Das Möwennest

Kriminalroman

1976 drehte Regisseur Manfred Mosblech auf der Insel Hiddensee u.a. mit hervorragenden Schauspielern des Deutschen Theaters Berlin nach C. U. Wiesners Drehbuch den Kriminalfilm Kollision, der 1977 in der Reihe Polizeiruf 110 im Fernsehen der DDR lief. Bald danach blieben die erwarteten Wiederholungen aus, weil – wie man dem Autor kundtat - das Filmmaterial zu heftige Farbschwankungen aufweise. Als er nach 1990 immer mal wieder gesendet wurde, schienen die Farben noch recht ansehnlich. Also daran kann es damals nicht gelegen haben. Die Anregung zu dem Stoff bekam Wiesner durch seinen Schulfreund Dr. Werner H., der als Biochemiker an der Krebsforschung in Berlin-Buch arbeitete.... alles anzeigen expand_more

1976 drehte Regisseur Manfred Mosblech auf der Insel Hiddensee u.a. mit hervorragenden Schauspielern des Deutschen Theaters Berlin nach C. U. Wiesners Drehbuch den Kriminalfilm Kollision, der 1977 in der Reihe Polizeiruf 110 im Fernsehen der DDR lief. Bald danach blieben die erwarteten Wiederholungen aus, weil – wie man dem Autor kundtat - das Filmmaterial zu heftige Farbschwankungen aufweise. Als er nach 1990 immer mal wieder gesendet wurde, schienen die Farben noch recht ansehnlich. Also daran kann es damals nicht gelegen haben.

Die Anregung zu dem Stoff bekam Wiesner durch seinen Schulfreund Dr. Werner H., der als Biochemiker an der Krebsforschung in Berlin-Buch arbeitete. Er war dabei auf einen bemerkenswerten Seitenweg gestoßen, ein Verfahren, das der DDR, wäre es zu Ende entwickelt worden, wissenschaftlichen Ruhm und obendrein Devisen eingebracht hätte.

Indessen untersagte der Genosse Professor dem parteilosen Wissenschaftler jegliche Weiterarbeit an dem Projekt. Den Ruhm konnten später amerikanische Kollegen einheimsen, die dem Thema parallel auf der Spur gewesen waren.

Möwen greifen nur den an, der ihr Nest gefährdet In unserer Geschichte bestiehlt ein Professor sogar seinen Mitarbeiter und bringt ihn so um seinen Erfolg.

Zwei Jahre später konnte Wiesner im Verlag Neues Berlin in dem Kriminalroman Das Möwennest den Stoff noch einmal aufgreifen. Zwar gab es zuvor im Lektorat harte Debatten um einige ideologisch nicht genehme Passagen, aber es ist eine üble Legende, dass man sich als Autor allen Zwängen beugen musste.

Obwohl sie nicht namentlich genannt wird, ist dieses Buch auch eine Liebeserklärung an die Insel Hiddensee, auf der Wiesner viele Sommer verbracht hat.

1983 veröffentlichte der Rowohlt Verlag Hamburg eine Lizenzausgabe in seiner Reihe rororothriller. Der Herausgeber Robert K. Flesch antwortete auf die Frage, warum seine Wahl unter den vielen Titeln der DIE-Reihe ausgerechnet auf dieses Buch gefallen sei.

„An Ihrem Buch“, gab er dem Autor zur Antwort, „ hat mir gefallen, dass Sie darin liebevoll und dennoch kritisch von einem Land erzählen, das wir viel zu wenig kennen.“







Wir hatten uns im letzten November kennengelernt. Ich war für eine Woche hochgefahren und verfluchte diese Idee sehr bald, denn es regnete vom ersten bis zum letzten Tag. Unablässig tutete das Nebelhorn auf dem Lüchting. Bald saß die Nässe im Haus, machte sich breit wie ein ungebetener Gast und grinste sich eins über das bisschen Terror, das ich mit dem kleinen Warmluftgebläse veranstaltete, in Szczecin auf dem Flohmarkt gekauft und in Pomellen über die Oder-Neiße-Friedensgrenze geschmuggelt. Mit der Arbeit, die ich mir mitgebracht hatte, kam ich ganz gut voran, aber die Stunden dazwischen ... Ich hatte nicht mal mehr Lust, in Gummistiefeln durch das matschige Hafengelände zu staksen. Mich befiel des Herbstes großer Katzenjammer. Den verlassenen Strand mied ich, um nicht die brandungsüberspülten Burgruinen mit ihren übrig gebliebenen Sonnenölflaschen zu sehen. Zeilen aus Rilkes schönem Herbstgedicht, Erinnerung an die Abiturzeit, verursachten mir einen melancholischen Schluckauf ...

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,

wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben

und wird in den Alleen hin und her

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Dabei hatte ich ein Haus, wenn auch nicht selbst erbaut, wenn auch nicht winterfest. Die Einsamkeit aber war bedrückender als das klamme Bettzeug.

An einem dieser Abende klopfte es an die Tür. Draußen stand die neue Briefträgerin, hielt mir wortlos ein Telegramm hin (der Inhalt war überaus unwichtig, eine Klubhausleiterin sagte einen Lesungstermin ab), zitterte vor Kälte und Nässe am ganzen Körper, und ich wusste nicht, ob ihr Regentropfen oder Tränen über das kleine, schmale Gesicht liefen. Sie war, wie üblich, mit dem Fahrrad hinaus in die Heide gefahren, und das reichte ihr, um sich trotz des Regencapes nasse Beine zu holen.

Ich wusste nicht viel von ihr, nur dass man sie im Dorfe Ilsing nannte, dass sie nicht von hier stammte und dass es mit der Postzustellung wie am Schnürchen klappte, seit sie den versoffenen Edwin Hauck abgelöst hatte, der ohnehin kaum noch krauchen konnte. Es wurde gemunkelt, dass sie ihren Mann hatte sitzen lassen, der irgendwo auf dem Festland was Besseres sein sollte, wie es die Einheimischen ausdrückten. Über den Kerl haben wir kein Wort gesprochen an jenem Abend, als ich sie an der Hand nahm und sagte: „Komm rein, du arme nasse Katze!"

Ich habe ihr die alten Jeans von Uwe zum Umziehen gegeben und einen kräftigen Rotweinpunsch gebraut. Dann haben wir noch eine Schallplatte gehört, Mozart, glaube ich, und kaum dabei geredet. Sie kuschelte sich ganz selbstverständlich an mich und sagte irgendwann: „Auch eine arme Katze will mal gestreichelt kriegen.“ Ich glaube, sie muss sehr müde gewesen sein, denn sie ist sehr schnell eingeschlafen.

Als ich am anderen Morgen wach wurde, regnete es noch immer. Auf dem Tisch fand ich einen Zettel. Drauf stand in einer etwas kindlichen Handschrift: „Danke schön. Nun ist mir wieder wärmer. I.“

Und auf dem Stuhl lagen Uwes Jeans.

Wenn wir uns später begegneten, konnten wir unbefangen über das Wetter sprechen. Von einem zärtlichen gemeinsamen Wachtraum war nie mehr die Rede. Geblieben ist die Freundlichkeit.

„Es handelt sich um den Mann unserer Postbotin. Ein Tierarzt namens Doktor Rudolf Boelssen.“

Der Wind drehte auf West. Mir wurde kühl. Ich ging eilig nach Hause.



C. U. Wiesner

Geboren im letzten Monat der Weimarer Republik, am Neujahrstag 1933, in der einstigen märkischen Hauptstadt Brandenburg, entwich nach dem Abitur den heimatlichen Stadtmauerzwängen, gelangte in eine etwas größere Hauptstadt, ohne zu ahnen, dass man dort schon zehn Jahre später aus väterlicher Sorge bemüht sein würde, ihm den Horizont mit erheblicherem Bauaufwand zu verstellen.

Eines Tages mochte er fürder nicht mehr in der eingefriedeten Hauptstadt leben und zog es vor, in die vertrauten märkischen Wälder zurückzukehren.

Dank prophetischer Gaben bestellte er den Möbelwagen von Berlin-Pankow nach Klosterfelde für den 9. November 1989.

Während des achtunddreißigjährigen Berlin-Aufenthalts:

Studien als Dolmetscher für Englisch; Germanistik und Filmszenaristik (diese im Gegensatz zu jenen hin und wieder angewandt).

Tätig als Lektor, Redakteur, Reporter, Theaterkritiker, Mitarbeiter der satirischen Zeitschrift Eulenspiegel, Entertainer in eigener Sache, Schauspieler (leider zu selten) und (vorwiegend) Schriftsteller.

Sein bekanntestes Geschöpf ist der Frisör Kleinekorte, den das Berlin-Brandenburgische Wörterbuch zu Recht an die Seite der Volksfiguren von Glaßbrenner und Tucholsky stellt.

C.U.W. schrieb u. a. Hörspiele, Kabarett-Texte, Fernsehfilme und Fernsehserien (u. a. Gespenstergeschichten wie Spuk unterm Riesenrad, Spuk im Hochhaus, Spuk aus der Gruft für Kinder von 8 bis 88 Jahren) sowie dreizehn Bücher, vom Kinderbuch über den Kriminalroman, die satirische Darstellung eigener Umwelt im weitesten Sinne bis zum bitteren erst um die Jahreswende 1989/90 nach einiger Verzögerung erschienenen Märchenroman für Erwachsene Die Geister von Thorland, Machs gut, Schneewittchen! und Lebwohl, Rapunzel! erzählen von den Kinder- und Jugendjahren in der Havelstadt Brandenburg.

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