Kältesturz

NYC Novels #5: Club Dead

Air Sax will sich beruflich verändern. Das ewige Gelaber von Dead Eddie nervt ihn unendlich. Es muss sich beruflichen verändern, ein prickelnder Job muss her. Ein anonymer Auftragsmord kommt da gerade recht: Fünfhundert Dollar für einen simplen Mord. Einerseits zwar verdammt wenig, aber andererseits ist bekanntlich aller Anfang schwer. Außerdem versteht Air Sax etwas von Marketing. Corporate Identity heißt das Zauberwort, das die Herzen aller Medienottos höher schlagen lässt. Jedes seiner Opfer wird einer dieser Popcorn-Kartons über den Kopf gestülpt. So weiß jeder sofort, wer hier wen geeist hat. Gut gelaunt geht Air Sax in... alles anzeigen expand_more

Air Sax will sich beruflich verändern. Das ewige Gelaber von Dead Eddie nervt ihn unendlich. Es muss sich beruflichen verändern, ein prickelnder Job muss her. Ein anonymer Auftragsmord kommt da gerade recht: Fünfhundert Dollar für einen simplen Mord. Einerseits zwar verdammt wenig, aber andererseits ist bekanntlich aller Anfang schwer. Außerdem versteht Air Sax etwas von Marketing. Corporate Identity heißt das Zauberwort, das die Herzen aller Medienottos höher schlagen lässt. Jedes seiner Opfer wird einer dieser Popcorn-Kartons über den Kopf gestülpt. So weiß jeder sofort, wer hier wen geeist hat.

Gut gelaunt geht Air Sax in das Sixplex-Kino an der Eighty-sixth, setzt sich in die fünfte Reihe hinter Michael Corry, schraubt den Schalldämpfer auf die Walther P.38, legt die Mündung direkt unter sein Ohr, ohne es zu berühren, und sagt: »He, Mike«, und Mike antwortet: »Ja?« und: »Wer sind Sie?« und: »Tut mir leid, Sie müssen mich verwechseln«, und Air Sax sagt: »Psssssstt! Nicht reden«, knallt ihn ab, stülpt Mike den Popcorn-Eimer über den Kopf und verlässt das Sixplex, wo seiner Meinung nach ohnehin nur Scheißfilme laufen.

Es ist Winter in New York. Der Wetterbericht sagt einen weiteren Kältesturz voraus. Der Schnee hat die Stadt im Griff, aber es läuft nicht nur ein paranoider Killer frei herum …

Die New York Times nannte Jerry »Jerome« Oster einen der besten Krimiautoren seiner Zeit.



Vielleicht würdest du jetzt nicht in dieser Klemme stecken, wenn du DeBree nicht mit in die Sache hineingezogen hättest.

DeBree – einfach nur DeBree; manchmal (von ihm und von seinen Gegnern) wie Debris ausgesprochen – war der Klatschkolumnist der Zeitung, ein unwahrscheinlich fetter Mann (fette Frau, sagten manche dieser Gegner – und auch ein paar seiner Fans – und, manchmal, auch er beziehungsweise sie selbst) mit einem winzigen, wunderschönen, völlig kahlen Kopf. Im linken Ohr trug er einen Goldring, das ganze Jahr über graue Zweireiher von der Savile Row und je nach Wetterlage Jesuslatschen oder Timberland-Boots. Seine Füße steckten in Jesuslatschen, als er an diesem bitteren Sommerabend in deinem Kabäuschen auftauchte und sich mit Kopierpapier Luft zufächelte. »Hab deinen Liebesbrief gekriegt, Chas. Ungeschickt von dir, ihn per Boten zu schicken. Du hättest ihn besser selbst vorbeigebracht – oder mich anrufen sollen.«

»Dein Apparat war den ganzen Tag besetzt. Ich bin einmal auch mal vorbeigekommen, aber da hast du auch gerade telefoniert – und hattest deine Schlafmaske auf.«

»Neonröhren, Chas. Das macht auch noch den letzten Rest an Sehkraft kaputt – das und die verdammten Computerbildschirme.« DeBree zeigte dann auf deine Schreibmaschine, eine uralte, gepflegte Underwood. »Wo hast du die denn her?«

»Aus dem Lager.«

«Aus dem Lager?»

»Ja, der Raum, wo die Schreibmaschinen gelandet sind, als die Nachrichtenredaktion auf Computer umgestellt wurde.«

»Ich weiß, dass die Nachrichtenredaktion auf Computer umgestellt hat. Genau darum geht’s doch. Wo ist überhaupt dein gottverdammter Computer?«

»Ich kann am Computer nicht arbeiten. Ich reiße gern ein Blatt aus der Maschine und knülle es zusammen, wenn’s nicht besonders läuft, und mir gefällt der Anblick von gestapelten Büchern. Ich bezahle gern ein paar Bucks dafür, dass irgendwer meine fertigen Manuskripte in den Computer tippt.«

»Luddite.« DeBree hob die rechte Hand. »Siehst du diesen Finger – den, der wie ein Würstchen aussieht? Den hab ich mir neulich ruiniert, als ich meinen Computer angefleht habe, einen Artikel wieder auszuspucken, den er ein bisschen zu früh geschluckt hat. Er hat sich geweigert, und am Ende ist eine Falschinformation, die mein Zuträger, dieser Inkompetenzling, zu verantworten hat, in der Zeitung gelandet. Er hat mir hoch und heilig versichert, dass Joan Collins mit Donald Trump im La Côte Basque zu Mittag gegessen hat. Tja, also, hat sie auch wirklich, allerdings war sie bloß eine Joan Collins, nämlich die von der Landmarks Preservation Commission oder so. Ich musste eine Richtigstellung bringen, meine dritte in diesem Monat.«

»Deine Richtigstellungen gefallen mir immer ganz besonders. Du entschuldigst dich so, wie wir anderen den mahnenden Zeigefinger heben.«

DeBree schniefte. »Berühmte Leute – und solche, die auf Ruhm hoffen – müssen verstehen, dass sie eine Verantwortung gegenüber einem Klatschkolumnisten haben, eine Verantwortung, tatsächlich auch dort zu sein, wo ich sage, dass sie sind, und mit wem.« Wieder schnippte er mit dem Finger gegen deine Nachricht. »Was soll das hier bedeuten? Hast du beschlossen, dass wir beide endlich ein Pärchen werden sollen, oder was? Willst du unbedingt die Wahrheit über mein Geschlecht herausfinden?«

»Ich würde gern irgendwann in den nächsten Tagen mittags mit dir essen gehen.«

DeBree verdrehte die Augen. »Mittagessen kann nur eins bedeuten: Du willst Informationen. Ich sehne mich nach Entzücken, ausgelöst durch deine zärtliche Fürsorge, und du willst Informationen. Hör zu, ich erspare dir jetzt die Unkosten für einen Big Mac: Frances McAlistair ist keine Lesbe.«

Du hast gelacht. »Aha, hat sich’s also schon rumgesprochen.«

»O ja.«

»Ich hab den Auftrag doch erst heute Morgen gekriegt.«

»Es ist schon fast dunkel draußen, Chas.«

Du hast auf die Mappen aus dem Archiv auf deinem Schreibtisch gezeigt. »Ich habe praktisch alles an Hintergrundinformationen gelesen. Jetzt würde ich gerne wissen, was zwischen den Zeilen steht.«

DeBree setzte sich auf einen Aktenschrank und schlug die Beine übereinander wie ein Starlet auf einem Schrankkoffer auf einem dieser Pin-up-Fotos aus einer längst vergangenen Zeit. »Immer mal wieder taucht jemand auf, der nichts zu verbergen hat und bei dem es daher auch nichts auszugraben gibt. Das kommt weiß Gott nicht oft vor, sonst müsste ich Koffer schleppen am Port Authority, und wenn’s dann doch mal passiert, dann meistens, weil der Betreffende ein absoluter Langeweiler ist … oder auch ein Mädel, aber es ist meist ein Kerl, weil, der Meinung war ich schon immer, Kerle viel leichter zu durchschauen sind – Anwesende natürlich ausgeschlossen. Männer haben eigentlich kein Innenleben. Sie wissen eine Menge Fakten und kennen die Namen von allem Möglichen, sie können in Eisenwarenläden gehen und sagen, sie möchten ein … ich weiß auch nicht, Chas. Du bist ein Kerl – was würdest du kaufen, wenn du in einen Eisenwarenladen gehst?«

»Eine Klampe.«

»Da. Siehst du? Eine Klampe. He, was zum Teufel ist eine Klampe?«

Du hast mit der Hand eine Acht in die Luft gemalt. »Das ist ein Ding, mit dem man so macht, mit … mit der Kordel von einer Jalousie zum Beispiel.«

»Donnerwetter. Ich hab auch so was. Im Schlafzimmer. Ich hoffe, es geht bald kaputt, damit ich mir ein neues kaufen kann. ›Ich hätte gern eine Klampe, und bitte beeilen Sie sich, ja? Glotzen Sie nicht so, Sie Schwein. Glauben Sie, nur weil ich ein Päderast bin, wüsste ich nicht, was eine Klampe ist?‹ Ich kann’s kaum noch erwarten, die blöden Visagen zu sehen.

Aber wo wir gerade von Gesichtern sprechen, Frances McAlistair ist kein Langeweiler, oder, Chas? Sie ist interessant, sehr interessant sogar, aber ich habe noch nie jemanden etwas über sie sagen hören, wovon ich unbedingt hätte wissen wollen, ob es wahr ist, weil es sich verdammt gut in meiner Kolumne machen und mir außerdem einen Vorwand liefern würde, ein Foto von diesem Gesicht zu bringen – so ein hübsches Gesicht. Ich glaube, ich habe noch nie was über sie gebracht, das über das übliche dumme Gerede hinausging, eigentlich noch nicht mal richtigen Klatsch, einfach nur, du weißt schon, dass sie eine von hundert anderen auf dieser Party war, eine von einem Dutzend anderer bei jenem Dinner, und auch davon gab’s nicht besonders viel. Sie ist ein echter Workaholic – Gott, wie ich dieses Wort hasse –, und wie gesagt, Chas, falls sie wirklich eine Lesbe ist, kann ich dir nicht helfen, das zu beweisen. Obwohl ich sie, wäre ich, wie manche meinen, in Wahrheit eine Frau, bestimmt nicht von der Bettkante schubsen würde, genauso wenig, wenn ich ein Mann wäre – falls du mir folgen kannst. Meinen Segen hast du, Chas, solltest du dich in Frances McAlistair verlieben.

Es wär ja auch nicht das erste Mal, Chas. Du hast dich schon in Frauen verknallt, über die du geschrieben hast. Okay, es ist nur ein einziges Mal passiert, aber das war ja so dramatisch. Versteh mich bitte nicht falsch, Chas, Liebe ist eine wunderbare Sache, und es ist viel besser, die Menschen zu lieben, über die wir schreiben, als sie zu verachten – wie Roy Fields das gern hätte.

Roy war neulich auf einen Sprung bei mir; es war überhaupt erst das dritte oder vierte Mal, dass ich ihn auf dieser Etage gesehen habe. Zuerst hab ich ihn ja für so was wie einen Versicherungsvertreter gehalten. Total unbewegliche Miene. Offenbar hatte jemand den fragwürdigen Geschmack bewiesen, ihn zu einer Dinnerparty einzuladen; zu den anderen Gästen gehörte anscheinend auch Frances McAlistair; er wollte wissen, ob sie« – DeBree wedelte mit der Hand – »›Sie wissen schon‹ wäre. Natürlich hatte er nicht den Mumm, es auszusprechen. Er hat einfach nur gesagt« – wieder wedel, wedel – »›Sie wissen schon.‹«

»Quinlan hat die Party beiläufig erwähnt«, hast du darauf gesagt.

»Ich wünsche mir, dass die zwei in einem liegengebliebenen Pendlerzug eines langsamen und schmerzhaften Todes sterben … oder besser noch, sie sollen gleichzeitig einen Herzinfarkt kriegen, während sie Sodomie betreiben – Fields dürfte dabei derjenige sein, der das gute Stück reingeschoben bekommt – und zwar bitte auf der Toilette für unsere leitenden Angestellten. Leute wie sie – Männer wie sie – haben meinem Metier den schlechten Ruf verschafft. Guter, sauberer Klatsch schadet niemandem, um so mehr jedoch miese Verleumdungen, unbegründeter und unbegründbarer Schwachsinn, nach dem sie dauernd im Müll suchen … Himmel! Ist es dein Auftrag, Chas, sozusagen die rauchende Kanone zu finden, die keuchende Nymphomanin? Nicht gerade das, was du sonst so tust. Wieso arbeitet eigentlich Karen Auburn nicht an dieser Geschichte?«

»Das soll was heißen?«

»Das soll heißen, warum sonst schläft sie mit Quinlan, wenn nicht wegen der Superjobs?«

»Ich versuche, von solchen Dingen nichts zu wissen.«

»Wahrscheinlich wirst du mir nicht glauben«, sagte DeBree, »aber mir geht’s genauso. Unter uns gibt’s trotzdem solche, so oder so, an denen ›solche Dinge‹ kleben wie alte Zeitungen an den Schienbeinen von Fußgängern an stürmischen Tagen.«

»Was kannst du mir über ihre Begleiter erzählen?«

»So wie du das sagst, klingt es schmutzig, Chas. Es gibt Frauen – rechtschaffene, ordentliche, anständige und integre Frauen –, die Begleiter einfach brauchen. Es schickt sich nicht, auf zu vielen Dinnerpartys allein aufzukreuzen, wenn man gebeten worden ist, jemanden mitzubringen. Vielleicht sitzen 13 Personen am Tisch – oder von mir aus auch 113 –, und so eine Frau kann keine Freundin, keinen alten Kumpel oder Schwarm mitbringen, weil Männer wie Fields und Quinlan bei dem Gedanken, was sie wohl tun werden, wenn sie wieder im alten Boudoir sind, in ihre Servietten wichsen; also besorgt sich so eine Frau einen Begleiter, sofern sie nicht allein zu Hause herumsitzen und im Fernsehen die Golden Girls sehen will. Begleiter ist nicht gleich Gigolo, Chas. Es ist ein Mann, der eine intelligente Unterhaltung führen kann und nicht mit den Fingern isst. Es schadet nicht, wenn er auch noch gut aussieht, aber das ist keine Conditio sine qua non, und er sollte auch wissen, wie man eine Fliege bindet, denn diese Dinger, die man schon fix und fertig gebunden kaufen kann, die mit den Ansteckclips hinten, tja, das ist nur was für Kellner und Posaunisten.«

»Die Namen, über die ich gestolpert bin …«

»Tom McNally, Pressezar, Himalaya-Bezwinger, Naturfotograf. Joe Briles, Importeur von was weiß ich, aber die Leute kaufen es offenbar, denn nur mit schönen Versprechungen kann man es sich nicht leisten, in Hohokus, Dering Harbor, Palm Beach und Juan-les-Pins zu leben. Eric Freedman, realistischer Aktmaler, seine Bilder sehen wie gottverdammte Fotos aus, keines von ihr jedenfalls – außerdem stellt er seine Werke nicht aus. Paul North, Grand-Prix-Rennfahrer, früher Filmschauspieler, Retter von Walen, Adlern, Seehunden und gottverdammten streunenden Kötern – soweit ich weiß, Chas. Und auf deine nächste Frage, ob es je Gerüchte gab, dass sie einen oder alle vier heiraten wollte, lautet die Antwort ganz klar nein. Sie ist ein Profi, um Himmels willen, sie hat keine Zeit für Ehe oder Familie. Nur Männer denken immer, man könnte ein Geschäft führen – oder ein Land – und gleichzeitig auch noch einen Haushalt schmeißen, und das denken sie, weil sie keinen führen – keinen Haushalt, meine ich. … Du schreibst ja gar nichts von dem mit, was ich dir erzähle.«

Du hast auf ein paar Notizen getippt, die du dir gemacht hattest. »Es gibt einen großen Zeitabschnitt, über den ich nichts in unserem Archiv finden konnte. Keine Artikel, nichts. Es geht mehr oder weniger um ein Jahr Anfang der 1970er.«

»Sie hat sich damals umoperieren lassen, Chas. Oder war mit Ozzy Osbourne auf Tournee. Oder hat kleine Jungs umgebracht und ihnen ihre Pimmelchen abgeschnitten. Ganz hinten in ihrer Kommodenschublade wirst du eine Kette finden, die sie sich daraus hat machen lassen.«

»Es geht um die Zeit, nachdem sie Kalifornien verlassen hat – sie war damals Pflichtverteidigerin in Oakland – und bevor sie nach New York gekommen ist, ins Büro der Staatsanwaltschaft. Hast du eine Ahnung, was sie da gemacht hat?«

»Frag sie einfach«, schlug DeBree vor und streckte die Hand aus. »Tut mir leid, Chas, ich wollte nicht pampig sein. Natürlich wirst du sie fragen, und ich weiß, wie’s ist – manchmal möchte man die Antwort wissen, bevor man die Frage gestellt hat, aber ich hab die Schnauze gestrichen voll von Typen wie Fields und Quinlan und ihrer dreisten Unterstellung, dass jede Frau, die auf Pfaden wandeln will, die bislang nur von Männern begangen worden sind, unmöglich qualifiziert genug dafür sein kann, und selbst wenn sie diese Qualifikationen tatsächlich besäße, wird sie trotzdem immer noch jeden Monat menstruieren – sogar Lesben menstruieren. Also: was bildet die sich eigentlich ein, für wen hält die sich eigentlich, dass sie sich aufführen kann, als hätte sie Eier?«

DeBree sprang von dem Aktenschrank und rauschte hinaus, rief noch über die Schulter: »Ich werd mal einen Blick in meine Unterlagen werfen, Chas, aber mach dir mal nicht zu viel Hoffnungen. Wie gesagt, Frances McAlistair ist ein Mensch, eine vernünftige, reife Person. Oder ich bin ein Samoaner. Ruf mich nicht an, Chas, ich ruf dich an! Oder du kommst einfach auf einen Sprung vorbei, mein Süßer, ich werd schon nicht beißen. Was für ein liebreizender Anblick du für mich wärst. Bis dahin, mein Lieber. Wir sehen uns.«

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