Lea – Leben und Lieben einer jungen Journalistin in Palästina
Es sind ungewöhnliche, abenteuerliche Erlebnisse, die Lea als Journalistikstudentin in Deutschland mit diversen Männern und mit deren Umwelt erfährt. Doch als sie dann nach dem Studium als Auslandskorrespondentin in Jerusalem arbeitet, erlebt sie derart Dramatisches und kommt in komplizierte psychologische Situationen, die sie sich bisher nicht vorstellen konnte. Ursachen dafür sind der Konflikt zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Volk und Leas intensive, prickelnde Liebesbeziehung sowohl zu einem Juden als auch zu einem Palästinenser, die in packenden Szenen geschildert wird.
Ein unter die Haut gehendes Buch mit einem realistischen, bisher ungelösten gesellschaftlichen Hintergrund!
LESEPROBE:
Wenig später kam Sonja zu mir ans Werk. Sie wartete neben dem Werktor vor einer Litfaßsäule. Sie hatte einen Schreibblock in der Hand und es sah aus, als schriebe sie das Kinoprogramm der Woche ab. Als sie mich sah, steckte sie ihr Schreibzeug in die Handtasche und ging weg von der Säule, sodass ich meinen Anruf zurückhielt. Sie lief ganz langsam, schlenderte förmlich; so ging ich ihr nach. Als ich neben ihr war, drehte sie mir ihr Gesicht nicht zu, ich gebe Dir heute nicht die Hand, sagte sie ziemlich leise. Zuerst sag Lydia nichts, ich besuche sie wieder. Aber ich muss aufpassen, dass sie mich nicht vorher abfangen. - Sie war aufs Präsidium bestellt worden, Auskünfte wurden verlangt über Lydia; wo sie, Sonja, ihre Zeit zubringe, von der sie wohl zu viel habe, nichts damit anzufangen wisse; und heute war sie zur Personalabteilung ihres Krankenhauses bestellt worden. Man hielt ihr dort vor, Patienten hätten sich über ihren Umgang beschwert, eine Schwester habe auch außerhalb des Krankenhauses auf ihren Ruf zu achten. - Ich legte ihr nahe, eine Weile wenigstens, nicht zu kommen. Ich werde Lydia sagen, Du bist krank, hättest mich angerufen im Werk. - Ja, sagte sie, es ist wohl besser so, eine Weile wenigstens.
Ich konnte nicht erkennen, was Lydia dachte, als ich ihr die Nachricht überbrachte. Ihr Gesicht schien ohnehin nur noch einen einzigen Ausdruck zu kennen, oder vielmehr gar keinen; als sei die Muskulatur ihres Gesichts unfähig, sich zu koordinieren: die Lippen immer ein wenig voneinander; das Kinn gesenkt, die Lider gedunsen; am schlimmsten ihr Starren, als fixiere sie einen einzigen Gegenstand jenseits aller für mich erkennbaren Dinge.
Wenig später kam Sonja zu mir ans Werk. Sie wartete neben dem Werktor vor einer Litfaßsäule. Sie hatte einen Schreibblock in der Hand und es sah aus, als schriebe sie das Kinoprogramm der Woche ab. Als sie mich sah, steckte sie ihr Schreibzeug in die Handtasche und ging weg von der Säule, sodass ich meinen Anruf zurückhielt. Sie lief ganz langsam, schlenderte förmlich; so ging ich ihr nach. Als ich neben ihr war, drehte sie mir ihr Gesicht nicht zu, ich gebe Dir heute nicht die Hand, sagte sie ziemlich leise. Zuerst sag Lydia nichts, ich besuche sie wieder. Aber ich muss aufpassen, dass sie mich nicht vorher abfangen. - Sie war aufs Präsidium bestellt worden, Auskünfte wurden verlangt über Lydia; wo sie, Sonja, ihre Zeit zubringe, von der sie wohl zu viel habe, nichts damit anzufangen wisse; und heute war sie zur Personalabteilung ihres Krankenhauses bestellt worden. Man hielt ihr dort vor, Patienten hätten sich über ihren Umgang beschwert, eine Schwester habe auch außerhalb des Krankenhauses auf ihren Ruf zu achten. - Ich legte ihr nahe, eine Weile wenigstens, nicht zu kommen. Ich werde Lydia sagen, Du bist krank, hättest mich angerufen im Werk. - Ja, sagte sie, es ist wohl besser so, eine Weile wenigstens.
Ich konnte nicht erkennen, was Lydia dachte, als ich ihr die Nachricht überbrachte. Ihr Gesicht schien ohnehin nur noch einen einzigen Ausdruck zu kennen, oder vielmehr gar keinen; als sei die Muskulatur ihres Gesichts unfähig, sich zu koordinieren: die Lippen immer ein wenig voneinander; das Kinn gesenkt, die Lider gedunsen; am schlimmsten ihr Starren, als fixiere sie einen einzigen Gegenstand jenseits aller für mich erkennbaren Dinge.
Wahrscheinlich hat sie mir meinen Bericht nicht geglaubt. Für sie hatte sich wohl die Unbeständigkeit menschlicher Beziehungen schon als Regelmäßigkeit dargestellt. Dass dem Druck der Macht keine Freundschaft widerstand, dass die Angst um das eigene Leben vor aller Achtung eigener und fremder Gefühle stünde. Auch, dass jedermann Gründe findet, diesen Wandel in seiner Gesinnung zur eigenen Ehre hin auszulegen. Worte wie Verrat, Lumperei vermied man; nicht einmal die gewöhnliche und schließlich noch verständliche Angst, selbst verfolgt zu werden, wurde zugegeben.
Lydia war am Ende meiner Rede langsam aufgestanden vom Tisch, legte die Hand mit einer Gebärde auf ihren Leib, als habe sie Schmerzen und sagte, sie wolle gleich ins Bett.
So verging der Sommer, ohne dass Lydia jemals Sonne auf ihrer Haut gespürt hätte. In den ersten Oktobertagen bat sie mich, hellblauen Stoff zu kaufen. Ich war überrascht; schien es mir doch, als finde sie ein neues Verhältnis zu unserer Lebensweise, nämlich tätig zu werden, wovon ich mir viel versprach. Doch Lydia ließ keine Freude erkennen. Ich rätselte darüber, was der Stoffkauf, den ich prompt erledigt hatte, zu bedeuten habe. Zur gleichen Zeit begann sie unsere kleine Bibliothek zu ordnen. Ich versuchte herauszufinden, nach welchen Kriterien sie die Bücher zusammenstellte. In gleicher Weise verfuhr sie mit Kunstdrucken, die wir in Mappen gesammelt hatten. Später sah ich, dass sie die kleine Mozartbüste aus Gips auf einen Haufen Noten gestellt hatte. Das Klavier selbst hatte sie, nachdem sie zum ersten Male abgeholt worden war, nicht wieder benutzt.
Jetzt kam es vor, dass ich, von der Arbeit heimkehrend, schon im Flur eine eintönige, kindlich wirkende Tonfolge vernahm, die, sobald ich ins Wohnzimmer trat, abbrach. Einmal roch es nach Kerzenqualm, aber ich konnte keine Kerze entdecken. Nachzuforschen wagte ich nicht, um sie in ihren Kreisen nicht zu stören. Ich dachte und hoffte es, sie habe eine Art zu leben gefunden, die sie weiter führen würde. In der sie selbst ein Mittelpunkt wäre, dass sie eine neue Denkweise, eine neue Art zu fühlen entwickelte mithilfe des Glaubens ihrer Kindheit. Um gegen die Wertungen der äußeren Welt, der Masse, in der sie zu leben gezwungen war, bestehen zu können, brauchte sie ein dem entgegengesetztes Wertesystem. Es war nur folgerichtig, dass sie sich an das jüdische hielt. So konnte sie sich ohne Selbstmitleid den ausgerissenen, verdurstenden Trieben ihres geschändeten Glaubens zuwenden. Indem sie die jüdischen Sitten und Gebräuche wieder einsetzte, befolgte, feierte, stellte sie sich selbst wieder her. Aber vielleicht gelang ihr das nur, wenn sie alles Nichtjüdische, auch mich, aus ihrem Kreis ausschloss.
Es ging dann alles sehr schnell. Am frühen Nachmittag wurde ich vom Hausmeister im Werk angerufen, ich solle sofort nach Hause kommen, es ginge um Lydia. Ich ließ die Schublehre fallen, mit der ich gerade ein Gewinde messen wollte, zog nur die Arbeitsschürze aus und lief weg. Schon als die Taxe, die ich gestoppt hatte, sich unserem Hause näherte, sah ich Menschen auf der anderen Straßenseite herumstehen. Sie starrten hoch nach unseren Fenstern, als sähen sie einen Seiltänzer in gefährlicher Höhe. Ich sprang aus dem Auto, rannte ebenfalls auf die andere Seite in schrecklicher Angst, Lydia bei irgendetwas Gefährlichem zu sehen. Da entdeckte ich die Fahne. Die Fahne der Juden mit zwei blauen Streifen und dem Davidstern in der Mitte. Ich stürmte die Treppe hinauf. Lydia hatte die Sicherheitskette vorgelegt. Mit der Wucht der Verzweiflung warf ich mich gegen die Tür, bis das Kettenschloss aus der Halterung sprang. Lydia stand vor einem Buch, das sie Midrasch nennen. Sie hatte es an der Ostwand des Zimmers aufgestellt. Um die Schultern hatte sie eine breite Stola gelegt. Sie sprach hebräisch. Lydia beherrschte diese Sprache nicht. Offenbar hatte sie den Text auswendig gelernt oder las ihn ab, von einer Thorarolle, die sie in der Hand hielt. Vor dem jetzt geschlossenem Ofen, der noch warm war, lag ein Aschehaufen auf einem metallenen Tablett. An den verkohlten und gerollten Resten des Papiers war zu erkennen, dass Bücher und Schriften verbrannt worden waren. Wie ich später feststellte, hatte sie alle Bücher deutscher Autoren, die wir besaßen, verbrannt; auch die Noten und Kunstdrucke deutscher Maler und Komponisten. Die Büste Mozarts lag zertrümmert. Auf der blanken Holzplatte des Tisches lagen und standen Bücher von Heinrich Heine, Josef Roth und anderen jüdischen Schriftstellern. Sogar eine Broschüre mit einer Rede Einsteins, gehalten in der preußischen Akademie der Wissenschaften, war dabei. Am Rande des Tisches brannte eine Kerze in einer Schale, die wohl das Thoralicht sein sollte. Es war so gestellt, dass ihr Schein auf das aufgeklappte Klavier fiel, wo Noten von Mendelssohn Bartholdy standen und daneben ein Bild von ihm. Vielleicht hätte ich es ihr nicht so leicht machen dürfen, sich vor mir zu verbergen. Nun sah ich zu spät, wie weit sie mit ihren Vorbereitungen schon gekommen war. Vor allem und sofort musste die Fahne hereingeholt werden. Alles andere hätte dann beredet, geklärt werden können. Lydia, die sich nicht umgewandt hatte, begriff wohl, was ich hinter ihrem Rücken vorhatte; sie unterbrach ihr Gebet, drehte sich um und war mit einem Sprung vor mir am Fenster, vor das sie sich stellte. Sie sah mich unverwandt an, sagte kein Wort. Ich bat sie, stellte ihr vor, was geschehen würde. Ich sagte ihr dabei nichts Unbekanntes. Sie wich nicht. Nur, als ich aus Verzweiflung von mir sprach, ob sie nicht auch an mich denke, ich meinte, wie ich es ertragen sollte, wenn sie nicht mehr hier wäre, lächelte sie verächtlich. Wahrscheinlich hat sie mich immer noch missverstanden. Mir blieb nichts, als sie mit Gewalt vom Fenster zu zerren. Dabei zerriss ich den Ärmel ihrer Bluse, worauf sie leise aufschrie.
Es gelang mir, von ihr mit zäher Kraft behindert, das Fenster aufzuriegeln und die Fahne, sie war an das Holz des Rahmens genagelt, abzureißen. In diesem Augenblick sah ich das grüne Polizeiauto vorfahren.
Wolfgang Licht wurde 1938 in Leipzig geboren. Nach dem Abitur an der Petri-Schule in Leipzig wurde er an der Universität Leipzig für das Fach Biologie immatrikuliert. Später wählte er das Medizinstudium. Promotion zum Dr.med. Er wurde Facharzt für Allgemeinmedizin, danach arbeitete er als Arzt im Fach Frauenheilkunde.
Die Lust an der Poesie, schon als Kind erfahren, war niemals erloschen. Die Frage: Schreiben oder nicht, ließ sich nicht länger unterdrücken. Das war für ihn keine Frage der Logik. Er würde für Unbekanntes einen "ehrlichen" Beruf aufs Spiel setzen. Er hatte von Anfang an "den Menschen" erkunden wollen. Dazu hat ihm die medizinische Wissenschaft auch gedient. Er glaubte dort die Grundlagen unseres Denkens und Fühlens zu entdecken, Zugang zum innersten Kreis des Menschen zu haben. Doch als Arzt durfte er die Scham der anderen und seine eigene nicht durch Neugierde verletzen.
So war der Zwang entstanden, Poesie zu machen. Schließlich begann er seinen Debüt-Roman zu schreiben, der bei "Aufbau- Berlin und Weimar" veröffentlicht wurde. Weitere Werke folgten. Dem Schriftstellerverband der DDR trat er, trotz Aufforderung, nicht bei. Nach der Wende wurde er Mitglied im VS. Er wurde Gründungsmitglied des "Kulturwerkes deutscher Schriftsteller in Sachsen", in dessen Vorstand er arbeitet.
Bibliografie:
Bilanz mit Vierunddreißig oder die Ehe der Claudia M., Aufbau-Verlag, Berlin 1983 (1986 in tschechischer Übersetzung in Prag erschienen)
Die Geschichte der Gussmanns, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1986
Leibarzt am sächsischen Königshaus, Tauchaer Verlag, Taucha 1998
Die Axt der Amazonen. Eine Penthesilea-Modifikation in Prosa, Haag+Herrchen, Frankfurt am Main 1998
Johannes, Tauchaer Verlag, Taucha 2002
Johannes. Versuch einer Ehe zu dritt, Tauchaer Verlag, Taucha 2004
Lea, Tauchaer Verlag, Taucha 2006
Vera, Tauchaer Verlag, Taucha 2007
Die Zelle: Die Leidenschaften der Familie B, Tauchaer Verlag, Taucha 2009
Außerdem Beiträge in Anthologien
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- Artikel-Nr.: SW9783863943806.1