Die fünf Leben des Dr. Gundlach

Roman

Fünf Leben. Ein Mann und fünf Leben? Und wer ist eigentlich dieser Gundlach, Hans Gundlach, der sich zu Beginn dieses Buches aus Köln wieder einmal ins Ausland aufmacht: „Herr Doktor“, sagte die Sekretärin, als Gundlach vom Essen kam, „Herr Direktor Winter bittet Sie in zehn Minuten zu sich. Er hat auch etwas geschickt, drinnen auf Ihrem Schreibtisch.“ „Was will er denn?“ Achselzucken, wie üblich; diese Frau wusste niemals mehr, als man ihr sagte. „Es klang sehr dringlich.“ Bestimmt wieder ein Feuerwehreinsatz, Trip ins Ausland, etwa in dieses Drecknest Kairo. Oder nach Übersee, Indien oder... alles anzeigen expand_more

Fünf Leben. Ein Mann und fünf Leben? Und wer ist eigentlich dieser Gundlach, Hans Gundlach, der sich zu Beginn dieses Buches aus Köln wieder einmal ins Ausland aufmacht:

„Herr Doktor“, sagte die Sekretärin, als Gundlach vom Essen kam, „Herr Direktor Winter bittet Sie in zehn Minuten zu sich. Er hat auch etwas geschickt, drinnen auf Ihrem Schreibtisch.“

„Was will er denn?“

Achselzucken, wie üblich; diese Frau wusste niemals mehr, als man ihr sagte. „Es klang sehr dringlich.“

Bestimmt wieder ein Feuerwehreinsatz, Trip ins Ausland, etwa in dieses Drecknest Kairo. Oder nach Übersee, Indien oder Schwarzafrika, wo es dauernd haperte. Ach, er hatte es satt. Die Rheinische Industrie AG stand da in Ländern wie Zaire und Mali als Lichtbringer im Chaos. Und nahm der Ärger überhand, schickte man gern ihn, Hans Gundlach, mit seinen drei Fremdsprachen und der Verhandlungsgabe, die ja bloß Einfühlung war, die Kunst, sich mehr intuitiv als vernunftmäßig in den Partner zu versetzen. Meist gab man ihm einen Wirtschaftsfachmann, Juristen oder Diplomingenieur mit, jemanden aus der Projektierung oder vom Personalbüro, je nach Art des Problems. Er war der vierte Mann in der PR-Abteilung des Konzerns, sein eigener Kram, die Öffentlichkeitsarbeit in der Dritten Welt, blieb dann liegen, aber was half’s: Der Gundlach wird's schon richten.

Diese Szene spielt im Herbst 1980 und Gundlach soll in El Salvador die Auslösung des dort entführten Filialleiters überwachen. Ein Detektivbüro soll ihn für 1,5 Millionen Dollar freikaufen. Und das scheint auch alles zu sein, was ihn außer seiner Karriere und seinem Leben interessiert. Denn Gundlach gerät in El Salvador in nicht geringe Schwierigkeiten. Aber irgendwann muss er sich selber auf die Schliche kommen:

Eine wichtige Erfahrung - damit hatte Gundlach nicht gelogen. Wohin führte sie ihn, was wollte er jetzt? Zunächst einmal Klarheit über sich selbst. Nach diesem Gespräch beschäftigte ihn die Frage, was für ein Mensch er eigentlich war. Was machte ihn denn glücklich, wonach hatte er gestrebt? Bisher nach dem Üblichen: Geld, Erfolg, Karriere. Er war überzeugt, dass man sich im Kern niemals änderte. Die Wechselfälle des Lebens - Schicksalsschläge, beruflicher oder politischer Wandel - gaben dem Streben womöglich eine andere Richtung, ließen den Kern jedoch unberührt.

Mehr und mehr wird Gundlach jedoch in die politischen und sozialen Kämpfe El Salvadors hineingezogen. Und das hat auch mit einer schönen Frau zu tun, Gladys Ortega.



Gundlach sah so gut wie nichts mehr von der Umwelt, heftig umflackert von der Idee, man habe sie durchschaut. Die bloße Möglichkeit beengte sein Herz und dörrte ihm die Kehle aus. Er griff unter den Sitz, wo noch mehr Flaschen lagen, und stieß mit dem Finger in etwas Klebriges. Es war ein pfundschwerer Klumpen, den er zutage förderte - von der gleichen grauen Plastikmasse, die neulich im Kofferraum gelegen hatte. Ein kurzes Stück Draht hing heraus. Er grub nach bis zu einer zylindrischen Kapsel, groß wie ein Fingerhut: der Zünder! Das war keine Warnung mehr. Pinero wusste Bescheid, hatte Mord im Sinn... Das Spiel war aus. "Halt an", schrie er. "Sprengstoff!"

"Wirf ihn raus", sagte Hertel, der den Zünder übersah, da er auf den Weg achtete. Sie rollten auf eine Brücke zu, und ehe sie die erreichten, zog ein Chevrolet an ihnen vorbei, mit fünf Mann besetzt.

Gundlach schleuderte seinen Fund in den Fluss. "Stopp, stopp - da ist vielleicht noch mehr!" Vorgestern waren es auch zwei Klumpen gewesen, und der Draht ließ an Fernzündung denken. Aber Hertel zögerte, auf der Brücke zu halten, blind für die Gefahr. Gundlach griff hinüber, er drehte den Zündschlüssel um, zog die. Handbremse; der Wagen blieb am anderen Ufer stehen.

"Immer ruhig bleiben", sagte Hertel. "Das ist doch wieder bloß Bluff."

Hinter ihnen bremste ein hochbeiniger Range-Rover von British Leyland, ein Salvadoreño schaute heraus. "Habt ihr Panne?" rief er. "Können wir helfen?"

Gundlach stieg aus, bemüht zu erfassen, was vorging. Hertel hatte die Hilfsbereitschaft der Fahrer hier erwähnt, aber das rasche Angebot verunsicherte Gundlach noch mehr. Der Range-Rover war gleichfalls voll besetzt - nur Männer, Sportfischer scheinbar, die Angeln aufs Dach geschnallt. Zu welcher Partei gehörten sie? "Der Öldruck bleibt weg", sagte er, um Zeit zu gewinnen. "Die Lampe leuchtet auf. Haben Sie zufällig Öl dabei?"

"Nein, aber ich kann euch schleppen. Die Tankstelle ist nicht weit."

Schleppen! Kein Mensch brachte Gundlach wieder in den Wagen, wie holte er Hertel heraus, der überhaupt nichts begriff? Ihm fiel nun noch etwas auf: Seit einiger Zeit blieb der Gegenverkehr aus, als wäre vorn die Straße gesperrt;



Wolfgang Schreyer, geboren 1927 in Magdeburg. Oberschule, Flakhelfer, Soldat, US-Kriegsgefangenschaft bis 1946. Debütierte mit dem Kriminalroman "Großgarage Südwest" (1952), seitdem freischaffend, lebt in Ahrenshoop. 1956 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis für den Kriegsroman "Unternehmen Thunderstorm". Schreyer zählt zu den produktivsten und erfolgreichsten Autoren spannender Unterhaltungsliteratur in der DDR, schrieb Sachbücher, Szenarien für Funk und mehr als zwanzig Romane mit einer Gesamtauflage von 6 Millionen Exemplaren.

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