Frisör Kleinekorte – Salongespräche aus drei Jahrzehnten

„Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“ Mit diesen Worten begrüßt ein bekannter Berliner Frisör gewöhnlich fast jeden seiner Stammkunden. Dreißig Jahre lang hatte er in der Zeitschrift Eulenspiegel und im gleichnamigen Buchverlag über das Leben in jenem seltsamen Land philosophiert, das sich über Geborgenheit, aber auch über Sicherheit definierte. Was seinen Bewohnern noch jahrzehntelang als Makel angehängt werden sollte. Im Jahre 1990 wurde der Eulenspiegel Verlag durch jenes Institut liquidiert, das man irreführend Treuhand nannte. Bald darauf gab es einen neuen Verlag... alles anzeigen expand_more

„Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“

Mit diesen Worten begrüßt ein bekannter Berliner Frisör gewöhnlich fast jeden seiner Stammkunden.

Dreißig Jahre lang hatte er in der Zeitschrift Eulenspiegel und im gleichnamigen Buchverlag über das Leben in jenem seltsamen Land philosophiert, das sich über Geborgenheit, aber auch über Sicherheit definierte. Was seinen Bewohnern noch jahrzehntelang als Makel angehängt werden sollte.

Im Jahre 1990 wurde der Eulenspiegel Verlag durch jenes Institut liquidiert, das man irreführend Treuhand nannte.

Bald darauf gab es einen neuen Verlag gleichen Namens. Der brachte im Jahre 1994 so etwas wie Best Of Kleinekorte heraus, das war eine Auswahl aus den vorangegangenen vier Büchern, dazu einige Texte, die nach dem Mauerfall im Eulenspiegel erschienen waren.

Dies war der Endpunkt einer Erfolgsgeschichte:

Eine Gesamtauflage von einer halben Million Bücher.

Eine Theaterfassung: Kleinekortes Große Zeiten, die 1969 unter der Mitregie des Autors am Volkstheater Rostock uraufgeführt wurde, dort viele Jahre an mehreren Spielstätten erfolgreich lief und an etlichen Theatern – außer in Berlin – nachgespielt wurde.

Eine Fernsehfassung am Studio Rostock 1970.

Natürlich ließ ich es mir nicht nehmen, selber in die Rolle des Willem Kleinekorte zu schlüpfen. In manchen Jahren waren es mehr als siebzig Auftritte im Rundfunk, auf Kabarettbühnen und auf gut besuchten öffentlichen Lesungen.

Beinahe wäre es auch noch zu einem DEFA-Film gekommen. Der Erzkomödiant Rolf Ludwig lag schon auf der Lauer. Leider war ich an den falschen Dramaturgen und den falschen Regisseur geraten.

Trotzdem bin ich, inzwischen selber ein Methusalem, noch immer ein bisschen stolz auf mein literarisches Geschöpf, den Frisör Kleinekorte, den das Brandenburg-Berlinische Wörterbuch in eine Reihe mit den Figuren von Glassbrenner und Tucholsky gestellt hat.

C. U. W.



Frisör Kleinekorte soll ein Vorwort schreiben

Frisör Kleinekorte trauert verlorenen Werten nach

Frisör Kleinekorte wird es warm ums Herze

Frisör Kleinekorte berichtet über ein Kunsterlebnis

Frisör Kleinekorte äußert Herbstgedanken

Frisör Kleinekorte feiert Jubiläum

Frisör Kleinekorte hat Liebeskummer

Frisör Kleinekorte als rüstiger Reiserentner

Frisör Kleinekorte in der Fahrschule

Frisör Kleinekorte in Frühjahrsnöten

Frisör Kleinekorte unternimmt einen Betriebsausflug

Frisör Kleinekorte als Verschönerungsrat

Frisör Kleinekorte und der letzte Glockenschlag

Frisör Kleinekorte auf Wikingerkurs

Frisör Kleinekorte und die Sprichwörter

Frisör Kleinekorte und die Wodkaflasche

Frisör Kleinekorte und die Selbstbedienung

Frisör Kleinekortes Kuckloch zur Ewigkeit

Frisör Kleinekorte schwört Rache

Frisör Kleinekorte als Fußballfan

Frisör Kleinekorte und die halbnackten Tatsachen

Frisör Kleinekorte wird befördert

Frisör Kleinekorte als Universalgenie

Frisör Kleinekorte und die Pflichtabgaben

Frisör Kleinekorte - ein Rufer in der Wüste

Frisör Kleinekorte fördert das Nachtleben

Frisör Kleinekorte im Kampf mit dem Teufel

Frisör Kleinekorte und die öffentliche Meinung

Frisör Kleinekorte an der Stoppuhr

Frisör Kleinekorte in Venedig

Frisör Kleinekorte in Budapest

Frisör Kleinekortes Pferdekur

Frisör Kleinekorte als Privatdetektiv

Frisör Kleinekorte und das Glas Most

Frisör Kleinekorte wird wieder mal dekoriert

Frisör Kleinekorte und das Salzamt

Frisör Kleinekorte als Bankräuber

BARBIR CASPAR WILHELM KLEINEKORTHE RAISONNIRT ÜBER SEINEN KÖNIG



Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht jehabt? Tschuldigense die dusselige Frage. Ick weiß ja, deß Sie nu ooch schon zu die Kurzis jehören. Neuerdings sagt man zu sone wie Ihnen auch Schweigarbeiter. Dis hat nischt mit Schweiß und schon jar nischt mit Streik hat dis zu tun. So nennt man die Nullkurzis, die bloß noch in Betrieb auftauchen tun und sich ihr Schweigejeld abholen, damit se nicht auf der Straße rennen und sich bei ne Demo den Katarakter erkälten. Wissense, was mir so jar nicht einleuchten will? Jeder zweite Kunde heutzutage setzt sich auf den Rasierstuhl und fangt an zu meckern. Meistenteils gehts um de Arbeit. Haltense mal den Kopp ’n bißken stille!

Unser frisch gewählter Bundeskanzler Helmut Bismarck hat jesagt, die Beschäftigungslage is so jut wie nie, jedenfalls in dis Altenreich, und da brauchen die paar Müllionen Einwohner aus dis frühere Anastasien nicht dauernd rumzujaulen, die hat es noch nie zuvor so jut jegangen wie jetz. Keinen soll noch öfter schlecht werden als wie vorher. Falls es doch mal passiert - da inne Ecke steht wie janz früher wieder ein echter Spucknapp.

Mann, wenn Se jestern jekommen wären - da hättense Atze Langerwisch jetroffen, wenn Se den Luhmich noch kennen. Erst war er Maurer und denn jeriet er in den Apperat und mittenmang die Spitze von diesen Blauhemdenverein. Nach den hüstologischen Oktober vorigtes Jahr hat er die verfluchte Scheiße noch bemäntelt und hier im Salong rumjekräht: Wo jehobelt wird, fallen Späne.

Heute isser im Aufsichtsrat von dis neujegründete bundesdeutsche Salzamt und als Jeneralbeauftragter zuständig für Honeckers Konkurrenzmasse hier bei uns im Osten.

Einktlich hätt ick mir schlapplachen können: Atze mit Schlips und Kragen und ne joldene Brille und ’n schwarzen Mercedes. Aber irjendwie ’n Stücke Mensch muss er an irjend ne Kante doch jeblieben sind. Machste dein Salong für heute dichte, Vater Kleinekorte, sagt er, und denn kommste mit Herrn Kafforke in Blauen Affen - jenau wie früher. Da jehn wir nicht mehr hin, sag ick, dis kann sich unsereener nicht mehr leisten. Unser Bier koofen wir bloß noch bei ALDI.

Wie wir denn doch in unsre alte Stammkneipe saßen, dis ging denn alles auf Rechnung vons Salzamt, hat uns Atze mal aufjeklärt:

Die Leuten brauchen Optimismus, sagt er, es geht vorwärts in die FNL. Wat issen dis nu schon wieder? frägt mein Jehülfe, dauernd muss man nu neue Abkürzungen lernen.

FNL, meint Atze, sagt man bei uns inne Regierung, wenn man von die fünf Neuen Länder sprechen tut, aber der Herr Waigel hinterpretiert dis ville passender: Fürchterliche Nächstenliebe.

Dis hat mir ehrlich jesagt ’n bißken jeärgert. Dein Herr Waigel, sag ick, der soll man janz stülle sind. Wenn ick da mal inne BILD-Zeitung auspacke, is der Mann jeliefert: In meinen Berliner Herrensalong hat seinerzeit dis Müllionenjeschäft stattjefunden, die jeheimnisvolle Überjabe von den Kurier von den KaGeBe an den Bayrischen Jeheimdienst, und ick selber habse Theon mit Mastix ankleben gemusst: die berühmten Augenbrauen von Leonid Breschneff.

Hör doch auf, Vater Kleinekorte, sagt Atze, sowat intressiert doch nicht mal mehr die Arbeitslosen in die FNL. Jetzt muss endlich mal Schluss sein mit diese linke Schümpferei.

Da is mir der Kragen jeplatzt. Die Tuhr kenn ick, sag ick, unter Willem hieß et vaterlandslose Jesellen, bei Goebbels Nörgler und Miesmacher, bei Honecker und Mielke klassenfeindliche Alimente ...

Lass mal Luft ab, sagt Atze, jetz musste dir endlich mal daran jewöhnen, deß du ein freier Mensch bist.

Jut, werd ick ihm antworten: Ick jeh mal spaßhalber auf dein Ulk ein. Früher war ick zwar unfrei, aber ick hatte zumündest dis Recht, mir zu beschweren; ick konnte ne Einjabe machen und bis zum Staatsrat jehn, und die mussten mir binnen vierzehn Tage antworten, und heute?

Heute, sagt Atze, biste frei und hast also keen Jrund, dir zu beschweren.

Hör uff, sag ick und merk schon, wie mir die Jalle zu pieksen anfangt, Post, Telefon, Finanzamt, Pulleßei, ick weiß jar nicht wo ick zuerst mit Ärjern anfangen soll.

Siehste, sagt Atze, jetzt hab ick dir, wo ick dir hinhaben will: Demokratie is ein Jeschäft, und dis muss man ehmt mühsam erlernen. Also wennsde dir irgendwie ärjern tust, denn schreibste an meine neue Arbeitsstelle, ans Salzamt, und weil wir uns schon so lange kennen, noch aus die unselige Stasizeit, wo man ohne Beziehungen nicht leben konnte, schreibste gleich zu Händen Herrn Müsterialrat Artur Langerwisch, denn kommts stantepeze auf mein Schreibtisch, und ich kann die betreffenden Herren aus die FNL ein Wink geben.

Herr Kafforke hatte an den Ahmt wohl schon ’n bißken zu ville jetrunken. Sonst hätte er sone dusslige Frage nicht jestellt: Und dis soll helfen, sone Beschwerde ans Salzamt?

Was heißt helfen? meint Atze. Alle Beschwerdeführer erhalten eine Eingangsbestätigung mit Registriernummer: Hiermit nimmt das Bundessalzamt von Ihren Kümmernissen Kenntnis. Sie werden von uns hören, und Sie werden sich noch wundern.

Echt geil, sagt Herr Kafforke und bestellt gleich noch ne Lage. Und denn rotiert ihr, dass dis Bonner Wasserwerk nur so sprudelt?

Du hast et erfasst, sagt Atze zu mein Jehülfen, du warst schon früher nicht der schnellste. Weißte noch, wie wir dir zum Sieger vons Fritze- Bollmann-Aufjebot erklärt ham, ohne deß du den Schwachsinn jeschnallt hast? Mann, ihr blöden Säcke, die Beschwerden werden alle in ein alten Salzstollen im Heidepark Soltau einjelagert. Die meisten Meckerköppe tun überhaupt nicht nachfragen, und wenn, denn hamse ihren Frust längst abreagiert und wir können ihnen mit ein Zwischenbescheid die Luft rauslassen.

Atze, sag ick, ick hab ja selber ein Problem. Es soll da eine neue Verfügung geben: Jeder Frisörmeister, der SED-Mitgliedern die Haare jeschnitten hat, soll abjelöst und durch einen unbelasteten aus Niedersachsen oder Bayern ersetzt werden.

Onkel Willem, meint Atze, dis lässte dir auf kein Fall bieten, da beschwerste dir doch glatt beim Salzamt. Und dis mach ich! Worauf Sie sich verlassen können. Macht sechsachtzig. Und wenn der Hund jelogen hat, sorg ick bei die nächste Bundestagswahl dafür, deß dis Salzamt da landet, wo der Pfeffer wachsen tut. Und wenn ick damit nicht durchkomme, mach ick ’n Fass uff: Beim Salzamt!



C. U. Wiesner

Geboren im letzten Monat der Weimarer Republik, am Neujahrstag 1933, in der einstigen märkischen Hauptstadt Brandenburg, entwich nach dem Abitur den heimatlichen Stadtmauerzwängen, gelangte in eine etwas größere Hauptstadt, ohne zu ahnen, dass man dort schon zehn Jahre später aus väterlicher Sorge bemüht sein würde, ihm den Horizont mit erheblicherem Bauaufwand zu verstellen.

Eines Tages mochte er fürder nicht mehr in der eingefriedeten Hauptstadt leben und zog es vor, in die vertrauten märkischen Wälder zurückzukehren.

Dank prophetischer Gaben bestellte er den Möbelwagen von Berlin-Pankow nach Klosterfelde für den 9. November 1989.

Während des achtunddreißigjährigen Berlin-Aufenthalts:

Studien als Dolmetscher für Englisch; Germanistik und Filmszenaristik (diese im Gegensatz zu jenen hin und wieder angewandt).

Tätig als Lektor, Redakteur, Reporter, Theaterkritiker, Mitarbeiter der satirischen Zeitschrift Eulenspiegel, Entertainer in eigener Sache, Schauspieler (leider zu selten) und (vorwiegend) Schriftsteller.

Sein bekanntestes Geschöpf ist der Frisör Kleinekorte, den das Berlin-Brandenburgische Wörterbuch zu Recht an die Seite der Volksfiguren von Glaßbrenner und Tucholsky stellt.

C.U.W. schrieb u. a. Hörspiele, Kabarett-Texte, Fernsehfilme und Fernsehserien (u. a. Gespenstergeschichten wie Spuk unterm Riesenrad, Spuk im Hochhaus, Spuk aus der Gruft für Kinder von 8 bis 88 Jahren) sowie dreizehn Bücher, vom Kinderbuch über den Kriminalroman, die satirische Darstellung eigener Umwelt im weitesten Sinne bis zum bitteren erst um die Jahreswende 1989/90 nach einiger Verzögerung erschienenen Märchenroman für Erwachsene Die Geister von Thorland, Machs gut, Schneewittchen! und Lebwohl, Rapunzel! erzählen von den Kinder- und Jugendjahren in der Havelstadt Brandenburg.

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