Die Kraftprobe
Roman
Voll Spannung verfolgt der Leser die konfliktreiche Handlung, das Ringen der Menschen um die Überwindung alter, überlebter Gewohnheiten und Anschauungen, die Hinwendung vom Ich zum Wir. Dabei hat es dem Autor gefallen, „mit Lachen die Wahrheit zu sagen“. Mit kräftigen Strichen hat er die Personen seines Romans gezeichnet. Es sind typische Menschen der jungen DDR mit all ihren Licht- und Schattenseiten. Man spürt deutlich, dass sie dem Autor begegnet sind. Er war selbst Kumpel und leidenschaftlicher Segelflieger. So war es ihm möglich, das Leben echt einzufangen und in treffender Situationsszenerie spannend zu gestalten.
Segelflugzeuge über Wulkau. Das ist für die Arbeiter und Bauern in und um das Lausitzer Städtchen, an das sich die Grube „Morgenrot“ anlehnt, ein vertrautes Bild. Rudi Bork, der Jungingenieur und Leiter der GST-Gruppe Segelflugsport, hat wochenlang auf gutes Wetter für den Fünf-Stunden-Flug, die letzte Bedingung für seine Silber-C, gewartet. Dieser Flug wird ihm die begehrte Auszeichnung bringen.
Ganz andere Gedanken haben die Mitglieder der sozialistischen Jugendbrigade des Meisters Drogge. Sie verwünschen Rudi, weil sie mit seiner Reparatur nicht weiterkommen, für die er noch eine Zeichnung zu liefern hat. So zögert sich die Reparatur des Baggers und sein Wiederanlaufen hinaus. Lohnausfall, Planrückstand! Alle schimpfen auf Rudi. Aber warum? Er hat sich ordnungsgemäß Urlaub geben lassen. Er konnte nicht wissen, dass die Brigade ihren Reparaturplan vorfristig erfüllt. Er hat auf die Zeichnung bereits Überstunden verwandt, war aber doch nicht fertig geworden. Rudi war in seiner Arbeit stets zuverlässig und wurde bisher von allen anerkannt. Dennoch wenden sich die Kollegen jetzt gegen ihn.
Die Diskussionen weiten sich immer mehr aus. Besonders unter den Jugendlichen kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen. Es droht eine Kluft zwischen den Arbeitern und der Intelligenz aufzubrechen. Gegnerische Kräfte regen sich. Längst ist es nicht mehr der Fall Bork geblieben. Die Kraftprobe beginnt.
ZWISCHENFALL
KRAFTPROBE
BEWÄHRUNG
Früher als sonst fuhr Rudi zum Werk. Am großen Dreieck stieg er vom Rad. Er stutzte. Da kommt ein beladener Zug von der Strosse des 850er! Wie ist das möglich? Und da, von der Kippe her, rollt ein Leerzug zum Bagger!
Rudi hetzte zum Büro und rief den Dispatcher an. Der berichtete, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, dass der 850er seit gestern Abend fördert.
Hat Drogge die Reparatur ohne Zeichnung zu Ende geführt? In wenigen Sätzen unterrichtete Bork seinen Chef. Der gestrige Vorfall kam gar nicht zur Sprache. Eile war not. Bork griff seine Zeichnung und fuhr mit dem Rad bis zum großen Dreieck, wo er es einem Weichensteller in Verwahrung gab.
Der Weichensteller war guter Dinge: Der Bagger läuft, jetzt können wieder Prozente gemacht werden!
Bork hielt den nächsten Leerzug an. Der E-Lokführer, ein älterer Mann, prüfte den Fahrausweis und nahm Bork mit. „Hast du schon vom 850er gefahren?“, fragte der Junge.
„Einen Zug.“
„Hast du etwas Besonderes gemerkt?“
„Was soll ich bemerkt haben?“
„Vielleicht – dass er unruhig lief oder so!“
„Der läuft wieder wie geschmiert. Gott sei Dank!“
Der E-Lokführer hatte alle zwölf Kontakte geschaltet und fuhr mit Höchstgeschwindigkeit talabwärts den geraden Einschnitt zum Bagger hinunter, hier noch auf fest verlegtem Gleis. Fahre drauf zu, Kumpel! Auf der Strosse wirst du noch früh genug so hinschleichen, dass mir die Zeit zur Ewigkeit wird!
Der E-Lokführer schaltete herunter. Sein Zug schob sich im Schritttempo über die schaukelnden Gleise. Ein beladener Zug kam auf dem zweiten Gleis entgegen. Lachendes Gesicht: Erwin Pehls. Die Fahrer grüßten sich. Dann die Gleisunterhaltungsbrigade. Prüfende Blicke der Arbeiter zu den Schienen, die selbst beim trägen Dahinschleichen des Zuges wie eine Schaukel wippten.
Die stählerne Fassade des Baggers wuchs vor dem Zug auf.
Signal von der E-Lok, Erwiderung vom Bagger. Der mächtige Hauptmotor des Riesen brummte auf, ein Zittern gewaltiger Kraftentfaltung lief vom innersten Mechanismus bis zum letzten Verkleidungsblech der Außenhaut, wild kreischte Eisen auf Eisen, und über die Schüttrinne donnerten erste Abraummassen in die Wagen.
Kein fremdes Geräusch! Rudi Bork atmete leichter. Er sprang die eiserne Treppe des sich langsam wegbewegenden Baggers hinauf und stürmte in den Führerstand. Fast rammte er den Brigadier Drogge. Der untersetzte, wieselflinke Schlosser lachte gutmütig.
„Na, Intelligenzler, bringst du die Zeichnung? Kommst ein bisschen spät zu uns.“
„Tag, Meister Fix. Spotte nicht, mir ist nicht danach zumute.“
„Lass man, Rudi, Schwamm drüber! Wir haben’s auch so geschafft.“
Rudi beruhigte der selbstbewusste Ton des Brigadiers. Zehn Mann von der Güte des Genossen Drogge im Werk – keine Sorgen gäbe es mehr bei den Reparaturen!
Dann mussten sie beiseite treten. Die Brigade räumte den Arbeitsplatz: Der Arzt legte die Instrumente weg. Der lange Pietsch, bei dem man doch kein Gramm Bizeps vermutete, und ein junger Bursche mit schwarzem, widerspenstigem Haar setzten eine Sauerstoffflasche ab.
„Na, Schwarzer, haust du ihm noch eine runter?“, sagte Drogge gut gelaunt zu dem Jungen.
„Wem denn?“, fragte der verwundert und sah von Drogge zu Rudi und wieder zu Drogge.
„Na ihm!“ Drogge deutete mit dem Daumen auf Bork. „Das ist der Flieger, dem du gestern eine knallen wolltest.“
„Ach so.“ Der Schwarze schämte sich. Er wischte sich die Rechte am Hosenboden ab und gab sie Bork.
Der lange Pietsch mischte sich ein. „Schön war’s trotzdem nicht, Rudi.“ Auch er reichte die Hand. Aber damit du dir keine Gewissensbisse machst: Die Prämie kriegen wir. Ich hole sie nachher.“
„Na, zeig uns mal deine Malerei“, sprach Drogge und nahm Bork die Zeichnung aus der Hand. Er breitete sie aus. Pietsch hatte keine Mühe, über den Kopf des Brigadiers in die Zeichnung zu sehen. Der Schwarze drängelte sich von der Seite heran, und auch andere Drogge-Leute, wie die Mitglieder der Brigade allgemein genannt wurden, kamen herzu. Ihr Brigadier grunzte befriedigt: Zeichen des Einverständnisses.
Plötzlich blickte er den Ingenieur aus den Augenwinkeln an. Sein kurzer Zeigefinger deutete auf eine diagonal eingezeichnete Strebe.
„Muss die sein?“
„Natürlich!“ Bork erklärte die Wirkung der angreifenden Zugkräfte.
„Verdammt noch mal!“ Einen Augenblick lang überlegte Drogge. Dann fegte er wie ein Wirbelwind davon. Bork hielt die Zeichnung, von Drogge in die Hand gedrückt, als wäre sie etwas Fremdes. Unschlüssig blickten sich die Jungarbeiter an. Rudi hatte sich als erster gefasst, er legte das Papier auf ein freies Bedienungspult und rannte in langen Sätzen dem Brigadier nach. Andere folgten.
Drogge hockte vor einem großen stählernen Träger. Der breitgeklopfte Daumennagel seiner Rechten fuhr die bizarren Kurven eines harmlos aussehenden haarfeinen Risses nach.
1921 in Brieskow als Sohn eines Bergmanns geboren. Volksschule, kaufmännische Lehre.
Im 2. Weltkrieg Fluglehrer, dann Jagdflieger.
Nach dem Krieg Landarbeiter, dann Bergmann.
Seit 1952 Journalist. Redakteur der "Täglichen Rundschau", dann Reporter des "Neuen Deutschland".
Seit 1961 freischaffend.
2019 in Berlin verstorben
Auszeichnungen:
Literaturpreis des FDGB
Vaterländischer Verdienstorden in Bronze
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- Artikel-Nr.: SW9783965214835458270.1
- Artikelnummer SW9783965214835458270.1
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Autor
Karl-Heinz Schleinitz
- Wasserzeichen ja
- Verlag EDITION digital
- Seitenzahl 245
- Veröffentlichung 06.07.2021
- ISBN 9783965214835
- Wasserzeichen ja