Merit Jahn und der verschwundene Sohn

Ringo, der achtzehnjährige Sohn der Gutsherrenfamilie von Behren ist spurlos verschwunden. Ringos Mutter will jedes Aufsehen vermeiden und scheut den Weg zur Polizei. Sie beauftragt die clevere Sozialarbeiterin Merit Jahn, unauffällig Informationen zum Verbleib ihres Sohnes zu suchen. Die wird auch bald fündig, doch die Spuren führen gleich zu mehreren Verdächtigen. Hat etwa Ingrid, Inhaberin einer Töpferwerkstatt im Nachbardorf, etwas mit Ringos Verschwinden zu tun? Sie hat sich den Jungen zum Liebhaber gewählt, obwohl sie mehr als doppelt so alt ist wie dieser. Oder hat ihr Mann Tim, ein erfolgreicher Schriftsteller, Lunte gerochen und den... alles anzeigen expand_more

Ringo, der achtzehnjährige Sohn der Gutsherrenfamilie von Behren ist spurlos verschwunden.

Ringos Mutter will jedes Aufsehen vermeiden und scheut den Weg zur Polizei. Sie beauftragt die clevere Sozialarbeiterin Merit Jahn, unauffällig Informationen zum Verbleib ihres Sohnes zu suchen.

Die wird auch bald fündig, doch die Spuren führen gleich zu mehreren Verdächtigen.

Hat etwa Ingrid, Inhaberin einer Töpferwerkstatt im Nachbardorf, etwas mit Ringos Verschwinden zu tun? Sie hat sich den Jungen zum Liebhaber gewählt, obwohl sie mehr als doppelt so alt ist wie dieser. Oder hat ihr Mann Tim, ein erfolgreicher Schriftsteller, Lunte gerochen und den Nebenbuhler beseitigt. Schließlich stehen auch Ringos Eltern unter Verdacht, die mit dem nicht standesgemäßen Lebenswandel ihres Sohnes keinesfalls einverstanden sind.

Merit Jahn versucht verzweifelt, die Fäden zu entwirren. Wird es ihr gelingen, Ringo lebend zu finden?



Ringo von Behren leerte seine Sporttasche auf dem Bett aus. Jogginganzug und Sportschuhe waren jetzt nicht angesagt. Eine frische Unterhose und ein T-Shirt mussten rein. Und seine Kulturtasche war zu packen. Er rieb sich die Hände. Ein Traumwochenende erwartete ihn.

Minuten darauf verließ er mit der geschulterten Tasche sein Zimmer. Mondlicht fiel durch das Fenster in den Flur. Im Gutshaus war es still. Seine Eltern schliefen demnach. Er schloss leise hinter sich die Zimmertür, schlich die Treppe hinunter in die Diele, öffnete die Eingangstür. In der halb offenen Tür hielt er noch einmal inne, um zu lauschen. Nichts war aus dem Haus zu hören. Das Vergnügen konnte beginnen. Er schlüpfte in die mondbeschienene Nacht, zog die Tür hinter sich zu, schloss sie ab, steckte den Schlüssel ein.

In der Kieferngruppe am Ende des Rasens schrie ein Käuzchen. Kündigte ein Käuzchenruf nicht den Tod eines Menschen an? Seine Großmutter hatte das immer gesagt. Doch nun war sie tot, schon viele Jahre. Er glaubte natürlich nicht an so einen Quatsch. Er huschte zur Scheune. Dort wartete sein BMW. Über die mit Eichen gesäumte Zufahrt fuhr er zur B 214. Auf der Bundesstraße gab er Gas, dazu drehte er seine Rap-Musik laut auf. Der Fahrtwind fuhr ihm durch das heruntergelassene Seitenfenster ins Haar. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. Seine Eltern konnten ihn mal. Wenige Kilometer vor der Auffahrt zur A 2 bog er nach rechts ab. Merversen hieß das Kaff. Es war noch schlimmer als Behrenbostel, das Dorf, in dem er wohnte und das nach seiner Familie benannt war. Alte Bauernhöfe, niedersächsische Fachwerkhäuser, Wacholder, Heide, mickrige Rhododendren. Von der Hauptstraße bog er in eine Seitenstraße und folgte dieser bis zu einem langgestreckten Backsteinhaus mit Werkstatt. Durch eine torbreite Lücke im Holzzaun steuerte er zum Eingang des Hauses, der sich hinter einer Wand aus Nadel- und Blattgestrüpp verbarg. Dort, vor der Tür, von der Straße uneinsehbar, parkte er.

Am Nachthimmel keine Wolke. Die Luft war mild. Grillen zirpten. Ein Lichtstreifen fiel verheißungsvoll aus dem Stubenfenster auf den Sand des Hofplatzes. Ringo schnappte sich seine Sporttasche, zog sie vom Beifahrersitz. Sein Herz klopfte heftig vor Vorfreude. Er drückte die Autotür zu, verriegelte den BMW. Kurz glättete er seine Haare, dann wandte er sich dem Eingang zu. Die Haustür war nur angelehnt. Er schob sie auf und trat in die Diele.

‚Brigde over trouble water‘ plätscherte aus dem Raum nebenan.

Ringo stellte seine Sporttasche auf der alten Hochzeitstruhe neben dem Bauernschrank ab, zog seine Sneaker aus. Barfuß betrat er die Stube. Räucherstäbchenduft empfing ihn, wie auch eine Flasche Rotwein und zwei gefüllte Gläser auf dem Ikea-Kieferntisch. Ingrid lächelte ihn mit untergeschlagenen Beinen, gehüllt in ihrem Seidenkimono, unter dem sie, wie es schien, nichts anhatte, vom ledernen Dreiersofa aus an. Ringo spürte, wie sich sein Glied versteifte. Ingrid, seine Traumfrau. Ihr Körper, ihr Lächeln, ihr Geruch, ihre Stimme, wie sie sich bewegte, vor allem ihre kastanienbraunen langen Locken, das alles erregte ihn. Er wollte sie festhalten und nie mehr loslassen. Und das würde er auch tun, ganz gleich, was seine Eltern dazu sagten. Auch wenn Ingrid zwanzig Jahre älter war als er, fast so alt wie seine Mutter. Was machte das schon? Seinen Eltern hatten ohnehin nie die Mädchen gepasst, die er mochte. Nicht standesgemäß, nicht gebildet genug. Ringo seufzte unmerklich. Ingrid und seine Mutter hatten wenigstens Gemeinsamkeiten. Beide liebten Wein und die Beatles. Wegen der Beatles hieß er Ringo. Er hatte den Namen immer fürchterlich gefunden, zeitweise seine Eltern, weil sie ihm den Namen gegeben hatten, sogar gehasst. Seitdem er Ingrid kannte, war das anders. Er hatte sie beim Osterfeuer kennengelernt. Dort hatte er seinen achtzehnten Geburtstag nachgefeiert. Sein Vorname war es, weswegen sie sich mit ihm eingelassen hatte. Ihr Alter zu Hause hieß Tim, Tim, ein Allerweltsname. Ringo hingegen ... wenigstens die Sache mit dem Namen hatten seine Eltern richtig gemacht. Er durchquerte das Wohnzimmer und warf sich auf das Zweiersofa Ingrid gegenüber. Über die Gläser und die Rotweinflasche grinste er sie an.

„Auf uns, mein Sonnenschein.“ Sie beugte sich vor, ergriff ihr Weinglas und hob es an. Sonnenschein, so nannte sie ihn, weil sein Haar strahlend gelb wie Weizen im Hochsommer war. Abgesehen davon hatte er ihr dunkles Dasein erhellt.

Ringo langte nach dem Glas vor ihm und prostete ihr zu. Sie tranken einen Schluck. An ihrem Glas blieb ein wenig purpurroter Lippenstift zurück. Er stellte das Glas ab und zog sein T-Shirt aus.

Auf den Dielen vor dem hellbraun gefliesten Kachelofen lag eine beigefarbene ausgebreitete Wolldecke. Etwas abseits davon brannten Kerzen in einem achtarmigen Kerzenleuchter. Ihr flackerndes Licht rußte zur weiß getünchten Zimmerdecke.

Ingrid streckte ihm wieder ihr Glas entgegen. „Auf unser Wochenende!“

Sie stießen an. Die Gläser klirrten. Schwer hing der Duft der Räucherstäbchen in der Luft, vermischt mit ihrem Rosenduft. Ingrid liebte Rosen. Im Bauerngarten hinter dem Haus wuchsen mehrere Rosenstöcke, die allesamt mäkelten, obwohl Ingrid sie großzügig düngte. „Der Boden ist einfach zu sandig“, beklagte sie sich. Zweimal hatte Ringo ihr deshalb eine neue Rose geschenkt, robust und für Sandböden geeignet, wie man ihm versichert hatte. Er hatte dafür tief in die Tasche greifen müssen. Aber für Ingrid war ihm nichts zu teuer. Und verdammt, sollten seine Eltern sich nicht so anstellen. Geld hatten sie als Familie doch genug.

Er trank sein Weinglas in einem Zug leer. Das mochte sie nicht. Das wusste er. Wein muss man genießen, sagte sie immer. Er fand nichts an Wein. Bier war ihm lieber. Doch Ingrid wollte es so haben. Das Ambiente musste stimmen, bevor es zur Sache ging. Da spielte er eben mit. Und ein wenig heizte das Ganze ja auch die Erwartung an.

Ingrid schenkte nach.

Er zog die Hose aus, warf sie über die Sofalehne, langte nach dem Glas, leerte es. „Ich liebe dich.“

Sie zog den Kimono von ihren Schultern.

Er grinste sie an. „Du machst mich heiß.“

Sie stellte ihr Glas ab, stand auf und ließ die Hülle fallen. „Komm her, mein Sonnenschein!“ ...



*



Die alte Standuhr auf der Diele schlug zweimal. Ringo war schweißnass. Ingrid hatte wieder einmal alles von ihm gefordert. Nun stand sie nackt vor ihm, mit gerötetem Gesicht, das Weinglas in der Hand. „Gehen wir schlafen.“ Sie trank aus, langte nach seinem leeren Weinglas und verließ das Zimmer, um in die Küche zu gehen.

Ringo rappelte sich auf, pustete die Kerzen aus. Als er es einmal nicht getan hatte, war sie sauer auf ihn gewesen. Ein altes Fachwerkhaus fängt leicht Feuer, hatte sie dazu bemerkt, ich will nicht neben dir als verkohlte Leiche im Bett gefunden werden. Im Dielenlicht, das durch die offene Tür fiel, tappte er durchs Zimmer. Sie erwartete ihn an der Treppe. Er schnappte sich seine Sporttasche und folgte ihr nach oben.

Das Ehebett. Er kroch unter das dünne Oberbett auf der Seite, wo sonst ihr Mann Tim schlief, schmiegte sich an sie, streichelte sie. „Du bist die tollste Frau, die ich je kennengelernt hab. Schieb endlich den Schmarotzer ab.“

„Jetzt nicht.“ Sie machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich bin müde. Ältere Frauen brauchen ihren Schönheitsschlaf.“

„Du und alt. Du nimmst es mit jeder Jüngeren auf.“

Ingrid beugte sich vor. Sie hatte einige Falten um die Augen. „Morgen ist auch noch ein Tag. Lass uns jetzt schlafen.“ Sie küsste ihn.

Er wollte sie umschlingen, an sich drücken, ihr noch einmal zeigen, wie viel Mann er war. Er war mehr Mann als Tim. Doch sie entzog sich ihm, stupste ihm nur mit dem Zeigefinger auf die Nase. „Träum was Schönes.“ Dann drehte sich von ihm weg und zog die Decke bis zu ihren Schultern hoch.

Er betrachtete ihren Hinterkopf, das kastanienbraune Haar, das seidig glänzend auf dem Kissen lag. Nach einer Weile schob er seine Hand unter ihr Oberbett, doch als sie von ihm wegrückte, zog er sie zurück. ...

*

Am Morgen weckten Ringo Sonnenlicht und Vogelgezwitscher. Ingrids Bettseite war leer. Er trat das Oberbett weg, schwang die Beine über den Bettrand. Minuten darauf stieg er die Treppe zur Diele hinunter. Tims Frotteebademantel streichelte seine nackte Haut. Er hatte Tims Duschgel und Deodorant benutzt. So fühlte er sich ein wenig wie Ingrids Ehemann. Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee und aufgebackenen Brötchen empfing ihn, als er in die Küche trat.

Ingrid saß, fertig angezogen, am gedeckten Frühstückstisch. „Na“, begrüßte sie ihn, „endlich wach. Es ist schon nach elf.“

Er reckte und streckte sich, gähnte. „Noch so früh. Das ist sonntags vor meiner Zeit.“ Er warf sich auf den Stuhl ihr gegenüber, langte nach einem Weizenbrötchen im Korb.

Sie schenkte ihm Kaffee ein. „Hast du gut geschlafen?“

„Wie ein Bär. Was machen wir nach dem Frühstück? Ich hätte Lust auf eine erneute Runde.“

Sie winkte ab. „Nach dieser Nacht brauche ich etwas Ruhe. Außerdem muss ich ein paar Tassen glasieren.“

Er zog ein langes Gesicht. „Heute ist Sonntag. Sonntags sollst du ruhen. Das steht schon so in der Bibel. Und morgen kommt schon dein Mann zurück.“

Sie zuckte leichthin mit den Schultern. „So ist es nun mal, wenn man selbstständig ist. So viele Aufträge hat meine Töpferei nicht, als dass ich es mir leisten könnte, die Arbeit nicht rechtzeitig zu erledigen.“ Sie reichte ihm das Glas Nutella. „In vier Wochen ist Tim erneut auf einer Lesung.“

Ringo grinste süffisant. „Dann komm ich aber früher.“

Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst. „Wir sollten es nicht übertreiben. Deine Eltern wären nicht entzückt, wenn sie von uns wüssten. Und ich muss Rücksicht nehmen. Ich bin eine verheiratete Frau, besitze eine Töpferei und wohne in einem kleinen Dorf, wo sich alles schnell herumspricht.“

Er legte das angebissene Brötchen auf das Holzbrett, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Schluss mit der Geheimnistuerei. Was meine Eltern denken ... scheiß drauf! Meine Mutter meckert eh nur rum. Die will am liebsten eine Schwiegertochter mit blaublütigem Stammbaum, damit endlich ein echtes ‚von‘ in die Familie kommt. Pah!“ Er schlug verächtlich auf die Wachstuchdecke. Ein bisschen Kaffee schwappte über den Rand seiner Tasse und bildete eine kleine Lache auf dem Tisch.

Sie holte den Lappen vom Wasserhahn und wischte den Kaffeefleck weg. Von der Spüle wandte sie sich zu ihm um. „Ihr seid die älteste Familie in eurem Dorf. Mit eurem Namen wurde das Dorf gegründet. Da seid ihr etwas Besonderes.“

„Ach, scheiß drauf“, wollte er noch einmal sagen, doch er biss sich rechtzeitig auf die Zunge. Kraftausdrücke mochte Ingrid nicht.

Ihre Hand legte sich auf seine. „Du darfst nicht so hart mit ihnen sein.“ Sie kam zu ihm, neigte sich zu ihm vor und küsste ihn. „Sei dankbar für das, was du hast und einmal haben wirst.“

„Ich pfeif auf das Geld, das Haus, das Land, die Pachteinnahmen.“ Er sprang vom Stuhl auf. Sie wich zurück. Er drückte sie an die Spüle und legte seine Arme um ihre Taille. „Ich will dich. Lass dich endlich scheiden! Schmeiß den Schmarotzer raus!“

„So einfach ist das nicht.“ Ingrid machte sich von ihm frei. „Ich habe Verpflichtungen. Tim hat mir beim Aufbau der Töpferei geholfen. Jetzt braucht er eben mal meine Unterstützung. Und deine Mutter. Sie hat Einfluss, kann mir schaden. Ich bin auf Kunden angewiesen. Anders als du muss ich mir meinen Lebensunterhalt verdienen.“

Er warf sich beleidigt auf den Stuhl. „Ach, und ich hock nur faul rum, oder was?“

Sie kam zu ihm, streichelte ihn versöhnlich über das vom Duschen noch nasse Haar. „Hör auf! Lass uns nicht streiten. Wir haben beide unseren Spaß. Belassen wir es dabei. Beende deine Schule, studiere. Wenn Tim auf Lesereise ist, treffen wir uns gelegentlich."

Er schüttelte mürrisch den Kopf. „Das ist nicht genug. Ich werde herausschreien, dass ich dich liebe. Soll meine Mutter vor Wut platzen und die ganze Welt über uns herfallen. Es ist mir egal.“

Sie sah ihn stumm an, die Lippen zusammengepresst. Er wartete, doch sie sagte nichts.

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