Briefe an den lieben Gott

Zeichen und Wunder geschehen in Piepenbach, in einer Zeit, in der MTS-Traktoren durchs Dorf knattern und die Bauern Genossenschaften gründen. Aber der alte Joseph, der Totenbettmeister des Dorfes, weiß zu schweigen, und so ahnen die Piepenbacher nichts von der Gnade, die einem ihrer Mitbürger widerfahren ist. Hätten sie übrigens Einsicht in den Briefwechsel zwischen Josef und dem lieben Gott gehabt, sie hätten sich sehr gewundert. Denn der liebe Gott denkt ganz anders über unsere Zeit, über die mangelhafte Versorgung des Konsums mit Stumpen und über freiwillige Aufbaueinsätze, als man sich das so vorstellt, anders als der Herr... alles anzeigen expand_more

Zeichen und Wunder geschehen in Piepenbach, in einer Zeit, in der MTS-Traktoren durchs Dorf knattern und die Bauern Genossenschaften gründen. Aber der alte Joseph, der Totenbettmeister des Dorfes, weiß zu schweigen, und so ahnen die Piepenbacher nichts von der Gnade, die einem ihrer Mitbürger widerfahren ist. Hätten sie übrigens Einsicht in den Briefwechsel zwischen Josef und dem lieben Gott gehabt, sie hätten sich sehr gewundert. Denn der liebe Gott denkt ganz anders über unsere Zeit, über die mangelhafte Versorgung des Konsums mit Stumpen und über freiwillige Aufbaueinsätze, als man sich das so vorstellt, anders als der Herr Pfarrer sich das wünscht. Aber, wie gesagt, das alles weiß nur Josef. Und Evi, die Nachbarstochter, die weiß es auch. Aber sie erzählt es bestimmt niemandem, weil sie Angst hat, dass der Josef es herausfindet. Sie hat nämlich einen noch besseren Draht zum lieben Gott als Joseph, und das würde ihn beleidigen, wenn er es wüsste.

Das 1959 in der DDR erschienene Buch durfte wegen kirchlicher Proteste nicht neu aufgelegt werden.



Der Klempnermeister, der „immer zu wenig Bleche“ bekam, war der erste, dem Joseph am anderen Morgen begegnete. Joseph trat gerade aus dem Haus, als der Klempner mit einer langen Dachrinne auf der Schulter vorbeimarschierte. Er sah Joseph, tippte sich mehrmals an die Stirn und ging grußlos vorüber.

Joseph, außer sich über diese Beleidigung, schrie hinterher: „Dein Blech!“

Der Klempner glaubte etwas verloren zu haben – das hatte Joseph ja auch beabsichtigt –, drehte sich um, und nun tippte Joseph an seine Stirn.

Das war Josephs offizieller Eintritt in Kategorie drei!

Später ging Joseph hinüber in den Pfarrgarten und holte sich die Bohnenstangen aus dem Schuppen. Herr Maisel war nicht zu sehen. Joseph war sehr zufrieden darüber, weil er ja wusste, bei dem kann ich schließlich nicht an die Stirn tippen. Der Totengräber stellte die Stangen auf, zog Schnüre und Drähte, und von Zeit zu Zeit sah er zur Schule hinüber, wo gestern noch der Dreckhaufen gelegen hatte.

Als erster erschien der Herr Bürgermeister. Er ging ins Amt. Automatisch blickte er zu der Stelle, wo der Haufen gelegen hatte. Der Bürgermeister von Piepenbach blieb stehen und schüttelte den Kopf, blickte in die Umgebung, so, als glaube er, jemand habe sich einen Scherz gemacht und den Haufen ein wenig weitergeschleppt. Dann wandte er sich um und lief hastig weiter …

Hähähä –! Kann mir richtig vorstellen, wie der ins Gemeindeamt kommt und schreit: Der Haufen ist weg, Karl, der Haufen! Und der Karl wird sagen: Wo der doch so lange dagelegen hat! – Und sie werden so albern herumblöken, als ob er gestohlen worden wäre.



Am 13. Juli 1924 in Reichenau in Sachsen geboren. Kurt David absolvierte nach dem Besuch der Handelsschule eine kaufmännische Ausbildung. Von 1942 bis 1945 nahm er als Soldat der Wehrmacht am Zweiten Weltkrieg teil. Von 1945 bis 1946 war er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Den Plan einer Ausbildung zum Musiker musste er wegen einer Kriegsverwundung aufgeben. David gehörte vier Jahre der Volkspolizei der DDR an und war anschließend zwei Jahre lang Kreissekretär beim Kulturbund der DDR. Seit 1954 lebte er als freier Schriftsteller zuerst in Oberseifersdorf/Zittau, danach bis zu seinem Tod in Oybin. In den 1960er Jahren unternahm er mehrfach Reisen in die Mongolei und durch Polen. 1970 erhielt er den Alex-Wedding-Preis, 1973 den Nationalpreis, 1980 den Vaterländischen Verdienstorden und 1984 den Lion-Feuchtwanger-Preis. Er starb am 2. Februar 1994 in Görlitz.

Davids frühe Werke haben die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit unter dem Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg zum Thema. Es folgten Bände mit Reiseberichten. Den größten Teil in Davids Werk bilden die Kinder- und Jugendbücher, von denen vor allem der humoristische Band „Freitags wird gebadet“ in der DDR ein großer Publikumserfolg, auch in der Fassung als Fernsehserie, war. Eine weitere Facette in Davids Schaffen bilden historische Romane, die Themen aus der Geschichte der Mongolen behandeln. Außerdem schrieb David Biografien über die Komponisten Beethoven und Schubert.

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