mehr besaß. So wie er. Könnte es nicht sein, dass ...

„Sie hat es auch nicht!“ entfuhr es ihm unversehens. „Yeah, das ist es!“

Merklich hellten sich seine finsteren Züge auf. Nahezu erleichtert stieß er die angehaltene Luft aus. Er war froh, dass es nicht an ihm gelegen hatte, dass er es in der Hast nicht übersehen hatte.

Nein, an ihm lag es nicht!

Die Frau war daran schuld. Sie hatte es einfach nicht. Kein Wunder, dass es nicht zu finden war. Wo nichts ist, gibt es nichts zu holen.

Irgendwie empfand er plötzlich ein warmes Gefühl für die Frau. Ihr musste es ähnlich wie ihm ergangen sein. Sie war eine Leidensgenossin. Sicher hatte sie ebenso wie er darunter gelitten.

Ihm kam zu Bewusstsein, dass er ihr womöglich einen ungewollten Dienst erwiesen hatte. Durch den Tod war sie von allem erlöst. Ihrem Leiden war ein Ende gesetzt.

Leider traf das nicht für ihn zu. Für diese Frau war er eine Art von barmherzigem Samariter gewesen. Doch er selbst steckte nach wie vor in der Klemme.

„O verdammich!“ fluchte er halblaut und hieb sich mit der linken Faust gegen die Stirn. „Umsonst, alles umsonst!“

Die Verzweiflung rollte wie eine mächtige Woge auf ihn zu. Sie packte ihn, drohte ihn unter sich zu begraben. Er war zu schwach, um Widerstand zu leisten. Willenlos ließ er sich fortschwemmen.

Ganz plötzlich hörte er etwas. Eine Stimme. Aus unendlicher Ferne. Ihren eigentlichen Ursprung konnte er nicht feststellen. Sie schien aus dem Nichts zu kommen.

„Der Junge!“ rief diese Stimme. „Du hast doch noch den Jungen!“

Er horchte. Dann stutzte er. Richtig, der Junge!

Aus der rauschenden Woge wurde eine plätschernde Welle. Im Nu glättete auch sie sich. Er fühlte wieder festen Boden unter den Füßen.

„Richtig, der Junge!“ kam es wie ein Hauch über seine spröden Lippen. „Natürlich, der Junge, der kleine Junge...“

Der Junge war noch im Kindesalter. Und Kinder galten als Sinnbilder der Unschuld. Böses lag ihnen noch fern. Erst später kämen sie damit in engere Berührung.

Dieser Junge hier war noch rein und unverdorben. Er brauchte ihn bloß anzuschauen, um zu wissen, dass er die Verkörperung der Unschuld war. Der kindliche Friede in dem glatten Antlitz ließ keine andere Deutung zu.

In dem Mann mit den blutigen Zügen, Händen und Kleidern blühte neue Hoffnung auf. Noch war also nicht alles verloren. Noch konnte sich das Blatt wenden.

So zögerte er denn auch keine Sekunde. Gleich darauf lag der Junge auf dem Tisch und sein Schlafanzug darunter.

Und zum zweiten Mal widmete sich der Mann seinem grausigen Tun!

Diesmal summte er dabei sogar leise vor sich hin. Es war eine alte Melodie. Von vielen Lagerfeuern her war sie ihm in Erinnerung. Sie war ein Relikt aus glücklichen Tagen.

Vielleicht lägen ähnlich glückliche Tage vor ihm. Vielleicht...

Die lockende Aussicht, das Gesuchte jeden Moment zu finden, beflügelte ihn förmlich. Bis in seine Fingerspitzen pflanzte sich dieses optimistische Gefühl fort.

Flink und geschickt verrichtete er sein Werk. Hell blitzte die Klinge, wenn sich zuweilen das Licht der Lampe im blanken Stahl brach.

Nach und nach jedoch ging es auch diesmal mit dem anfangs frohen Mut des Mannes bergab. Zuerst war es daran zu bemerken, dass er aufhörte zu summen. Dann verdunkelte sich sein Gesicht. Er bekam enge Augen.

„Nein, nein, nein!“ brabbelte er. „Es muss doch da sein, es muss ...“

Aber es war nicht da. Obwohl er gründlicher als zuvor suchte. Es gab keine Stelle, die er nicht inspizierte.

Dabei steigerte er sich in nie gekannte Wildheit hinein. Wie ein Berserker fledderte und fetzte und zerrte und wühlte er. Auf furchtbarste Weise wurde das Messer gehandhabt.

Umsonst!

Alles umsonst!

Nichts zu finden!

Nicht mal eine Spur!

Im Raum sah es inzwischen aus, als wäre eine geballte Sprengladung inmitten einer Menschenmenge detoniert. Sogar einem in jahrzehntelanger Routine abgestumpften Anatom hätten sich sämtliche Haare gesträubt.

Zusammen mit Tod, Schrecken und Entsetzen feierte nun auch noch das Grauen eine abscheuliche Blutorgie!

Der Schweiß und das Blut auf dem Gesicht des metzelnden Mannes mischten sich jetzt auch mit Tränen. Es waren Tränen der Enttäuschung und der Wut.

Sollte alles für die Katz gewesen sein? Sollte es das wirklich?

Ein trockenes Schluchzen entrang sich seiner Kehle. Es nahm an Intensität zu. Schließlich bekam er einen regelrechten Weinkrampf. Sein ganzer Körper wurde davon befallen und geschüttelt.

Wieder einmal - zum wievielten Male wohl? - hatte ihn das grausame Schicksal hereingelegt. An der Nase herumgeführt. Sich einen Jux mit ihm erlaubt. Ihn betrogen.

Alles war umsonst gewesen. Alles, alles....

Umsonst hatte er zwei Menschen das Leben genommen. Umsonst hatte er sie zerstückelt. Umsonst war all sein inbrünstiges Hoffen gewesen.

In einer Flut von Tränen ließ er seiner abgrundtiefen Verzweiflung freien Lauf. Vor seinen Augen verschwamm die ganze grässliche Szenerie um ihn herum.

Plötzlich ebbte sein Schluchzen ab. Dann endete es abrupt. Überraschende Stille trat ein.

Ein tierhafter Ausdruck huschte auf einmal über sein verschmiertes Gesicht. Er hob den Kopf. Wie ein witternder Wolf lauschte er. ,

Von draußen drangen Laute an sein Gehör. Typische Laute. Ohne Schwierigkeit konnte er sie identifizieren.

„Hufschlag!“ flüsterte er. „Reiter!“

Das Trommeln der Hufe näherte sich dem Blockhaus. In der samtenen Stille der Nacht klang es doppelt laut. Der Stärke nach zu schätzen, schien es nur ein Reiter zu sein.

Aber dieser eine Reiter kam schnurstracks auf die Hütte zu!

Auf den Hacken wirbelte der Killer herum. Fast gehetzt schaute er sich um. Ihm blieb nicht viel Zeit. Was sollte er tun?

Mittlerweile musste der Berittene vor der Tür angekommen sein. Mit heiserem Ruf parierte er das Pferd. Deutlich war zu vernehmen, wie er aus dem Sattel sprang.

Mit zwei geschmeidigen Sätzen hechtete der Mörder quer durchs Zimmer. Er tauchte in der angrenzenden Vorratskammer unter. Eng presste er sich gegen die Balkenwand.

Er hielt den Atem an. Alle Muskeln und Sehnen seines Körpers waren gespannt. Bis zum Zerreißen. Ebenso seine Nerven.

Seine blutige Rechte umklammerte das Heft des breitschneidigen Bowiemessers.

Am fernen Horizont seiner gestörten Gedankenwelt dämmerte ein schwacher Silberstreif neuer Hoffnung. Sollte die Sache doch noch klappen?

Sollte der gleich eintretende Mann das haben, wonach er suchte?

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