Goldwurm und Amurtiger
Vor langer Zeit lebte im Altaigebirge ein Mann mit seinem Sohn, der keiner nützlichen Arbeit nachging. Die Leute nannten ihn den Goldwurm, weil er sich auf ihre Kosten das Leben vergoldete. Als die beiden sahen, dass die Dorfbewohner sich mit Holz für den kalten Winter eindeckten, fällten sie die wenigen Bäume, die es in den Bergen gab. Sie wollten sie den frierenden Menschen im Winter teuer verkaufen. Da begegnete Ihnen ein Amurtiger.
„Mir auch“, antwortete Goldwurm, „aber wenn sich nichts Besseres bietet, dann ...“, mitten im Satz verstummte er, weil er plötzlich einen mächtigen Amurtiger die dunkle Schlucht herabkommen sah. Goldwurm, klein von Gestalt und dürr, riss die kurzen Arme hoch, sprang blitzschnell in einen engen Felsspalt hinein, hoffte so, der Tiger könne ihm nicht folgen. Das Tier jedoch lief an Goldwurms Sohn vorbei, als gäbe es den nicht, und trabte gemächlich zum Rand des Spalts, wo es sich duckte und die rechte Vorderpfote hinabsteckte, um mit der Tatze die magere Brust von Goldwurm zu berühren. „Er wird mich töten, Sohn, hörst du, töten wird er mich! Nimm die Axt und erschlag die Bestie!“
Gehorsam packte der Sohn die schwere Axt und holte gewaltig zum Schlage aus.
Wie Goldwurm aber sah, dass sich der Amurtiger zunächst damit begnügte, an ihm herumzuschnüffeln, und auch den Druck mit der Tatze auf seine Brust nicht verstärkte, rief er zu seinem Sohn hinauf: „Ich habe es mir eben überlegt: Mit der Axt zerhackst du das kostbare Fell. Verkaufst du das aber als Ganzes in der Stadt, zahlen sie dir einen hohen Preis dafür.“
„Mehr als für das Holz?“
„Ebenso viel.“
Sofort warf der Sohn die Axt weg und holte einen dicken Knüppel, der einer Keule glich.
Gehorsam hob der Sohn den Knüppel hoch und holte gewaltig zum Schlage aus.
Kurt David
Am 13. Juli 1924 in Reichenau in Sachsen geboren. Kurt David absolvierte nach dem Besuch der Handelsschule eine kaufmännische Ausbildung. Von 1942 bis 1945 nahm er als Soldat der Wehrmacht am Zweiten Weltkrieg teil. Von 1945 bis 1946 war er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Den Plan einer Ausbildung zum Musiker musste er wegen einer Kriegsverwundung aufgeben. David gehörte vier Jahre der Volkspolizei der DDR an und war anschließend zwei Jahre lang Kreissekretär beim Kulturbund der DDR. Seit 1954 lebte er als freier Schriftsteller zuerst in Oberseifersdorf/Zittau, danach bis zu seinem Tod in Oybin. In den 1960er Jahren unternahm er mehrfach Reisen in die Mongolei und durch Polen. 1970 erhielt er den Alex-Wedding-Preis, 1973 den Nationalpreis, 1980 den Vaterländischen Verdienstorden und 1984 den Lion-Feuchtwanger-Preis. Er starb am 2. Februar 1994 in Görlitz.
Davids frühe Werke haben die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit unter dem Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg zum Thema. Es folgten Bände mit Reiseberichten. Den größten Teil in Davids Werk bilden die Kinder- und Jugendbücher, von denen vor allem der humoristische Band „Freitags wird gebadet“ in der DDR ein großer Publikumserfolg, auch in der Fassung als Fernsehserie, war. Eine weitere Facette in Davids Schaffen bilden historische Romane, die Themen aus der Geschichte der Mongolen behandeln. Außerdem schrieb David Biografien über die Komponisten Beethoven und Schubert.
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- Artikel-Nr.: SW9783965218680458270
- Artikelnummer SW9783965218680458270
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Autor
Kurt David
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 18
- Veröffentlichung 10.03.2023
- ISBN 9783965218680
- Wasserzeichen ja