Tiefenkontrolle

Jugendjahre im Arbeiter- und Bauernstaat, 2. Teil

Klaus Levitzow, der Held des Romans „Wer die Beatles nicht kennt“ von Lutz Dettmann ist jetzt zwanzigjährig und wird zur NVA berufen. Er begibt sich in eine fremde Welt mit eigenen Gesetzen, Ritualen und einer eigenen Sprache. Klaus ist kein Held, der gegen das System aus Befehlsgehorsam und Tageszahl kämpft. Er ist einer der Millionen von jungen Männern, die versucht haben, einigermaßen aufrecht diese Zeit zu überstehen. Er schildert eine Armeezeit, die nicht nur aus Druck und Schikane besteht, sondern in der auch die Liebe, die Kameradschaft und die Freundschaft eine wichtige Rolle spielen. Dieses Buch beschreibt einen Zeitabschnitt und eine... alles anzeigen expand_more

Klaus Levitzow, der Held des Romans „Wer die Beatles nicht kennt“ von Lutz Dettmann ist jetzt zwanzigjährig und wird zur NVA berufen. Er begibt sich in eine fremde Welt mit eigenen Gesetzen, Ritualen und einer eigenen Sprache. Klaus ist kein Held, der gegen das System aus Befehlsgehorsam und Tageszahl kämpft. Er ist einer der Millionen von jungen Männern, die versucht haben, einigermaßen aufrecht diese Zeit zu überstehen. Er schildert eine Armeezeit, die nicht nur aus Druck und Schikane besteht, sondern in der auch die Liebe, die Kameradschaft und die Freundschaft eine wichtige Rolle spielen. Dieses Buch beschreibt einen Zeitabschnitt und eine Welt innerhalb der DDR, die nicht vergessen werden darf.

Wer Leander Haußmanns NVA-Film und –Buch kennt und dessen Schenkel klopfende („Haben wir doch damals toll gesoffen und sind über den Zaun gegangen!“) Aufbereitung für unrealistisch erkannt hat, ist in diesem Buch gut aufgehoben. Es schildert die NVA authentisch, ohne dabei den menschlichen Aspekt zwischen den Soldaten auszublenden. Authentisch sind auch die Orte beschrieben, an denen das Buch spielt: Dabel (im Buch Buchholz) eine von vielen NVA-Kasernen im Norden der damaligen DDR und Schwerin, die Bezirksstadt im Nordwesten der kleinen DDR.



Husten auf dem Flur, Schritte kommen näher. Und plötzlich steht Major Wagner in der Tür. Ich springe auf, mache meine Meldung. Tropfen rührt sich nicht. Und an Wagners Blick sehe ich, dass gleich etwas passieren wird.

„Wollte mich mal mit dem Soldaten Lasky unterhalten. Da wird was gemunkelt.“

Er grinst, zeigt seine gelben Pferdezähne. Und mich greift wie immer die Angst an, wenn ich in Wagners Nähe bin. Seine wasserblauen Augen wandern über meine Felddienst.

„Levitzow, sagen Sie mal, aus welchem Lumpensack haben Sie denn die ausgegraben?“

Sein Finger zeigt auf meine Hose. Ich schaue an mir herunter, und ich weiß nicht was er will.

Denn ich bin stolz darauf, dass Buschi mir seinen alten Drillich schon abgetreten hat, obwohl er ja noch einige Tage hier dienen muss. Eigentlich hätte Bäumchen ihn bekommen müssen. Aber Buschi meinte, Weicheier dürfen solch altgedienten Drillich nicht tragen.

Gut, die Hosenbeine sind etwas kurz. Aber sonst?

„Soldat Levitzow, Sie sehen wie eine Vogelscheuche aus!“, stellt Wagner fest.

„Ziehen Sie doch mal Ihre Stiefel aus.“

Gefährlich ruhig ist seine Stimme.

Wortlos bücke ich mich, ziehe die Stiefel von den Füßen und stehe auf grauen Socken vor ihm. Hätte ich bloß die Socken gewechselt! Ein trauriger Geruch geht von meinen Füßen aus, und ein großer Zeh schaut neugierig aus seiner grauen Umhüllung, als ob er frische Luft schnappen will. Ein tolles Bild muss ich abgeben: Die grauen Socken, darüber der weiße Streifen der langen Unterhose und die viel zu kurze Drillichhose.

Und plötzlich geifert Wagner los:

„Ab zur BA-Kammer. Schämen Sie sich! Sie sind eine Schande für die NVA. Eine neue Felddienstuniform und in zehn Minuten bei mir im Stab melden! Ist das klar!“

Und ich schlüpfe schnell in meine Stiefel, blicke aus den Augenwinkeln zu Tropfen, der nur die Augenbrauen hochzieht. Kehrtwendung und raus. Ich möchte jetzt nicht in Haralds Haut stecken.



Mittägliche Ruhe herrscht vor dem Med-Punkt. Im Laufschritt, die Arme angewinkelt, tobe ich um den Ex-Platz und hoffe, auf keinen Offizier zu treffen. Eine einzige Ehrenbezeugung würde wohl meinen Zeitplan sprengen. Atemlos komme ich an der Kammer an. Der erste angenehme Anblick heute, als ich die Tür geöffnet habe: Das Reh hat Dienst.

Aber zum Bestaunen bleibt keine Zeit. Die Haare trägt sie wieder hochgesteckt. Einfach schön, dieses Mädchen! Sie lächelt nur, als ich ihr mein Anliegen schildere.

„Mit Ihren Hosen stehen Sie auf Kriegsfuß, was?“

Und während ich mich aus meiner Uniform schäle, sucht sie im Lager einen passenden Drillich.

Verlegen stehe ich mit meinen langen Unterhosen vor ihr, kann mich nicht einmal hinter dem Tresen in Deckung bringen. Wenigstens meinen neugierigen Zeh kann ich noch verstecken. Doch sie übergeht meine Scham, hilft die Hosenträger anzuknöpfen.

„Lassen Sie Wagner schreien! Bis zum nächsten Hosentausch.“

Ich will widersprechen, doch ihr Lächeln ist zu schön. Ab zu Wagner in den Stab. Was mich dort wohl erwarten wird?



Geboren am 31.03.1961 in Crivitz, schulische und berufliche Ausbildung in Schwerin, verheiratet, zwei Kinder, wohnhaft seit 1997 in Rugensee bei Schwerin, seit 1991 in der Hans-Fallada-Gesellschaft, Vorstandsmitglied und Redakteur der Vereinszeitschrift der Gesellschaft seit 2000, zahlreiche Veröffentlichungen in Prosa, zur Literatur- und Zeitgeschichte in Zeitungen und Zeitschriften.

Buchpublikationen:

„Sommertage in Estland - Aufzeichnungen einer Reise“, Stock und Stein Verlag Schwerin 2002,

„Wer die Beatles nicht kennt“, Roman, Langen-Müller, München 2004 (Piper 2005),

„Tiefenkontrolle“, Roman, Weiland Bücher & Medien, Lübeck 2006/2008,

„Anu - eine Liebe in Estland“, Roman, Universitas, Wien und München 2012, estnische Ausgabe 2013, Sinisukk Tallinn,

„Die Reise nach Jerusalem - Ein Israeltagebuch“, EDITION digital, Pinnow 2016

Preisträger Krimiwettbewerbe der Buchkette Weiland 2005 und 2007, Szenepreisträger der Stadt Schwerin für das beste Buch 2007

Drehbuch für den Kurzfilm „Fröhliche Weihnachten“ 2008, Regie Till Endemann, EA Sommer 2009, Erstausstrahlung November 2010 im MDR

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