Friederike und ihr Kind
Eine gute Mutter will sie sein, und Benny versucht als Vater auch sein Bestes. Aber sie sind beide erst fünfzehn und hätten nicht gedacht, dass es so schwierig werden würde. Friederike will die 9. Klasse nicht wiederholen und die Mutter soll ihr das Baby auch nicht abnehmen, es ist ja ihr Kind. Und Benny möchte nicht immer nur bei Freundin und Kind hocken. Er hat sich schon bei der Seereederei beworben und segelt so gern mit seinem Freund auf dem Schweriner See.
LESEPROBE:
Friederike ist die Erste im Wartezimmer. Sie geht mit Domenico auf und ab, bis Schwester Edeltraut sie einlässt und der Arzt, beschwingt und sportlich wie immer, zur Sprechstunde erscheint.
„Kleine Mutter“, sagt er sofort, „Sie haben in dieser Nacht nicht geschlafen.“
„Weil mein Kind schreit.“
„Ja, unüberhörbar. Seit wann?“
Sie erzählt es ihm und zwischendurch, während seine geübten Hände mit Domenico hantieren, gibt er Schwester Edeltraut über die Schulter hinweg Auskünfte. Er verhandelt mit einem aus hinteren Räumlichkeiten eingetretenen Kollegen über Gewerkschaftsbeiträge, er diktiert der Sekretärin etwas in die Maschine, er unterschreibt Rezepte.
Als er ans Telefon gerufen wird, teilt er Friederike im Vorbeigehen mit: „Ihr Kind hat eine Mittelohrentzündung, schmerzhaft natürlich, deshalb schreit es.“
Dann ist er wieder da und fragt: „Kleine Mutter, wo ist eigentlich die große Mutter, die Großmutter?“
Sie erzählt ihm auch das, und er hört mit jenem lebhaften Interesse zu, das er ihren Familienangelegenheiten von Anfang an entgegengebracht hat.
„Wissen Sie was“, sagt er plötzlich, als sei ihm ein höchst erfreulicher Vorschlag eingefallen, „diesmal geben wir das Kind in die Klinik, okay?“
Es klingt so selbstverständlich, dass Friederike beinah aufatmet, dankbar, dass ihr eine zweite Nacht wie die vergangene erspart bleiben soll. Aber sie verachtet sich dafür und senkt den Blick. „Warum denn?“, murmelt sie.
„Zu Ihrer Entlastung. Sie sind ziemlich weit runter, stimmt’s?“
Sie antwortet nicht. Erschrocken fragt sie sich, ob der Arzt ahnt, wie garstig sie in der Nacht einen Moment lang zu ihrem Kind gewesen ist.
„Keine Bange“, fährt er fort, „Ihr Kind ist bald wieder gesund und puppenlustig, schneller als Sie, kleine Mutter.“
„Ich bin nicht krank. Domenico ist jetzt tagsüber in der Krippe. Das geht ganz gut.“
„Ja, solange nichts dazwischenkommt. Krippenkinder werden nun mal öfter krank, damit müssen Sie rechnen. Sie haben keine Reserven, keinen Spielraum.
Friederike ist die Erste im Wartezimmer. Sie geht mit Domenico auf und ab, bis Schwester Edeltraut sie einlässt und der Arzt, beschwingt und sportlich wie immer, zur Sprechstunde erscheint.
„Kleine Mutter“, sagt er sofort, „Sie haben in dieser Nacht nicht geschlafen.“
„Weil mein Kind schreit.“
„Ja, unüberhörbar. Seit wann?“
Sie erzählt es ihm und zwischendurch, während seine geübten Hände mit Domenico hantieren, gibt er Schwester Edeltraut über die Schulter hinweg Auskünfte. Er verhandelt mit einem aus hinteren Räumlichkeiten eingetretenen Kollegen über Gewerkschaftsbeiträge, er diktiert der Sekretärin etwas in die Maschine, er unterschreibt Rezepte.
Als er ans Telefon gerufen wird, teilt er Friederike im Vorbeigehen mit: „Ihr Kind hat eine Mittelohrentzündung, schmerzhaft natürlich, deshalb schreit es.“
Dann ist er wieder da und fragt: „Kleine Mutter, wo ist eigentlich die große Mutter, die Großmutter?“
Sie erzählt ihm auch das, und er hört mit jenem lebhaften Interesse zu, das er ihren Familienangelegenheiten von Anfang an entgegengebracht hat.
„Wissen Sie was“, sagt er plötzlich, als sei ihm ein höchst erfreulicher Vorschlag eingefallen, „diesmal geben wir das Kind in die Klinik, okay?“
Es klingt so selbstverständlich, dass Friederike beinah aufatmet, dankbar, dass ihr eine zweite Nacht wie die vergangene erspart bleiben soll. Aber sie verachtet sich dafür und senkt den Blick. „Warum denn?“, murmelt sie.
„Zu Ihrer Entlastung. Sie sind ziemlich weit runter, stimmt’s?“
Sie antwortet nicht. Erschrocken fragt sie sich, ob der Arzt ahnt, wie garstig sie in der Nacht einen Moment lang zu ihrem Kind gewesen ist.
„Keine Bange“, fährt er fort, „Ihr Kind ist bald wieder gesund und puppenlustig, schneller als Sie, kleine Mutter.“
„Ich bin nicht krank. Domenico ist jetzt tagsüber in der Krippe. Das geht ganz gut.“
„Ja, solange nichts dazwischenkommt. Krippenkinder werden nun mal öfter krank, damit müssen Sie rechnen. Sie haben keine Reserven, keinen Spielraum. Kaum hat Ihr Kind einen Infekt, fehlen Sie in der Schule, zwangsläufig. Wissen Sie was?“, sagt er wieder in dem Ton, als sei ihm eine blendende Idee gekommen. „Sie sollten mit der Schule aussetzen. Warum fangen Sie nicht im September die neunte Klasse einfach von vorne an?“
Friederike braucht einige Sekunden, um zu begreifen, dass er dies tatsächlich ernst meint. „Sitzenbleiben? Sie finden, ich sollte sitzenbleiben? O nein! Ich bin sowieso zu alt, nicht den Jahren nach, aber sonst. Mit meiner dreiundzwanzigjährigen Schwägerin versteh ich mich besser als mit den Mädchen in meiner Klasse, und da wollen Sie mich zu denen schicken, die jetzt Jugendweihe haben?“
„Ich schicke Sie nicht. Ich sage nur, was ich an Ihrer Stelle tun würde.“
Christa Grasmeyer wurde 1935 in Schwerin geboren. Sie arbeitete zunächst in verschiedenen Berufen, war Journalistin, Arztsekretärin, im Buchhandel tätig und als Sekretärin in einem Sportclub.
1975 veröffentlichte sie ihr erstes Buch, dann regelmäßig weitere Bücher, bis sich fünfzehn Jahre später ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen so grundlegend veränderten, dass sie das Schreiben aufgab und nur noch gelegentlich die eine oder andere Kurzgeschichte verfasste.
Christa Grasmeyers Bücher wenden sich vorwiegend an jugendliche Leser. Ihre Erzählungen handeln von der schwierigen Lebensphase der Jugendzeit, von Liebe und Freundschaft, von familiären Konflikten oder von Problemen bei der Berufsausbildung.
Christa Grasmeyer lebt in Schwerin, seit 1977 freischaffend.
Bibliografie:
Eva und der Tempelritter, Verlag Neues Leben, Berlin 1975 (Prag 1979, Warschau 1983, Budapest 1985)
Kapitän Corinna, Verlag Neues Leben, Berlin 1977
Der unerwünschte Dritte, Verlag Neues Leben, Berlin 1979 (Budapest 1988)
Ein Fingerhut voll Zuversicht, Verlag Neues Leben, Berlin 1980
Verliebt auf eigene Gefahr, Verlag Neues Leben, Berlin 1984
Aufforderung zum Tanz, Verlag Neues Leben, Berlin 1986
Friederike und ihr Kind, Verlag Neues Leben, Berlin 1988
Was hast du getan?, Kurzgeschichte in: "Wahnsinn", Verlag Otto Maier, Ravensburg 1990
Drei von draußen, Kurzgeschichte in: Hamburger Abendblatt 1996
Literarische Auslese "Weihnachtsveranstaltungen", Radius-Verlag, Stuttgart
May be - Kurzgeschichte, unveröffentlicht
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- Artikel-Nr.: SW9783956550324
- Artikelnummer SW9783956550324
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Autor
Christa Grasmeyer
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 262
- Veröffentlichung 24.08.2014
- ISBN 9783956550317