Na denn
Joe Cullen #5
Ben Forbes kommt zurück nach New York, um sich bei alten Freunden für Verfehlungen der Vergangenheit zu entschuldigen. Als er dann unerwartet und ohne Verschulden in einen Todesfall verwickelt wird, verliert er den Kopf und trifft einige sehr falsche Entscheidungen.
Eigentlich moralischen Halt bei einem Meeting der Anonymen Alkoholiker suchend, lernt er wenig später die Schriftstellerin Nora kennen, der er nach einigem Zögern seine etwas abstrus klingende Geschichte anvertraut.
Der nächste große Fehler mt weitreichenden Konsequenzen, denn nun beginnt ein wahres Martyrium …
Das Leben ist wunderbar, dachte Joe Cullen. Samstagmorgen neun Uhr, ein Tag, an dem es ihm noch nie etwas ausgemacht hatte zu arbeiten, weil die Luft frisch war und der Verkehr erträglich. Blauer Himmel, nicht zu heiß, keine schrägen Vögel von Freitagnacht übrig geblieben, noch niemand tot.
Und so arbeitete er bereits eine Stunde und hatte nichts zu tun, außer ein Bagel zu einer weiteren Tasse Kaffee zu essen, die Sportseiten der Times zu studieren und gelegentlich etwas zu meckern, während Mike Mathews wie schon seit einer Woche wieder damit prahlte, am Türsteher des Chaos vorbeigekommen zu sein, um auf die Jagd nach Supermodels zu gehen.
»Die haben so eine Liste, stimmt’s? Das weißt du, stimmt’s? Bist selbst schon da gewesen, stimmt’s? Du verstehst, was ich sage?«
»Hm-hmmmh.«
»Du bist noch nie da gewesen? Ach, komm, Joe. Da musst du hin. Komm heute Abend einfach mit — verstehst du, was ich sage? Ich geh wieder hin. Es war, als wär ich gestorben und in den Himmel gekommen — verstehst du, was ich sage? Von Wand zu Wand zu Wand zu Wand nichts als schlanke große Babes. Wie zum Beispiel Leeza Benson. Kennst du Leeza Benson? Die ist in dieser Werbung. Du kennst die Werbung. Wo sie sich bückt, als würde sie, du weißt schon, dir einen blasen. Macht mich wahnsinnig, diese Werbung. Ich wollte es ihr sagen. Sie war da. Ich wollte einfach zu ihr hin und sagen: Yo, Leeza, bück dich, als würdest du mir einen blasen, machst du das mal für mich, damit ich sehe, was das für ein Gefühl ist. Oooh, wahnsinnig gern würde ich wissen, was das für ein Gefühl ist. Verstehst du, was ich sage? Du magst doch auch schlanke große Babes, Joe, oder vielleicht nicht?«
»Hmmm.«
»Dann musst du mitkommen — hörst du mich? Die haben so eine Liste. Keinen Schimmer, wer die aufstellt. Die Besitzer von dem Schuppen, schätze ich. Mehrere Seiten lang. Die hat er auf einem Klemmbrett, also, der Türsteher — verstehst du mich? Ist dein Name nicht auf der Liste, kommst du nicht rein. Aber das sind alles keine Leute, die bestimmt kommen, es handelt sich um Leute, von denen sie hoffen, dass sie kommen, also, die Inhaber hoffen das. Wenn die nicht kommen, die Leute auf der Liste, läuft auch keine Party. Und wenn die Party nicht läuft, dann sind sie verdammt schnell wieder genau dort, wo sie mal waren, und zwar in irgendeinem Lagerhaus an irgendeiner Seitenstraße am absoluten Arsch der Welt — verstehst du, was ich sage?«
Janet Truelove kam mit einer Starbuck’s-Tüte herein. »Ich habe hier Kaffee? Wer will?«
Cullen senkte seine Zeitung. »Was machst du denn hier?«
»Schieb n paar Ü-Stunden. Lehman nimmt sich einen Psychotag. In der U-Bahn hat so ein Wichser auf ihn geschossen. Hast du davon gehört?«
»Hab gehört, er hätte zu dem Kerl gesagt, er soll sich nicht die Mühe machen, ihn abzuknallen, er wäre nur ein Bahnbulle.«
»Es kam ja noch viel besser«, sagte Truelove. »Er hat dem Typ gesagt, er wäre kein Bahnbulle, er hätte überhaupt keine Befugnisse, der Typ sollte einen Moment warten, dann würde er losziehen und einen richtigen Bahnbullen holen. Der Wichser hat gerade lange genug nicht aufgepasst, dass Lehman ihm ein Ding in die Kniescheibe verpassen konnte.«
»Das ist besser«, sagte Cullen.
»Hallo, Mike«, sagte Truelove. »Steht’n an?«
»Ich, äh, hätte nichts gegen einen Kaffee«, sagte Mathews.
»Einen Buck und einen Quarter«, antwortete Truelove.
Mathews zog seine Hand zurück. »Also, äh, vielleicht…«
»War nur Spaß, Mike. War nur Spaß. Nimm ihn dir. Ich schmeiß ne Runde. Ich schieb Ü-Stunden.«
»Danke, Trues. Danke. Ej, Trues, rat mal, wohin Joe und ich heute Abend gehen? Ins Chaos.«
»Schon da gewesen, schon gesehen«, meinte Truelove beiläufig.
»Nein! In echt jetzt?«
»War ein Scherz, Mike. Wie in: Mein Leben ist das reinste Chaos. Deshalb hab ich Verständnis für die Erfahrung von … Ach, vergiss es. Du meinst den Nachtclub?«
»War letzten Samstag da. Heute Abend will ich wieder hin. Als wär ich gestorben und in den Himmel gekommen — verstehst du, was ich meine? Von Wand zu Wand zu Wand zu Wand nichts als schlanke große Babes — verstehst du, was ich sage?«
Mathews holte tief Luft, und Cullen wusste, dass er gerade darüber nachdachte, Truelove zu fragen, ob sie auch auf schlanke große Babes stand. Aber er fragte nicht, er quasselte einfach weiter.
»Ich hab Joe gerade erzählt, die haben da so eine Liste. Keinen Schimmer, wer die aufstellt. Die Besitzer von dem Schuppen, schätze ich. Mehrere Seiten lang. Die hat er auf einem Klemmbrett, also, der Türsteher — verstehst du mich? Ist dein Name nicht auf der Liste, kommst du nicht rein. Aber das sind alles keine Leute, die bestimmt kommen, es handelt sich um Leute, von denen sie hoffen, dass sie kommen, also, die Inhaber hoffen das. Wenn die nicht kommen, die Leute auf der Liste, läuft auch keine Party. Und wenn die Party nicht läuft, dann sind sie verdammt schnell wieder genau dort, wo sie mal waren, und zwar in irgendeinem Lagerhaus an irgendeiner Seitenstraße am absoluten Arsch der Welt — verstehst du, was ich sage?«
»Dann bist du also reingekommen, vermute ich«, folgerte Truelove.
»Na klar! Als wär ich gestorben und in den Himmel gekommen — verstehst du, was ich sage? Du kannst nicht rein, du stehst nicht auf der Liste, sagt der Türsteher zu mir. Ich dann so: Meine gute Freund, Marcello, der hatte mia nicht gesagte, es gibte Liste. Als iche ausse Italia wege bin, wir sinde gewesen in Roma, in eine Café an Via Boyardee, da sagte er zu mia, du gehste ine Chaos, sage dene, du Freunde von Marcello. Null Probleme.«
»Damit ich das jetzt richtig verstehe, Mike«, sagte Truelove. »Dein Freund, dieser Marcello, das ist …«
»Mastroianni. Der Schauspieler. Ich meine, er ist nicht wirklich mein Freund, das hab ich nur so gesagt. Jedenfalls bin ich reingekommen.«
»Marcello ist tot, weißt du«, sagte Truelove.
»Er ist tot?«
»Schon ein paar Jahre. Hab ich Recht, Joe?«
Cullen hörte nur mit einem Ohr zu. So konnte das ewig weitergehen, genau wie der Hudson River. Aber fragte man den Hudson River: Entschuldige bitte — was hast du gerade gesagt? »Hm-hmh.«
»Apropos sterben und in den Himmel kommen«, sagte Truelove. »Wenn ich sterbe und in den Himmel komme, werde ich als Erstes darum bitten, O. J. Simpson sehen zu dürfen — einfach mal angenommen, er gibt vor mir den Löffel ab. Klar.«
»Weißt du, Trues, ich muss schon sagen, eine Menge Leute wie du sehen das gar nicht so, die glauben nicht, dass der Juice Nicole umgelegt hat.«
»Solltest du auf die Tatsache meiner schwarzen Abstammung anspielen, Mike, muss ich dir sagen, dass es einfach passiert ist. Aber ich wollte eure Geschichte nicht unterbrechen.«
Mathews zuckte die Achseln. »Das war’s. Mehr gibt’s nicht. Ich bin zum Chaos, hab mich am Türsteher vorbeigemogelt, bin rein. Überall Supermodels. Als wär ich gestorben und in den Himmel gekommen.«
»Und hast du, du weißt schon, irgendwen kennengelernt? Irgendwelche Supermodels?«
»Also, ich hab sie nur gecheckt — du verstehst, was ich sage? Man darf in so einer Situation nichts überstürzen, du musst erst alles checken.«
»Aber du gehst wieder hin.«
»Genau. Ich und Joe hier. Stimmt’s, Joe?«
»Hmh.«
»Joseph«, sagte Truelove. »Ist das wahr?«
»Du kennst mich«, sagte Cullen. »Mister Downtown Saturday Night. Isch wörde aus Fronkreisch sein. Isch würde dönen sagön, mon ami, Maurice Chevalier at misch geschickt.«
»Macht euch nur über mich lustig«, schimpfte Mathews. »Ich bin reingekommen. Und ich geh wieder hin. Diesmal steht mein Name auf der Liste. Ich werde da richtig groß was darstellen — versteht ihr, was ich sage?«
Dann ging die Tür des Großraumbüros auf, und Jackie Bruno, der Dienst habende Sergeant, steckte seinen Kopf herein. »Chelsea Piers.« Er zog seinen Kopf zurück und schloss die Tür.
Das ist der einzige Nachteil daran, samstags zu arbeiten, dachte Cullen. Diejenigen, die sie Freitagnacht umgelegt haben, werden so abgeladen, dass du sie am Samstag findest, und zwar richtig schön weit weg.
Jerry Oster ist 1943 in New Mexico geboren, kommt als Zehnjähriger nach New York, besucht die Highschool, geht später auf die Columbia University, wo er Englische Literatur im Hauptfach studiert. Danach hat er einen Job bei United Press International News Service, dann bei Reuter und schließlich bei den New York Daily News. Ein Journalist, ein Mann wie manche seiner Protagonisten. Jerry Oster war Polizeireporter, hat unzählige Tatorte aufgesucht und über alle möglichen Verbrechen geschrieben.
Sein Lektor Peter Hetzel verglich Osters kunstvoll komponierte Gesellschaftspanormen mit einer Bemerkung, die George Grosz über New York machte: »Alles dörrt, siedet, zischt, grölt, lärmt, trompetet, hupt, pfeift, rötet, schwitzt, kotzt und arbeitet.«
Oster ist ein wahrer Meister darin, seine Plots mit scheinbar sinnlosen Ab- und Ausschweifungen auszuschmücken, die dann in ihrer Summe ein atmosphärisch dichtes und plausibles Gemälde dieses »Kolosses unter den Städten« und der dort lebenden Menschen ergeben.
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- Artikel-Nr.: SW9783945684078