Ertränkt alle Hunde
Ein Neil Hockaday-Roman
Detective Neil Hockaday unternimmt mit seiner Lebensgefährtin, der schwarzen Schauspielerin Ruby Flagg, eine Reise ins Land seiner Ahnen, um seinen im Sterben liegenden Onkel Liam zu besuchen. Hock erhofft Antworten auf Fragen zu seinem Vater Aidan und erfährt doch mehr als ihm lieb ist über eigene und irische Seelenqualen.
Bereits kurz nach der Landung in Dublin wird klar, dass ihn kein ruhiger Urlaub auf der grünen Insel erwartet. Nur knapp entgehen Ruby und er einem Attentat. Zeitgleich ereignen sich in New York mehrere Morde und mysteriöse Selbstmorde, die anscheinend mit Hocks Abreise in Zusammenhang stehen. Die Suche nach Antworten führen Neil Hockaday tief in die blutige und tragische Geschichte Irlands, die mit der eigenen Geschichte, der Geschichte seiner Familie untrennbar verknüpft ist.
»Ich sah nur Wahnsinn. Und marschierende Füße, und noch mehr marschierende Füße. Und wie der Mann, der meinem Vater und mir den Namen Hockaday gegeben hatte, vergoss ich nun Tränen um alle Iren, denen Unrecht getan worden war.«
Prolog
»Wie ist mir das alles zuwider! Bei Gott, wie sehr ist es mir zuwider.«
Nachdem dies gesagt war, befand er sich im Frieden mit allem, was er mir in dieser Nacht erzählt hatte.
Er drehte den Kopf zur Wand, gerade so, als wollte er an dem unsichtbaren Fenster die Wärme eines Morgens spüren.
Es war deutlich nach Mitternacht in den finstersten Stunden des frühen Sonntagmorgens, doch die Tageszeit besaß keinerlei Bedeutung für ihn. Ein sparsames Lächeln spielte um seine Lippen, während er dort in seinem Bett lag, ein Bett viel zu groß für ihn allein. Ich legte die Hand auf seine. Er ließ sie auf seiner pergamentenen Haut ruhen.
»Was genau ist dir zuwider?«, wollte ich wissen.
Er holte tief Luft, und seine blinden, blauen Augen schlossen sich. Dann zitierte er abermals von jenen Seiten, die er einst immer wieder gelesen und die sich in sein Gedächtnis eingegraben hatten: »Aus Irland geboren, wo dies alles begann, viel Hass, große Enge, verkrüppelt von Anfang an ... und mein fanatisches Herz wuchs schon im Mutterleib heran.«
Wo ich doch eine Reaktion hätte zeigen sollen, folgte nur Stille, ein betretenes Schweigen jener Art, die einem älteren Mann verrät, von einem jüngeren nicht verstanden worden zu sein. Seine nutzlosen Augen flatterten auf, und mit einem Anflug von Verzweiflung sagte er: »Es ist die Wurzel dieses Wahnsinns, die zu hassen ich gelernt habe, und es sind alte Männer an ihren Fenstern, die ich sogar noch mehr hasse.« Dann schob er meine Hand fort. »Und jetzt geh.« Das war für den Augenblick alles, ob ich nun verstand oder nicht. Er brauchte Ruhe.
Ich ging zur Tür und öffnete sie, drehte mich aber noch einmal zu ihm um. Was er spürte. Kaum merklich hob er den Kopf über den Berg von Decken und sagte: »Ich möchte, dass du mich nicht vergisst, wenn ich tot bin.«
»Habe ich das jemals?«
Eins
Bis auf die Sache mit dem toten Priester war es ein erfreuliches Wochenende.
Es war das Wochenende, an dem mir mit aller Deutlichkeit aufging, dass die Vergangenheit niemals vergangen ist, gleichgültig wie sehr wir auch immer versuchen, unsere Erinnerung zu planieren. Es war das Wochenende, an dem ich endlich beschloss, eine ernsthafte Figur in der Geschichte meines Lebens zu werden. Es war das Wochenende, mit dem der größte Fall meiner Laufbahn begann.
Zunächst sah ich keinerlei Größe, eigentlich nicht einmal einen Fall. Andere allerdings reagierten sensibler auf die aktuellen Ereignisse und jene, die noch bevorstanden. Ruby zum Beispiel. Dann auch Captain Davy Mogaill, mein Rabbi. Wie der Captain sich ausdrückte: »Welchen größeren Fall könnte ein Detective knacken als das Geheimnis seiner eigenen Herkunft?«
Diese Bemerkung ließ er an einem beschaulichen Nachmittag in Nugent’s Bar fallen. Diese kleine Weisheit neben anderen. Ich für mein Teil erzählte meinem Rabbi von Ruby und dem traurigen Anlass unseres für den folgenden Sonntagabend geplanten Fluges nach Dublin.
Während wir bei unserer angenehmen, langen und alkoholgeschwängerten Unterhaltung beisammensaßen, musste der alte Father Tim zweifellos zum ersten Mal begriffen haben, was ihn erwartete. …
Der 1947 in Detroit geborene Thomas Adcock wuchs zunächst in seiner Geburtsstadt Detroit und später in New York auf. Als Polizeireporter und Journalist in Michigan und Minnesota begann er seine Karriere in der schreibenden Zunft. Bis 1978 arbeitete er für Zeitungen, dann ging er nach New York und nahm einen Job in der Werbebranche der Madison Avenue an. Daneben schrieb er ein Dutzend einfacher Romane unter Pseudonym und später auch Hörspiele und Drehbücher für Fernsehserien.
Seine erste Buchveröffentlichung unter eigenem Namen war Precinct 19 (1984), ein Tatsachenbericht des Polizeialltags in einem Revier in Manhattan. Im Jahr darauf begann er mit dem Schreiben von Krimigeschichten für Ellery Queen’s Mystery Magazine. In seiner zweiten Geschichte Christmas Cop im März 1986 ließ er erstmals den New Yorker Polizisten Neil Hockaday die Rolle des Ermittlers spielen. Die Geschichte wurde für den Edgar Allan Poe Award nominiert.
Es folgten regelmäßig weitere Geschichten, in denen auch Hockaday immer wieder die Hauptrolle spielte. Schließlich erschien 1989 der erste Roman mit dem Polizisten irischer Abstammung als Taschenbuch — Der Dschungel gilt laut Krimi-Couch als „Meilenstein des harten Krimis“. Der nächste Roman Im Labyrinth wurde Adcocks erfolgreichstes Werk: Es brachte ihm 1992 den Edgar für den besten Taschenbuchkrimi ein. Bis 1997 wuchs die Serie auf sechs Romane an, von denen einige in bis zu zehn Sprachen übersetzt wurden.
Danach war Adcock wieder journalistisch tätig und unterrichtete auch als Lehrer für kreatives Schreiben. Außerdem engagiert er sich für verschiedene Schriftstellerorganisationen wie P.E.N. und MWA und war Gründungsmitglied der nordamerikanischen Abteilung der International Association of Crime Writers (IACW/NA). Seit einigen Jahren verfasst er regelmäßig Beiträge für das deutsche InternetMagazin CULTurMAG.
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- Artikel-Nr.: SW9783945684061458270