Kain und Abel
Eine vermaledeite Affäre
Als Kain seinen Bruder Abel erschlug, konnte er nicht absehen, dass ausgerechnet die Bauern im mecklenburgischen Seltensow sich aufmachen würden, seinem Vorbild zu folgen. Eine jahrhundertealte Dorffehde wird bis in unsere Tage fortgetragen. Das Vieh der einen ist nachts heimlich von der Weide verschwunden und hat die Saat der anderen abgefressen. Der Schmied der einen Seite beschlägt die Pferde der anderen nicht. Bauer Himmisch karrt Bauer Köckner auf dem Mistwagen fort …
Da kommt ein junger Dichter ins Dorf, der in dem Streit die Vorlage für seinen ersten Roman sieht. Er merkt gar nicht, wie er von beiden Seiten instrumentalisiert und vom Dorfpfarrer freundlich auf den Arm genommen wird. Am Ende wird natürlich alles gut, auch dank Romeo von der einen und Julia von der anderen Dorfseite.
Gotthard bestellte den Techniker. Mit jedem Tag aber wurde der Frau unwohler. Und dann kam der Rucksackbulle auch noch, als der Bauer gerade auf dem Feld war. Die Bäuerin zeigte ihm die Kuh. Aber ihr wurde noch unbehaglicher, als sie sich den Menschen genauer betrachtete. Das war doch ein recht spilleriges Kerlchen, und außerdem guckte der so dösbattelig. Nee, wenn sie die Kuh wäre ...
Sie handelte ihn also recht barsch ab. Der gute Gotthard spielte diese Szene. Er räumte Tische zur Seite und stellte zwei Stühle gegeneinander. „Dat’s de Kau.“ Und einen Hocker schob er noch daneben. „Mine Fru trekkt em in Stall. So, seggt se, dat’s de Kau. Do is’n Schemel zum Raufsteigen. Am Balken is der Nagel, do kann hei sine Hosen aufhängen. Is all klohr? Und ick gah rut. Mit de Sauerei will ick nix tau tan hebben!“
Dem Gotthard liefen die Tränen über die morschen Backen, so lachte er, obwohl er den Witz seit dreißig Jahren schon erzählte.
Und die Bauern. Die Bauern dröhnten ihr Gelächter durch die Stube, dass die Lampen flackerten. Und Otto fiel gegen den Bierhahn vor Gefeixe.
Karl Rötlich musste bei groß H hinein, weil er sich sonst die Hosen nass gemacht hätte. Er war etwas schwach auf der Blase. Aber zur Tür musste er sich hintasten, was neue Lachstürme hervorrief; denn er kriegte beim Lachen immer ganz kleine Augen und bannig viel Tränen, sodass er nicht mehr sehen konnte. Und als sich der gute Gotthard ausgelacht hatte, lachte er noch einmal von vorne los, weil er daran denken musste, dass er diesen Witz schon ein dutzendmal hier vor den Bauern erzählt hatte in den Jahren. Aber die amüsierten sich allemal wieder wie Kinder darüber; denn sie haben ein kindliches Gemüt. Aber er konnte seine Geschichte auch mit großer Brillanz vorführen. Das musste gesagt werden.
Jetzt war der Schmied dran. Er schnäuzte sich ordentlich, dann legte er los.
„Das Neueste von Nelli!“, kündigte er an. Er erzählte alle Witze auf Nelli übersetzt; denn irgendwie musste er sich für die Niederlage rächen, die ihm das Mädel zugefügt hatte. „Nelli hatte Praktikum, zusammen mit noch so ’ner Mistgabelstudentin. Sagt der Vorsitzende zu ihnen: Bringt die Kuh zum Bullen. Sagt er. Na, die nehmen sich die Kuh und gehen zum Bullen mit ihr. Das war früh bei neune. Es wird Mittag, aber die beiden Gössel sind nicht zurück. Hähä. Es ist Kaffeezeit. Da wird der Vorsitzende unruhig. Von den beiden Hübschen aber und der Kuh ist nichts zu sehen.“ Der Schmied machte seine Kunstpause und guckte triumphierend in die Runde. Na, kennt einer den Witz? „Also, der Vorsitzende wird unruhig. Und was soll ich sagen, erst mit einbrechender Dunkelheit kommen die Damen an. Gottverdammich, aber wie! Die ganze Kladasche zerrupft. Mit Dreck beschmiert von oben bis unten. Und völlig erschöpft. Der Vorsitzende guckt auf die Mädchen, dann auf die andere Kuh. Wo seid ihr denn gewesen? fragt er. Ihr solltet die Kuh vom Bullen decken lassen. Da sagt die Nelli, hähähi, da sagt die Nelli, hihihä, also, sie sagt: Das haben wir auch, Genosse Vorsitzender. Aber wir brauchten so lange, weil sich die Kuh einfach nicht auf den Rücken legen lassen wollte.“
Was jetzt losbrach, lässt sich kaum noch erzählen. Ein Orkan von Gelächter blökte durch den Raum. Der Schmied hatte ein Ding losgelassen, das die ruhigsten Beamten vom Sessel geworfen hätte. Wie viel mehr also musste seine Geschichte zünden, wenn er sie unter die mit Korn und Bier und das Doppelte an Witzen angeheizten Bauern vom Typ I pfefferte, zumal Nelli die Zielscheibe des Spottes wurde. Der nächste hatte sich ordentlich anzustrengen, um annähernd des Schmieds Erfolg zu erreichen.
Ulrich Völkel
1940 in Plauen/Vogtland geboren, Abitur 1959, danach zwei Jahre Militärdienst (NVA).
1961 Praktikum am Theater Putbus, 1962 Kulturreferent der Stadt Saßnitz, Leiter des Stadtkabinetts für Kulturarbeit in Schwerin
1963/65 Studium, Institut für Literatur „Johannes R. Becher“, Leipzig
1966 Oberreferent beim Rat des Bezirkes Schwerin, Abteilung Kultur, 1967/69 Dramaturg und Regieassistent am Staatstheater Schwerin
1969/71 künstlerischer Mitarbeiter des Generalintendanten am Volkstheater Rostock
Seit 1971 freier Schriftsteller, Herausgeber und Lektor, 1993 Gründung des RhinoVerlages (verkauft: 2006), seit 2013 Cheflektor im Eckhaus-Verlag Weimar
Seit November 2001 in Weimar ansässig
Autor, Mitverfasser oder Herausgeber von ca. 60 Büchern
Verheiratet, zwei Kinder.
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- Artikel-Nr.: SW9783956555343
- Artikelnummer SW9783956555343
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Autor
Ulrich Völkel
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 319
- Veröffentlichung 07.10.2015
- ISBN 9783956555343
- Wasserzeichen ja