Endzeit der Sieger
Roman
Am 20. September 1946 druckt eine New-Yorker Zeitschrift Albert Einsteins Satz: »Während wir Russlands Geheimnissen und die Russen unseren Geheimnissen misstrauen, gehen wir zusammen dem Untergang entgegen.«
Am 1. September 1983 schießt Major Wassilij Kasmin nachts über der Insel Sachalin einen Jumbo der südkoreanischen Fluglinie KAL ab. Die sowjetische Luftabwehr glaubt, ein amerikanisches Spionageflugzeug dringe bei ihr ein, doch Unbeteiligte finden den Tod. Vorgriff auf die Katastrophe eines Krieges aus Versehen? Ein doppeltes Rätsel zumindest: Irrtum der einen und mysteriöser Irrflug der anderen Seite!
Wolfgang Schreyer spürt den Ursachen nach, er schildert auch Folgen, sieht die Schockwirkung des Falls auf Menschen in Kalifornien und anderswo. Dazu hat er die Schauplätze des Romans besucht; man schmeckt das Fluidum von Los Angeles, San Francisco und Las Vegas, die Luft von Florida oder New York, hört das Knistern im Cockpit einer Boeing 747 nahe dem Polarkreis. Wie ein Film rollt die Handlung ab, dramatisch, grandios, bis zum bitteren Ende. Dem Autor geht es nicht um Schuldzuweisung, sondern um Erkenntnis: um Einsicht in Psycho-Mechanismen, Denkweisen und jene harten Fakten, die es uns erschweren, eine Welt ohne Kernwaffen, ja dermaleinst ohne Militär zu schaffen.
»Unter dem Zwang, Gewinn zu machen«, sagt US-Präsident Eisenhower 1959 voraus, »werden mächtige Lobbys auftreten und immer größere Rüstungsausgaben fordern; das Netz der Sonderinteressen wächst von Tag zu Tag.«
Der Roman zeigt auch das. Ein Konzern der US-Rüstungsindustrie ringt ums Überleben. Schreyer führt den Titanenkampf vor, den Griff nach der Macht und das menschliche Streben nach Glück, Geld, Liebe, Karriere - in der Verkettung von allem mit jedem.
Der spannende Roman erschien erstmals 1989 im Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig.
DER NACHTFLUG
DER VATIKAN
DAS IMPERIUM
DAS KARUSSELL
DIE ENTRÜSTUNG
DAS GEHEIMNIS
DIE STRÖMUNG
DER STRUDEL
DER SOG
DER PREIS
Durch den schwebenden Tunnel lief Tanja Cory ungeduldig in die riesige, nichtklimatisierte Empfangshalle von LAX. Ausländer wurden nach links geschickt, mussten sich einer Befragung unterziehen, US-Bürger gingen nach kurzem Blick in den Pass gleich zum Zoll. Formalitäten beides, doch ihr war klar, noch auf ein drittes Hindernis zu stoßen, auf Jerome. Und richtig, am Ausgang der Pan Am lauerte er ihr auf in seinem schwarzgelben Freizeitdress, erspähte sie und schoss raubvogelhaft herbei.
"Tanja!" Aus der schwitzenden Menge, die Gepäckkarren schob, rief er ihren Namen und fiel ihr im Gedränge um den Hals. "Was bin ich froh... Um ein Haar, und du wärst bei den Opfern, wir hätten uns nie mehr gesehen!"
"Im Himmel schon. Seid ihr nicht katholisch?"
Er nahm den Koffer und bahnte ihr einen Weg ins Freie. Hinter den Warteinseln für die Taxis, Stadtbusse und Pendelfähren zu den Hotels schmorte sein Wagen in der Glut. Wie ein Lausbub pfiff Jerome vor sich hin, ließ die Scheiben herab und fuhr durch das Gewühl in die Kurve zum Century Boulevard – war er nicht dennoch süß in seiner leicht lästigen Anhänglichkeit? "Wohin denn nun?", fragte sie, als er hinter den ersten Hoteltürmen in den Airport Boulevard bog.
"Wir haben ein Zimmer im Marriott, Liebling."
"Du, ich bin seit fünfzehn Stunden unterwegs!"
"Umso nötiger die Rast. Jetzt kommt man sowieso nicht durch nach Downtown, sieh mal den Verkehr, mein Schatz."
Sein Benehmen reizte sie, das augenzwinkernde Gehabe, die alberne Vorfreude auf den Bettgenuss. Stoßzeit, Hauptverkehr, in dem man zwar nicht die Blechlawine, wohl aber eine Frau penetrieren kann, ob es der passt oder nicht. Sie hätte wissen müssen, wonach es ihn sogleich gelüsten würde. Kurz vor dem Viscount, das ihnen früher als Liebesnest gedient hatte, hielt er in der Auffahrt des Marriott, sie aber blieb sitzen. "Fahr weiter, ich bin zu abgespannt."
Verblüfft fuhr er los, lenkte aber nur um den Block herum und flehte: "Tu mir doch das nicht an, Honey! Eine Woche warst du weg, davor in Washington, wir haben schon ewig keine Zeit mehr für uns gehabt."
Tanja wog das ab. Die vage Zuneigung, die sie für ihn empfand, schien ja das einzige zu sein, was ihre Gefühlswelt bewegte, abgesehen vom Geschäft. Was das betraf, war freilich mit ihm zu rechnen. Jerome hielt drei Prozent des Firmenkapitals, derzeit 60 Millionen, angelegt in festverzinslichen Wertpapieren, Hypothekenfonds und Spielgeld; so nannte sie das Drittel, mit dem er spekulierte, übrigens eher risikoscheu. Sein 20-Millionen-Depot lag ihres Wissens bei der Investmentbank Merrill Lynch & Co., es war auf 50 Aktientitel verteilt, wurde ständig umgeschichtet und warf jährlich rund zwei Millionen ab; eine nahm ihm die Steuer weg. Einen so reichen Freund hatte sie noch nie gehabt. Ihn vor den Kopf stoßen? Doch er sollte sich nicht zuviel einbilden auf das, was andere ihm hinterlassen hatten. Sie pfiff darauf, Püppchen eines Millionärs zu sein, das sich hinlegt, wenn er mit dem Finger schnipst. – "Erst ins Stadtbüro, bitte. Bis dahin fühle ich mich noch absolut im Dienst."
"Mit deiner Haltung wärst du im Pentagon richtig."
Gekränkt bog er rechts ab in den Manchester Boulevard und nahm durch Inglewood Kurs auf das Zentrum, 15 Meilen verstopfte Straßen vor sich. Von der Brücke aus sah sie, sogar auf dem achtspurigen San Diego Freeway dort unten ging nichts mehr. Wie dumm, natürlich nahm er ihr das übel. Es störte sie, als lieblos und starrsinnig dazustehen. Würde er eventuell mit ins Feld ziehen gegen seinen Vater? Frank Norris hatte sie gefragt, ob sie sich zutraue, ihn umzudrehen – und angedeutet, dass ihr Wert für Drexel gewaltig stieg, wenn sie Jerome herausbrach aus der Front, das Stimmrecht für seine drei Prozent... "Ich schulde dem Papst einen sofortigen Bericht."
Jerome zuckte die Achseln. Um ihn zu besänftigen, fragte sie nach Jill. Von den Überseegesprächen haftete in ihr das Bild eines Familiendramas. Winston Lasky hatte zäh versucht, seiner Tochter einen Mann auszureden, der bereits tot gewesen war, und sie damit buchstäblich verrückt gemacht. Höchste Zeit, ihr die Augen zu öffnen, schon damit Jill nicht sie, Tanja, für ein Werkzeug in der vermeintlichen Intrige hielt. "Ich besuche sie gleich morgen und sage ihr, wie es wirklich gewesen ist."
Wolfgang Schreyer, geboren 1927 in Magdeburg. Oberschule, Flakhelfer, Soldat, US-Kriegsgefangenschaft bis 1946. Debütierte mit dem Kriminalroman "Großgarage Südwest" (1952), seitdem freischaffend, lebt in Ahrenshoop. 1956 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis für den Kriegsroman "Unternehmen Thunderstorm". Schreyer zählt zu den produktivsten und erfolgreichsten Autoren spannender Unterhaltungsliteratur in der DDR, schrieb Sachbücher, Szenarien für Funk und mehr als zwanzig Romane mit einer Gesamtauflage von 6 Millionen Exemplaren.
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- Artikel-Nr.: SW9783863941154