Das Blechpottorchester
Eine Feriengeschichte
Unwillig schlenkert Friedemops mit den Beinen, dort oben auf dem Milchbock, von wo er den Ferienbus als Erster sehen kann. Wenn erst der Borstel, dieser fremde Lümmel, und die Mädchenzicke da sind, dann bin ich Nebensache bei Tante Doris, eine Null, abgemeldet, ausgebootet. Aber die … die sind obenauf! Mir hat sie noch nie eine Torte gebacken, und denen gleich so ein Riesendingsbums, mit Aufschrift aus Marzipan! Aber die sollen mich kennenlernen, diese … diese Tante-Doris-Klauer ...
Und schon stehen alle Segel auf Sturm, obwohl die Ferien doch gerade erst begonnen haben. Verfolgungsjagden sind unvermeidlich, glitzergrüne Gespenster geistern herum, und Friedemops wird sogar vom Erdboden verschluckt.
Doch sehr bald erweisen sich die vermeintlichen Gegner Borstel und das Pferdemädchen Evelyn — die wir ja bereits aus den „Sommerkindern von Ralswiek“ kennen — als ebenso tolle Ferienfreunde wie die wirblige Katharina und der staksbeinige Eckart aus „Brücke, Boot und Bienenhaus“.
In dieser neuen Abenteuergeschichte führt Gerhard Dallmann die unternehmungslustigen Jungen und Mädchen zusammen, lässt sie kräftig aneinandergeraten und sich schließlich gegenseitig schätzenlernen. Wen kann es da noch wundern, dass eine modrige Höhle eine wichtige Rolle spielt oder eine Torte zum Fußball wird? Ja, sogar ein echtes Schiffswrack wird entdeckt.
Die prallen Sommererlebnisse der fünf finden in einer Zirkusvorstellung ihren Abschluss mit einer richtigen Sinfonie, der Blechpottsinfonie in Blech-Moll:
Töpfe, Tiegel und Deckel aller Größen, geordnet, wie es die Partitur vorschreibt, nämlich Klimperdeckel rechterhand, zwei Fünf- und Zehnlitertöpfe in der Mitte und links die hölzerne Waschbütte und die beiden neuen Mülltonnen, dazu Tante Doris’ Waschbrett. Dann pingelt es und schetterengt, dann dröhnt es und kollert. Und aus allem hervor erhebt sich eine Melodie, das Lied von einem ganzen Sommer voller Abenteuer.
„Leute!“, begann Eckart. „Wenn dies hier die ANNA ist, und sie ist es selbstverständlich, werden wir erst die Tierknochen bergen müssen, die wir noch im Laderaum vermuten dürfen. Das heißt, einer von uns muss hinunter.“
In den Laderaum hinunterzusteigen war mehr als gefährlich. Wer ahnte schon, was auf ihn wartete? Wer wusste von der Tiefe des Raums und des Wassers darin? Wer kannte die Temperaturen da unten? Und wer die Tragfähigkeit der morschen Bretter? Dazu war es da drunten bestimmt dunkel wie in einem Erdschlund.
Trotzdem: Einer musste hinunter. Das war allen klar. Fragend sahen sie einander an. Du? Ich? - Ich? Du? - Langsam kam Bewegung in die Gruppe. Evelyn rieb sich die Hände, weil die Geschichte jetzt so richtig spannend wurde. Katharina ließ Vorschläge über Vorschläge los. Friedemops haute vor Begeisterung Borstel eins auf den Hintern. Und einen Moment ging alles hin und her, bis es hoch oben „Tschaik“ machte. Und Borstel rief über alles Geplapper hinweg: „Zella wieh, ich gehe runter.“
„Prima, Borstel!“, stieß Evelyn ihn an und warf ihre Haare in den Nacken. „Du machst das schon!“
„Gut, geh du runter.“ Der Kapitän gab seine Zustimmung. „Wenn das Seil knackt oder dir was passiert, komme ich nach. Solange halten wir hier oben fest.“
Bisher hatten sie von der Ladeluke nur ein paar morsche Bretter durchgedrückt, die unten ins Wasser klatschten. Jetzt hoben sie eins nach dem anderen auf, jedes verfault, jedes weich wie Gummi. Je mehr Bretter sie aber abräumten, desto lichter wurde es in der Tiefe. Das war zwar schön, doch schwand mit dem einfallenden Licht auch das Geheimnisvolle, das sie eigentlich suchten. Ja, der Raum unter ihren Füßen zeigte sich am Ende geradezu freundlich und einladend. Oder sollte das täuschen?
Eckart schlug einen Seemannsknoten in das eine Ende von Friedemopsens Wäscheleine, legte es fest und warf das andere, das lose Ende also, hinab. Unten pütschte es im Wasser auf.
„Wir müssen zuerst wissen, wie tief es ist“, gab Eckart Order.
„Ihr müsst mich aber gut halten“, forderte Borstel und kletterte auf den Lukenrand. Sein Fernglas übergab er Evelyn: „Immer am Riemen tragen - und ...“
„Nicht ins Wasser fallen lassen“, lachte sie und nahm es ihm ab.
Borstel fasste das Seil.
„Nein, so geht es nicht.“ Er riss sich Schuhe und Strümpfe von den Füßen, zog das Hemd vom Leib und setzte erneut an. „So geht’s besser.“
Evelyn nahm seine Sachen und legte sie sorgfältig zur Seite.
Borstel turnte hinab. Hand über Hand, wie er das Tauklettern in der Schule gelernt hatte. Hier konnte er es endlich einmal anwenden. Sein blonder Strubbelkopf war bald das Einzige, was noch zu sehen war. Evelyn verfolgte seine Bewegungen mit höchster Spannung und merkte nicht einmal, wie sich ihre Hände krampften und lösten, als wäre sie es selbst, die hinabkletterte.
Jetzt sahen sie es alle: Borstel stippte einen Zeh ins Wasser. Nun schlenkerte er mit dem Fuß und warf Wellen.
„Ich bin angelangt!“ Hohl hallte es herauf. „Das Wasser ist so nass wie draußen!“ Aber niemand lachte.
„Wie tief?“, fragte Eckart.
Sie sahen, dass Borstel tiefer hinabstieg. Das Wasser ging ihm nun bis an die Knie, bald über die Schenkel und nun bis an den Hosensaum.
„Ich habe noch keinen Grund“, scholl es herauf. „Ich komme hoch, da muss was geändert werden.“
Zug um Zug stieg Borstel wieder ans Tageslicht. Oben fassten sie seine Hände und zogen ihn über die Lukenschwelle. Deren Kanten waren scharf und von Rost zahnig gefressen. Ziemlich gefährlich, sollte man sich an ihnen stoßen.
Borstel strahlte: „Das macht Laune. Das sieht da unten vielleicht aus! Und stinken tut das! Wie Hupaz. So richtig nach Wrack. Ich muss aber was ändern. Ich will noch tiefer rein.“
Und ohne sich weiter zu bedenken, flog seine Hose in die Ecke, und die Mädchen guckten zur Seite.
Wieder Abstieg. Kurz darauf kamen die ersten Nachrichten oben an:
„Ich bin jetzt bis zum Hintern drin - jetzt bis zum Bauchknopp - jetzt bis zu den Brustknöppen - noch immer kein Grund - ich schwimme - pfifft - ich lasse das Seil - pffft - los - wie in - einer Schwimmhalle - pffft - ihr da oben habt - ganz kleine Visagen - ich versuche - rcktff - zu tauchen - Achtung - ich tauche ...“
Geboren am 18. Juni 1926 in Stettin als Sohn eines Kaufmanns und einer Klavierpädagogin in einer ethisch gesunden Familie, die die Zeit des Nationalsozialismus mit klarer Durchsicht und Urteilskraft durchzustehen wagte. In den Jahren bis 1945 (Schulzeit, Reichsarbeitsdienst und Militärzeit als Funker bei der Marine) festigte sich in mir eine Art Bewusstsein, das mich durch mehrere Jahre Kriegsgefangenschaft (Kohlebergwerk) und durch die Jahre der DDR unbeschadet trug.
1948 Beginn der diakonischen Ausbildung, 1951 kirchliche (evangelische ) Jugendarbeit in Pommern.
1953 Verheiratung mit Kantorin Irmgard Mache (B-Examen und Sologesang). Musik und undogmatische kirchlich kritische Haltung des Glaubens verbanden uns.
1954 Übernahme des Pfarramtes in Tribsees, 1960 Ausbildungsleiter im Diakoniehaus Züssow, 1965 Übernahme der Pfarre in Greifswald-Wieck.
Erster Sohn Professor der Musik in Berlin, 2. Sohn Orthopäde, 3. Tochter Psycho-, Musik-, Atemtherapeutin und Sängerin Erfurt. Enkel, Urenkel.
Seit 1991 im Ruhestand.
Die veröffentlichte Literatur ist sowohl historisch archivarisch belegbar, als auch bewusst in pommerscher, milieufarbiger und lokaler Zielsetzung gefasst, mit leicht durchscheinendem christlichen Hintergrund als hintergründiges Ablehnen der DDR-Ideologie. Außerdem unveröffentlichtes, meist humoristisches Material.
Grundsätzliches: Ja ist Ja, Nein ist Nein. So dachte ich und so denke ich noch heute.
Nebenbei: Segelsport seit der Kindheit. Begegnung mit der Natur fördert das Staunen und stellt Hochmut in Frage.
Gerhard Dallmann
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- Artikel-Nr.: SW9783956550195
- Artikelnummer SW9783956550195
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Autor
Gerhard Dallmann
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 372
- Veröffentlichung 12.08.2014
- ISBN 9783956550195