Ich muss mal dumm fragen
In der satirischen Erzählung Ich muss mal dumm fragen aus dem Jahr 1948 stellt der Autor den einfachen Mann Karl Knorpel vor, der unbequeme Fragen stellt – teils komisch, teils scharfzüngig, und immer treffsicher. Knorpels scheinbar naive Fragen entlarven die Doppelmoral und Absurdität der politischen und gesellschaftlichen Zustände in der Nachkriegszeit. Ein zeitloser Text, der mit Humor und Tiefgang Kritik an Macht, Religion und Ideologie übt, und den Leser zum Nachdenken über die Parallelen in unserer heutigen Welt anregt.
Der „Ulenspiegel“ hat sich entschlossen, Herrn Karl Knorpel, einem Mann aus dem Volke, unter der Spalte „Ich muss mal dumm fragen“ des Öfteren das Wort zu erteilen. Karl Knorpel gehört zu jenem Typus Menschen, die wie ein Kind den ewigen Fragegeist in sich haben und die wissen wollen, weshalb das Wasser den Berg hinabfließt, der Hund vier Beine hat und man im Krieg Häuser anzünden darf, im Frieden aber nicht!
Mein Name ist Knorpel, Karl Knorpel. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen. Mir meinerseits fällt es heute oft schwer, alles in Butter zu finden oder bloß ein Haar in der Suppe. Manchmal weiß ich vor Haaren nicht wohin; und dann muss ich gleich mal dumm fragen.
Sehen Sie, vor einiger Zeit las ich im Berliner „Kurier“ unter „Drahtbericht unseres Korrespondenten“ aus der Stadt Aachen etwas über die neuen „Atombomben der Liebe“. Wissen Sie, was das ist? Passen Sie auf! „Wir müssen uns eine Atombombe machen, angefüllt mit der göttlichen Energie der Liebe und sie auf die Menschheit werfen“ – so erklärte der apostolische Visitator für Deutschland und Bischof Dr. Aloysius Münch während einer Pontifikalmesse auf dem zerstörten Marktplatz vor dem Aachener Rathaus zum Abschluss eines halbjährigen Gebetskreuzzuges. Schön hat das der Herr apostolische Visitator gesagt, direkt poetisch, alles was recht ist, und eine zartbesaitete Seele besitzt er, der Herr Bischof, der auf dem zerstörten Marktplatz von Aachen die „Atombomben der Liebe“ predigt. Das nächste Mal also kommen die Hurrikane und fliegenden Festungen mit den Liebesbomben. Ein Fest wird das!
Aber der geistliche Herr schürft tiefer. Er verlangt eine „Sozialisierung des Herzens“. Ich bin im Sozialismus nicht so beschlagen. Aber der Herr apostolische Visitator meint da wohl, das Menschenherz bleibe nicht mehr im Privatbesitz, sondern gehe jetzt vollständig in das Eigentum der Kirche über. Denn der Herr Bischof Dr. Münch – so betonte er selbst – komme aus USA, einem Lande, das durch die freie Wirtschaft „groß und mächtig, wohlhabend und reich“ geworden sei; so trete auch er für eine „freie Wirtschaft der Liebe“ ein. Der apostolische Visitator bringt also aus USA einen ganzen Koffer mit Bereicherungen der Lehre Christi mit. Jeder nicht Gehässige muss zugeben, dass jene „freie Wirtschaft der Liebe“ eine großartige Verbindung von Christentum und frei getätigtem Handel ist. Ja, der Herr Bischof ist auf Draht. Er war nicht umsonst in USA. Wenn man sich allerdings stur darauf versteifen wollte, dass Christus die Wechsler und Händler aus dem Tempel getrieben hat – „und stieß um die Tische der Wechsler und die Stühle der Krämer“ –, wo käme man da heute hin?
Nein, wir brauchen heute ein zeitnahes Christentum, das der kleine Mann von Wall Street wie der Jupp Schmitz vor dem Aachener Rathaus begreift.
Das Beste aber ist und bleibt das feine Wort von der „Atombombe der Liebe“. Wissen Sie, bisher lief es mir immer wie eine kalte Maus den Rücken herunter, wenn ich von Atombomben hörte. Ich musste da immer an zusammenkrachende Häuser und durch die Straßen rennende Menschenfackeln denken. Aber das Wort des Herrn Bischofs hat mich nun total beruhigt.
Friedrich Wolf (* 23. Dezember 1888 in Neuwied; † 5. Oktober 1953 in Lehnitz) war ein deutscher Arzt, Schriftsteller und Dramatiker, der sich besonders durch seine politische und literarische Arbeit einen Namen machte.
Friedrich Wolf wurde als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Er studierte von 1907 bis 1912 Medizin, Philosophie und Kunstgeschichte in verschiedenen deutschen Städten und promovierte 1913 in Medizin. Während des Ersten Weltkriegs diente er als Truppenarzt und entwickelte sich zum entschiedenen Kriegsgegner. Nach dem Krieg engagierte er sich politisch und wurde Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats in Dresden.
Wolf war ab 1928 Mitglied der KPD und verfasste zahlreiche politisch engagierte Werke. Sein bekanntestes Drama, "Cyankali" (1929), prangerte das Abtreibungsverbot des § 218 an und löste eine breite gesellschaftliche Debatte aus. Neben seiner literarischen Tätigkeit arbeitete er als Arzt und engagierte sich für die Rechte der Arbeiterklasse.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Wolf 1933 in die Sowjetunion, wo er weiterhin literarisch aktiv war und für Radio Moskau arbeitete. Während des Spanischen Bürgerkriegs versuchte er, als Arzt an den Internationalen Brigaden teilzunehmen, blieb aber in Frankreich. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er in Frankreich interniert, konnte jedoch 1941 mit sowjetischer Hilfe nach Moskau zurückkehren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Wolf nach Deutschland zurück und engagierte sich in der DDR kulturpolitisch. Er war Mitbegründer der DEFA und der Deutschen Akademie der Künste. Zudem diente er von 1949 bis 1951 als erster Botschafter der DDR in Polen. Friedrich Wolf starb 1953 an einem Herzinfarkt und wurde auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin beigesetzt.
Wolf hinterließ ein umfangreiches literarisches Werk, das durch seinen politischen und sozialen Einsatz geprägt ist. Seine Söhne Markus und Konrad Wolf setzten sein Erbe als bedeutende Persönlichkeiten der DDR fort.
Staatliche Auszeichnungen
1943: Orden Roter Stern
1949: Nationalpreis der DDR II. Klasse für das Theaterstück Professor Mamlock
1950: Nationalpreis der DDR I. Klasse für den Film Rat der Götter.
Werkverzeichnis
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- Artikel-Nr.: SW9783689123116458270.1
- Artikelnummer SW9783689123116458270.1
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Autor
Friedrich Wolf
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 22
- Veröffentlichung 09.10.2024
- ISBN 9783689123116
- Wasserzeichen ja