Vor dem Morgengrauen
Als die Polizeibeamten zur Tür hereinstürmen, weiß Oya gar nicht, wie sie eigentlich in die Razzia geraten ist. Alle im Raum sind wie erstarrt und fragen sich fassungslos, wie es dazu kommen konnte. Oya war der Einladung zum Abendessen bei Ali, einem Arbeiter in der örtlichen Textilfabrik, gefolgt und sitzt als einzige der anwesenden Frauen neben den Männern, die sich über Politik und ihre Lebenspläne streiten. Mit der Verhaftung gerät das Leben der jungen Frau, die wegen ihrer Kritik an der Militärdiktatur in der Provinzstadt Adana bereits in der Verbannung ausharren muss, erneut aus den Fugen. Die anschließende lange Nacht in Gewahrsam lässt Erinnerungen an die Gemeinschaft der Unterdrückten aufsteigen. Vor allem der Widerstandsgeist der Frauen, die all ihre Kraft gegen ihre Ausgrenzung aufbieten, verleiht Oya Mut.
Sevgi Soysals 1975 erschienener Roman Vor dem Morgengrauen wurde als ein überwältigender Chor von unterdrückten, verletzten und aufgebrachten Stimmen aus allen Winkeln der türkischen Gesellschaft gefeiert. Die Autorin setzt darin Frauen aller Schichten und ihrem Kampf um die Freiheit ein Denkmal.
Sevgi Soysal (1936–1976) wurde in Istanbul geboren und wuchs als Tochter eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter in Ankara auf. Dort studierte sie Archäologie und hörte an der Uni Göttingen Vorlesungen in Theaterwissenschaft. Ihr vehementer Einspruch gegen soziale Ungerechtigkeit, die Ungleichheit der Geschlechter und den Militarismus in der Türkei nach dem Putsch von 1971 brachten ihr Gefängnis und Verbannung ein, doch das hielt sie nicht vom Schreiben ab. Unter anderem wurde sie 1974 mit dem renommierten Orhan-Kemal-Preis ausgezeichnet. Ihre feministisch geprägten Bücher sind moderne Klassiker und werden international wiederentdeckt.
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Vorbestellerartikel: Dieser Artikel erscheint am 20. März 2025
- Artikel-Nr.: SW9783731700104110164