Thaddäus und seine Geigen

Thaddäus, ein alternder Schulmeister und leidenschaftlicher Geigenspieler, kämpft seinen letzten Kampf im Bett, während er von Erinnerungen an seine Reisen nach Italien und seine Begegnungen mit außergewöhnlichen Menschen heimgesucht wird. Inmitten von Schmerz und Nostalgie entdeckt Thaddäus die wahren Töne seines Lebens – die melancholische Schönheit der Musik, die Intensität der Liebe und die bittersüße Last der Erinnerungen. Diese ergreifende Erzählung über das Menschsein und die Kunst wird Leser aller Generationen in ihren Bann ziehen und zum Nachdenken anregen. Eines Samstags musste er zu einem... alles anzeigen expand_more

Thaddäus, ein alternder Schulmeister und leidenschaftlicher Geigenspieler, kämpft seinen letzten Kampf im Bett, während er von Erinnerungen an seine Reisen nach Italien und seine Begegnungen mit außergewöhnlichen Menschen heimgesucht wird. Inmitten von Schmerz und Nostalgie entdeckt Thaddäus die wahren Töne seines Lebens – die melancholische Schönheit der Musik, die Intensität der Liebe und die bittersüße Last der Erinnerungen. Diese ergreifende Erzählung über das Menschsein und die Kunst wird Leser aller Generationen in ihren Bann ziehen und zum Nachdenken anregen.



Eines Samstags musste er zu einem Arbeitervortrag in die Stadt. Sie waren zwei Freunde und eine Frau. Natürlich versäumten sie den Zug. Sie liefen in der Sonne. Es ging über Schotterwege, Bahndämme, Moorstege und zuletzt den „langen Jammer“ entlang. Thaddäus war seit Wochen nicht mehr gelaufen. Ihm ward ganz froh und frei zumute. Er hatte die Ahorngeige mit; darauf spielte er alles herunter, wie es ihm gerade vor den Strich kam, vom Kesselflickerlied bis zum „alleinigen Trost“. Der Kamerad neben ihm lief barfuß; er hinkte, und seine Zehen bluteten. Aber er zog keine Schuhe an, weil der Schmerz läutere und jede Beherrschung einer späteren Freiheit entspreche. „Das ist ein sauberer Handel“, meinte Thaddäus, „eine Art Fußvorschussbeichte; man bestraft seine Füße, damit Hand und Mund demnächst rechtmäßig sich vergehen können.“ Und plötzlich musste er an den Wallenstein und sein eigen Leben denken; und er wunderte sich, wie weit er gelaufen, wie viel steinige und dunkle Wege, und wie wenig Reue er empfunden. Da ward ihm ganz wunderlich und schwerelos, er tat einen richtigen Luftsprung; und nun fiedelte der ehrsame Schulmeister das gottverbotene Vanitas Vanitatum. Dabei machte er lauter Zickzacksprünge über die Provinziallandstraße, die da heißt „der lange Jammer“. Der Kamerad aber predigte unentwegt von den vorbeugenden Wundern des Schmerzes. Seine Frau suchte es ihm gleichzutun, ward jedoch durch einen schlecht sitzenden Krampfaderstrumpf aufs schnödeste daran gehindert. So kamen die drei in die Stadt.

Thaddäus hatte über Zinsrechnung vorzutragen und über niedere Zahlenreihen. In der Aula saßen etwa zwanzig Arbeiter, einige Fortbildungsschüler, die als Auslandspropaganda eines hungerblockierten Landes dienen konnten, zwei runde glatzköpfige Lehrer und vier Lehrerinnen. Die hinteren Gasflammen konnten gelöscht werden. Thaddäus redete das Blaue vom Himmel herunter. Er hatte mit den geometrischen Reihen begonnen; aber nun sprach er von Achtmonatskindern, vom ewigen Kalender und von dem bevorstehenden Zusammenstoß der Erde mit einem Sternkörper im Nebel der Andromeda. Eine Lehrerin musste sofort hinausgetragen werden, zwei andere entwichen; die vierte hingegen erbat seine Anschrift zwecks brieflichen Gedankenaustausches. Er hatte noch die Geistesgegenwart, eine falsche Adresse zu nennen. Dann wurde eine Ortsgruppe gegründet.

Thaddäus saß wie auf glühenden Kohlen; endlich war er draußen. Um Mitternacht fuhr der Zug. Aber auch der Zug fuhr zu langsam. An der nächsten Halte stieg Thaddäus aus, als ginge es schneller, wenn er zu Fuß liefe. Es war die Zeit der weißen Nächte, die erste Stunde nach Mitternacht. Die Sonne stand im Norden unter dem Horizont. Ein grüngelber Lichtkegel zeichnete die ganze Nacht ihren Weg und wanderte langsam gen Osten. Noch aber war Nacht. Noch lag das Land in tiefem Schlummer. Die Kühe ruhten käuend am Weg wie Steine. Die Moorwässer glucksten. Eine Eule wischte in Haupteshöhe fast lautlos. Es war so feierlich. Solch eine tiefe Freude, solch mächtiger Einklang mit dem Leben, dass vor Dankbarkeit das Herz laut wurde:



Friedrich Wolf (* 23. Dezember 1888 in Neuwied; † 5. Oktober 1953 in Lehnitz) war ein deutscher Arzt, Schriftsteller und Dramatiker, der sich besonders durch seine politische und literarische Arbeit einen Namen machte.

Friedrich Wolf wurde als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Er studierte von 1907 bis 1912 Medizin, Philosophie und Kunstgeschichte in verschiedenen deutschen Städten und promovierte 1913 in Medizin. Während des Ersten Weltkriegs diente er als Truppenarzt und entwickelte sich zum entschiedenen Kriegsgegner. Nach dem Krieg engagierte er sich politisch und wurde Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats in Dresden.

Wolf war ab 1928 Mitglied der KPD und verfasste zahlreiche politisch engagierte Werke. Sein bekanntestes Drama, "Cyankali" (1929), prangerte das Abtreibungsverbot des § 218 an und löste eine breite gesellschaftliche Debatte aus. Neben seiner literarischen Tätigkeit arbeitete er als Arzt und engagierte sich für die Rechte der Arbeiterklasse.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Wolf 1933 in die Sowjetunion, wo er weiterhin literarisch aktiv war und für Radio Moskau arbeitete. Während des Spanischen Bürgerkriegs versuchte er, als Arzt an den Internationalen Brigaden teilzunehmen, blieb aber in Frankreich. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er in Frankreich interniert, konnte jedoch 1941 mit sowjetischer Hilfe nach Moskau zurückkehren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Wolf nach Deutschland zurück und engagierte sich in der DDR kulturpolitisch. Er war Mitbegründer der DEFA und der Deutschen Akademie der Künste. Zudem diente er von 1949 bis 1951 als erster Botschafter der DDR in Polen. Friedrich Wolf starb 1953 an einem Herzinfarkt und wurde auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin beigesetzt.

Wolf hinterließ ein umfangreiches literarisches Werk, das durch seinen politischen und sozialen Einsatz geprägt ist. Seine Söhne Markus und Konrad Wolf setzten sein Erbe als bedeutende Persönlichkeiten der DDR fort.

Staatliche Auszeichnungen

1943: Orden Roter Stern

1949: Nationalpreis der DDR II. Klasse für das Theaterstück Professor Mamlock

1950: Nationalpreis der DDR I. Klasse für den Film Rat der Götter.

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