Heimliche Zeugen
Der zweite Fall für Leon Bevilaqcqua
Der Plot nimmt sofort Fahrt auf, als Leon seinen neuen Fall «erhält» und die Leserin ist gerne mit dem sympathischen «Ermittler» unterwegs, der sofort ihr Herz erobert. Eine gelungene Ouvertüre.
Die knappe Sprache unterstützt die geradlinige Erzählweise der Handlung und immer wieder darf man auch schmunzeln. So wird der Krimi auch zu einem Lesevergnügen.
Der Plot kommt mit wenigen, schön charakterisierten und unterschiedlichen Figuren aus und die Handlung ist passend ins Zürcher Unterland mit einem Abstecher nach Rumänien und Morges eingebettet.
Ein scheinbar kleiner Fall für Privatdetektiv Leon Bevilacqua: keine Toten, keine Verletzten. Nur eine junge Frau, die einen älteren Mann bestohlen hat und der will nicht, dass die Frau ins Gefängnis muss. Er möchte sie zurück. Was zunächst wie ein modernes Märchen wirkt, wird plötzlich zum Horrortrip für Leon und seine Freundin.
Nora – als Hauptfigur und «Ermittlerin» – ist der Leser:in von Anfang an sympathisch und spiegelt als «unfreiwillig» alleinerziehende Mutter eine zeitgemässe Identifikationsfigur wider, die eine Einheimische von Niederhasli verkörpert.
Lavinia war ihre Nervosität anzusehen. Sie folgte dem Typ mit der dunklen Sonnenbrille in einen noch dunkleren Hinterhof. Sie befanden sich im Zürcher Kreis Cheib. Der Typ öffnete eine Haustür und deutete ihr an, einzutreten.
„Geh vor in den dritten Stock und dann durch die Wohnungstür mit dem Namensschild ‘Schweizer’. Sie ist nicht abgeschlossen. Dort wartest du auf mich. Ich komme in fünf Minuten nach“, sagte er in gebrochenem Deutsch.
Lavinia ging die knarrende Holztreppe hoch. Im Treppenhaus roch es streng. Ein Gemisch aus altem Schweiss und exotischer Küche. Zwischen dem ersten und dem zweiten Stock kam ihr eine stark geschminkte Frau mit ultrakurzem Minirock und hochhackigen Schuhen entgegen. Eine vom horizontalen Gewerbe. Die Frau schaute sie abschätzig von Kopf bis Fuss an, verlor aber kein Wort. Hatte sie Angst vor Konkurrenz?
Endlich war Lavinia in der dritten Etage angelangt. Die Wohnungstür links hatte keine Beschriftung. Während auf der Tür rechts „Schweizer“ auf der Türklingel stand. Lavinia musste schmunzeln. Schweizer war der passende Name. Wenn alles so ablief, wie sie es sich vorgestellt hatte, war sie in spätestens einer Viertelstunde Schweizerin. Lavinia drückte die Türklinke nach unten.
Sie stand in einem düsteren Korridor. Etwas mulmig war ihr schon zumute. Was, wenn der Typ sich gleich an ihr verging? Oder wenn er ihr die viertausend Franken abnahm, ohne ihr den roten Pass auszuhändigen und ihr danach ein Messer in die Rippen stiess? Hatte sie einfach zu viele Krimis gesehen? Zum Glück hatte sie einen kleinen Pfefferspray im Handtäschchen. Doch der Typ hatte beachtliche Muskeln. Würde sie überhaupt eine Chance haben, den Spray aus ihrer Tasche zu ziehen? Am liebsten hätte Lavinia einen Rückzieher gemacht. Am liebsten wäre sie aus der Wohnung geflohen. Doch unten wartete der Typ. Sie wäre ihm genau in die Arme gerannt.
Lavinia wartete im Korridor. Nach wenigen Minuten öffnete sich die Wohnungstür und der Typ huschte herein. Er wies sie an, ins Zimmer links zu gehen und sich an den kleinen Holztisch zu setzen. Im Zimmer roch es noch strenger als im Treppenhaus. Bestimmt war das Fenster seit Wochen nicht mehr offen gewesen. Lavinia setzte sich an den Tisch und stellte ihre Tasche auf den von leeren Bierdosen übersäten Boden. Sie schaute sich um. In der einen Ecke stapelten sich haufenweise Bananenschachteln. In einer andern Ecke stand ein französisches Bett. Auf dem Nachttisch daneben lagen gebrauchte Kondome. Eklig. Was für eine Absteige.
Der Typ ging ins Bad. Lavinia hörte, wie Urin in die Toilettenschüssel schoss. Es schien nicht aufzuhören. Der Kerl musste einen grossen Überdruck haben.
Jetzt kam er durch die Tür und setzte sich ihr gegenüber. Er nahm die Sonnenrille ab. Lavinia sah seinen schielenden Blick. Die Narbe unter dem linken Auge liess ihn auch nicht seriöser erscheinen.
„Das Geld!“, sagte der Typ.
Lavinia langte in ihre Tasche und entnahm ihr ein Couvert mit viertausend Franken. Sie drückte ihm das Geld in die Hand. Er zählte nach, stand auf und ging aus dem Zimmer. Nein, ging es Lavinia durch den Kopf, jetzt haut der einfach ab mit dem Geld, ohne sich an die Abmachung zu halten.
Sie wollte ihm schon nach. Doch er kehrte mit einem roten Pass zurück und drückte ihn ihr in die Hand. „Zufrieden?“
Sie öffnete den Pass. Das Foto war schon etwas gewöhnungsbedürftig. Sie erkannte sich beinahe selbst nicht. Doch so schlecht stand ihr die Glatze gar nicht. Wirkte sie doch etwas zu burschikos? Wenn sie sich an den Kopf fasste, vermisste sie seit kurzem ihre tolle Lockenpracht. Der kahle Schädel juckte manchmal. Na ja, man muss halt manchmal im Leben Opfer bringen. Auch an den Namen Lavinia Anca musste sie sich erst gewöhnen. Jetzt war sie eingebürgerte Schweizerin, ohne auf irgendeinem Amt gewesen zu sein. Ohne die üblichen Fragen über sich ergehen zu lassen. Als Heimatort war Zürich auf dem Pass eingetragen. Endlich konnte sie problemlos ein Hotelzimmer buchen oder eine Wohnung mieten. In eine Polizeikontrolle durfte sie jedoch nie geraten. Das war weiterhin zu gefährlich.
Ein scheinbar kleiner Fall für Privatdetektiv Leon Bevilacqua: keine Toten, keine Verletzten. Nur eine junge Frau, die einen älteren Mann bestohlen hat und der will nicht, dass die Frau ins Gefängnis muss. Er möchte sie zurück. Was zunächst wie ein modernes Märchen wirkt, wird plötzlich zum Horrortrip für Leon und seine Freundin.
„In diesem Moment schnappte Lavinia nach seinem kleinen Finger der rechten Hand, die er zum Kampf bereit nach ihr ausstreckte. Sie biss zu wie eine ausgehungerte Bulldogge. Der Kerl schrie auf wie ein Ferkel beim Todesschrei im Schlachthof. Seine Knie wurden weich.“
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- Artikel-Nr.: SW9783952592144458270
- Artikelnummer SW9783952592144458270
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Autor
Stefan Roduner
- Verlag Vicon
- Veröffentlichung 17.04.2024
- ISBN 9783952592144
- Verlag Vicon