Johannes – Versuch einer Ehe zu dritt
Anfangs ist der Held noch ein sehr junger Mann. Der Text beginnt mit seiner Vorzeit: John hatte buchstäblich in letzter Minute von der Werbeaktion erfahren. Darin wurde jedermann aufgerufen, sich an dem Volksbau zu beteiligen, soweit er abkömmlich wäre und es nötig hätte, zu Geld zu kommen, oder auch nur dem Alltäglichen für eine Weile entkommen wollte. Vor wenigen Tagen hatte der achtzehnjährige John sein Abitur abgelegt. Der Schulden bei seinem Klavierlehrer wegen, aber auch, um sich etwas zu verdienen, hatte er sich zu der Aktion gemeldet, unter der Bedingung, als sogenannter freier Arbeiter bei einer Firma eingestellt zu werden, was ihm zugesagt wurde.
Er wollte er sich am Aufbau einer Talsperre beteiligen und sollte sich in Baracke drei melden. Es erwartet ihn harte Arbeit. Und wie er im Gespräch mit Humbert, seinem Vorarbeiter, erklärt, will er Medizin studieren: Du fragst mich, hast du dich befragt, warum gerade Medizin? - Einen einzigen Grund kann ich nicht nennen, sagte John. In Wahrheit will ich den Menschen studieren. In keinem anderen Fach ist der lebendige Mensch Gegenstand des Studiums. Das reizt mich. Und John hielt übrigens die Innere Medizin für die Königin der Heilkunst.
Er diskutiert mit Humbert auch, wie das Mädchen beschaffen sein soll, das er einmal heiraten will.
Während des Studiums lernt er Mareen kennen, die Medizin studiert, dann auch deren Freundin Judith, die Kunst studiert: Es war, als hätte die Anwesenheit der Fremden John in einen Bann geschlagen. Als Mareen jetzt sagte: Judith, meine Freundin, schämte er sich ein wenig, dass er Mareen kaum beachtet hatte. John, sagte Mareen. Und Judith: Ich freue mich. Sie jetzt leibhaftig zu sehen. Geredet haben wir über Sie schon manches. - Als er Judiths Hand in seiner spürte, war ihm, als hätte er ihren Körper berührt.
Später wird ein Ostseeurlaub geplant: Würdest du, fragte ihn Mareen eines Tages, etwas dagegen haben, dass Judith mit uns fährt? - Judith, sagte John vor Überraschung beinahe atemlos, wenn sie das will, und du. - Wir haben es bereits abgesprochen. - Wir besitzen aber nur ein Zelt, sagte John. Daraus entwickelt sich eine Beziehung zu dritt: Die Mädchen waren verschieden. Jede für sich aber eine Frau, die ihn fesselte, Herz und Sinne bewegte; und: die er begehrte. Warum das leugnen? Während er sich das zugab, und sich dazu bekannte, loderte diese Wahrheit in ihm hoch wie ein Feuer, brachen alle Mauern aus Überlegung. Abwägung und Herkömmlichem.
Wird das funktionieren?
All diese Reden waren wohl nur ein Mittel, um das, was sie im Augenblick fühlten, auch das Warten auf etwas, zu verdrängen. Nun schwiegen sie wieder. Sehr lange.
Im Atelier war es warm, zu warm. Man kann die Heizung nicht abstellen, hatte Judith gesagt. Ab und zu knackte es in den Rohren.
Die Flammen der Kerzen brannten ruhig, rauchlos. Die Gesichter der drei waren in einen halbhellen Lichtkreis getaucht. Gelegentlich huschten Schatten darüber, wenn die Flammen der Kerzen durch einen Lufthauch erzitterten.
Da sagte Judith, sie habe einen guten Cognac, ägyptischen. - Oh, riefen Mareen und John fast gleichzeitig. Judith holte die Flasche und Gläser. Goss ein. Die warme, dunkle Farbe des Cognacs in den bauchigen Gefäßen. Ein exotisch-würziger Duft mischte sich mit dem Geruch der brennenden Kerzen. - Auf uns, sagte John und räusperte sich. Sie tranken. - Schwer und süßlich, sagte Mareen. Und wieder schwiegen sie.
Da meinte John, sie könnten etwas spielen. Zum Beispiel »Lebende Bilder«. Eine Art Krippenspiel, John sagte es im burschikosen Ton. Ort und Zeit sind danach. - Wie meinst du das? - Ich denke an die beiden Bilder; das von Mareen, welches Judith damals gemalt hat, und das von Judith. - Von Judith gibt es auch eins? sagte Mareen. - Meine Kollegin hat es gemalt, sagte Judith, und John war so unverschämt, es sehen zu wollen. - Ach, John hat es schon gesehen, sagte Mareen.
Mir gefällt es nicht, erwiderte Judith schnell. - Wir brauchen ja diese Bilder nicht, so John. Ihr müsst sie bloß nachstellen. - Und du, was machst du? - Ich verteile Preise, spiele den Paris. - Ein Theater also, meinte Mareen. - Oder ein Spiel, sagte Judith. - Und wieder Mareen: Wo soll es stattfinden und wie? -
Hier, antwortete John rasch, das Atelier ist die Bühne, und ihr seid die Schauspielerinnen, die das Stück aufführen. - Bloß, dass wir kein Stück haben. - Ein Stegreifspiel ist immer am Aufregendsten, meinte John.
Ich habe diese Bilder vor Augen, sagte er, ich könnte eure Stellung und Haltung korrigieren, wenn sie falsch wäre. Und zu Judith: Du lagst doch, so weit ich mich erinnere, auf einer Matte. Hast du die noch? - Ja. - Könntest du sie holen? - Judith stand auf, trank aus dem Cognacglas und ging, die Matte zu holen. - Hilfst du mir, rief sie John zu. - Die Matte hing an Schlaufen an der Wand neben den Regalen. John und Judith hoben sie ab und trugen sie in die Mitte des Ateliers. Sie ist breit genug für euch beide, sagte John. Auch Mareen war herangekommen. - Fangt an, forderte John.
Judith führte Mareen an der Hand zu der Stelle, wo sie ihre Position einnehmen sollte: diesmal kniend, die Arme hinter dem Nacken verschränkt.
Mein Rock ist zu eng, sagte Mareen, das wird nichts. - Das kann ja nichts werden, so John, damals hattet ihr doch nichts an. - Er zwang sich, diese Worte in belanglosem Ton zu sagen. Er ging zum Tisch, nahm ebenfalls einen Schluck Cognac. - Willst du auch einen, er wendete sich an Mareen. - Sie schwieg, sagte dann: So hast du das gemeint. - Sie blieb in der Position, die Judith ihr angewiesen hatte. Sah John an, dann Judith. Ihr Gesicht war von Röte übergossen. Da kniete sich John neben sie, öffnete die Knöpfe ihrer Bluse. Sie ließ es zu, dass er sie entkleidete, als wäre sie ein Kind. Judith stand daneben, reglos. Johns Pulse schlugen bis zum Hals. Eine fiebrige Spannung erfüllte ihn. - Du musst nun auch ... , sagte er und fasste nach Judiths Kleid. Sie hielt seine Hand fest, entkleidete sich dann rasch, legte sich neben Mareen.
Bilder mussten nicht mehr nachgestellt werden. Der nackte John, man konnte nun auch sehen, wie es um ihn stand, zwängte sich zwischen die beiden Mädchen. Vor Aufregung einen Augenblick unschlüssig, nach welcher Seite er sich zuerst wenden sollte, fasste er beide an, beugte sich dann über Mareen. Da spürte er, wie Judith ihn leicht an der Schulter berührte, und er umfing Mareen, fühlte die Wärme und Weichheit ihres Körpers. Aus den Augenwinkeln blickte er nach Judith, die zur Decke blickte, eine Hand auf ihrer Brust, mit einer Geste als friere sie.
Mareen atmete hörbar, wie er es noch nie von ihr vernommen hatte, und Judith wendete sich ihr zu, sagte leise ihren Namen: Mareen! Es klang fast wie ein Vorwurf.
Schließlich ließ er von Mareen ab und umschlang Judith. Obwohl sich ihr schlanker Körper spannte, straffte, regte sie sich kaum, blieb sie scheinbar ruhig. Nach einer Weile strich sie ihm über den schweißnassen Kopf, John hatte sich aufgekniet. Da drehte sich Judith auf die Seite, Mareen zu; strich ihr leicht über eine Brust. Mareen hielt diese Hand in plötzlicher Bewegung fest. Sie rückten aufeinander zu. Judith beugte sich über Mareens Gesicht, küsste sie leicht auf den Mund. Sie sahen sich an, als wollten sie einander sagen, was mit Worten nicht zu benennen war.
John war aufgestanden, hatte ein wenig Cognac in die Gläser gegossen, die er den Mädchen brachte. - Auf euch! Er hatte es feierlich sagen wollen, aber seine Stimme klang brüchig vor Rührung. Judith trank, auf einen Ellenbogen gestützt, Mareen zu, und diesmal war es Mareen, die, nachdem sie ihr Glas neben sich auf den Boden gestellt hatte, Judiths Lippen küsste.
Obwohl es im Zimmer immer noch warm ist, überwarm, hat Judith nach einem Zudeck verlangt. John holt es. Er weiß ja, wo es aufbewahrt wird. John liegt in der Mitte. Die Arme ausgebreitet, als wäre er gekreuzigt. An seinen Seiten liegen, ihm zugewandt, Mareen und Judith. Jede ihren Kopf an seiner Schulter. Sie scheinen zu schlafen.
Die Kerzen sind heruntergebrannt. Im Zimmer herrscht der Geruch nach verbranntem Wachs vermengt mit dem schwachen Duft ihrer Körper. John glaubt auch den Geruch von Ölfarben und Firnis wahrzunehmen. Theaterluft. Jetzt ist der Vorhang gefallen. Das Schauspiel zu Ende. Hinter den Fenstern strahlen unvermindert die Sterne. Ihre Leuchtkraft hat zugenommen.
In John entsteht ein Gebet: Lass ihn dauern, diesen Augenblick, Gott. Ihm war, als ob er sich auflöse im Universum; aus Übereinstimmung mit allem Lebendigen. Alle Furcht war von ihm abgefallen. Der Dornenpfad hatte sich in einen Rosenhain verwandelt.
Er fühlte ihre Brüste in seiner feuchten Hand, hörte das leise Atmen der Mädchen. Ein beinahe schmerzliches Gefühl von Dankbarkeit presste ihm die Brust. Ihnen wollte er sein Leben weihen. Jeden Preis zahlen für diesen Augenblick. Wenn es so etwas gibt, einen Schwur der Gefühle, ohne Worte, dann hatte John ihn jetzt und hier geleistet. - Und er sollte einst daran gemessen werden.
Wolfgang Licht wurde 1938 in Leipzig geboren. Nach dem Abitur an der Petri-Schule in Leipzig wurde er an der Universität Leipzig für das Fach Biologie immatrikuliert. Später wählte er das Medizinstudium. Promotion zum Dr.med. Er wurde Facharzt für Allgemeinmedizin, danach arbeitete er als Arzt im Fach Frauenheilkunde.
Die Lust an der Poesie, schon als Kind erfahren, war niemals erloschen. Die Frage: Schreiben oder nicht, ließ sich nicht länger unterdrücken. Das war für ihn keine Frage der Logik. Er würde für Unbekanntes einen "ehrlichen" Beruf aufs Spiel setzen. Er hatte von Anfang an "den Menschen" erkunden wollen. Dazu hat ihm die medizinische Wissenschaft auch gedient. Er glaubte dort die Grundlagen unseres Denkens und Fühlens zu entdecken, Zugang zum innersten Kreis des Menschen zu haben. Doch als Arzt durfte er die Scham der anderen und seine eigene nicht durch Neugierde verletzen.
So war der Zwang entstanden, Poesie zu machen. Schließlich begann er seinen Debüt-Roman zu schreiben, der bei "Aufbau- Berlin und Weimar" veröffentlicht wurde. Weitere Werke folgten. Dem Schriftstellerverband der DDR trat er, trotz Aufforderung, nicht bei. Nach der Wende wurde er Mitglied im VS. Er wurde Gründungsmitglied des "Kulturwerkes deutscher Schriftsteller in Sachsen", in dessen Vorstand er arbeitet.
Bibliografie:
Bilanz mit Vierunddreißig oder die Ehe der Claudia M., Aufbau-Verlag, Berlin 1983 (1986 in tschechischer Übersetzung in Prag erschienen)
Die Geschichte der Gussmanns, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1986
Leibarzt am sächsischen Königshaus, Tauchaer Verlag, Taucha 1998
Die Axt der Amazonen. Eine Penthesilea-Modifikation in Prosa, Haag+Herrchen, Frankfurt am Main 1998
Johannes, Tauchaer Verlag, Taucha 2002
Johannes. Versuch einer Ehe zu dritt, Tauchaer Verlag, Taucha 2004
Lea, Tauchaer Verlag, Taucha 2006
Vera, Tauchaer Verlag, Taucha 2007
Die Zelle: Die Leidenschaften der Familie B, Tauchaer Verlag, Taucha 2009
Außerdem Beiträge in Anthologien
Versandkostenfreie Lieferung! (eBook-Download)
Als Sofort-Download verfügbar
- Artikel-Nr.: SW9783863947644