William von Saargnagel
und der purpurne Traum
William wusste schon immer, dass er anders war als die anderen Kinder seines Alters.
Wie anders, erfährt er, als sich ihm die kleine Drachendame Nildani offenbart, die viele Jahre in einem Kettenanhänger um seinen Hals schlief. Sie führt ihn in eine Welt voller Magie und hochmoderner Technologie. Als William von ihr erfährt, dass er ein Druide ist und auf eine magische Schule gehen muss, beginnt für die beiden ein Abenteuer, von dem William nie zu träumen gewagt hätte.
Zusammen mit Nildani findet er endlich seine Familie, bestreitet sein zusätzliches Dasein als Werwolf und schafft es, sich als zukünftiger Graf von Saargnagel zu etablieren. Doch auch das Dunkle aus Williams Vergangenheit greift um sich.
Wieso ist sein Vater tot? Wo und warum versteckt sich seine Mutter vor ihm? Wer spielt auf der Schule ständig Streiche, für die William die Schuld bekommt? Und was ist eigentlich der purpurne Traum, auf den er immer wieder stößt?
Zum Glück findet er in der neuen Schule schnell Freunde, die ihm hilfreich zur Seite stehen.
Wird William seine vielen kleinen und großen Abenteuer bestehen?
Welche Gefahren und unbekannte Wesen erwarten ihn?
Kapitel 1 - Kumuluswolken
In Durham war es früh am Abend, und wie in vielen anderen
großen Städten auf der Welt zogen unerwartet schwere Gewitter
auf. Wer den Himmel betrachtete, bemerkte sofort, dass sich eigenartige
Kumuluswolken bildeten. Ihre Form ähnelte gewaltigen,
furchteinflößenden Drachen, die Feuer spien. Die Blitze,
die vom Himmel herabzuckten, waren feuerrot. Für die Mehrzahl
der Menschen braute sich ein normales Gewitter zusammen.
Sie schlenderten wie gewohnt umher oder machten sich
auf den Weg zur Arbeit. Jedoch entging ihnen das ungewöhnliche
Schauspiel. Der Himmel verdunkelte sich zunehmend. Einige
wenige Menschen, die mit ihren Hunden spazieren gingen,
blieben stehen und bestaunten gemeinsam mit ihren tierischen
Begleitern das eigenartige Gewitter. Ihre Hunde verhielten sich
äußerst merkwürdig. Aufgeregt hoben sie ihre Pfoten zum Himmel.
Dabei stellten sie sich auf die Hinterläufe und jaulten laut.
Es hatte den Anschein, als würden sie tanzen.
Nur diejenigen, in deren Herzen die Magie lebt, sehen, dass es
in Wirklichkeit keine Hunde sind. Bloß wenige Menschen sind
dadurch in der Lage, diese Wesen zu erkennen. Sie erblicken statt
der verschiedensten Hunderassen die unterschiedlichsten Fabelwesen.
Zum Beispiel Einhörner. Diese gelten als die reinsten der
magischen Geschöpfe der Welt. Oder aber einen Wolpertinger,
der, wie kein vergleichbares phantastisches Wesen, immer anders
aussieht. Das sind jedoch bei Weitem nicht alle Fabelwesen, die
man mit den richtigen Augen sehen kann.
Während dieses schweren Gewitters gingen in Durham ein
Mann und eine Frau mit ihren Fabelwesen am Fluss Wear spazieren.
Neben dem Mann lief ein wunderschöner Greif. Sein
Kopf und die Vorderklauen waren die eines Adlers, und sein
Hinterteil glich dem eines Löwen. Der Frau folgte ein Mantikor,
der den Körperbau eines Löwen besaß, den Schwanz eines Drachen
und die Flügel einer Fledermaus. Sein Löwenkopf war mit
den Hörnern eines Stiers ausgestattet. Gemeinsam bestaunten
sie das schwere Gewitter am Abendhimmel.
'In diesem Land scheint auch niemals die Sonne, wenn ich zu
Besuch komme. Ich erwische immer das typisch englische Wetter',
lachte der Mann und zupfte nachdenklich an seinem Zwirbelbart.
Die Frau ignorierte seinen Kommentar und schaute ihn ernst
an. 'Kann man den Zeichen Glauben schenken?'
'Ich fürchte ja, Manigunde! Sie sind eindeutig. Wir können nur
hoffen und beten, dass er das Kind nicht vor uns findet.'
'Aber warum gerade jetzt? Viktor, ich verstehe es einfach
nicht. Die Gefahr für das Kind war noch nie so groß wie zu dieser
Zeit. Die Macht des dunklen Fürsten steigt erschreckend
schnell von Jahr zu Jahr.' Schulleiterin Manigunde Greenbeery
schüttelte verständnislos den Kopf.
'Warum es ausgerechnet jetzt passiert, solltest du in ein paar
Jahren den Drachen fragen. Wobei ich glaube, dass dir die Antwort
nicht gefallen wird. Du kannst dir jedoch sicher sein, dass
der Drache weiß, was für ein Kind er auserkoren hat. Nicht umsonst
hat es so lange gedauert, bis ein Großdrache sich ein Kind
erwählt! Ich glaube, dass uns noch die eine oder andere Überraschung
erwartet', erklärte Schulleiter Viktor von Mühlenstein.
'Aber als es begann, habe ich die Gefahren für das Kind und
den Drachen erkannt. Ich habe die Großinquisitoren angewiesen,
die Verstecke des dunklen Fürsten umgehend aufzusuchen.
In diesem Moment sollten die Rapahner und Vampirjäger seinen
Unterschlupf stürmen. Wobei ich vermute, dass der dunkle
Fürst wiedermal entkommen wird. Jedoch werden heute Nacht
eine große Anzahl seiner Anhänger gefangengenommen. Das
wird ihn für eine Weile schwächen, hoffe ich.'
'Das war eine äußerst kluge Entscheidung. Aber dein Entschluss
das Amt des Schulleiters der Schule Festung Rosenblut zu übernehmen,
halte ich nicht für besonders klug. Nicht, dass du keinen
guten Schuldirektor abgeben würdest - nein, in so schweren Zeiten
wärst du als Oberster Magistrat, eine ausgezeichnete Wahl.'
Beide blieben stehen. Schulleiter Mühlenstein lächelte und
zupfte wieder an seinem Zwirbelbart herum. 'Das mag alles
richtig sein. Ich glaube jedoch, dass ich unserer Welt mehr von
Nutzen bin, wenn ich das Kind und den Drachen im Auge behalten
kann, ihnen das nötige Wissen vermittle. Sofern die beiden
überhaupt in diese Schule kommen. Es ist noch völlig
unklar, in welchem Land das Kind geboren wurde. Es gibt einfach
keine Informationen, wo es sich derzeit befindet.'
'Das ist äußerst beunruhigend! Es könnte bedeuten, dass das
Kind in Gefangenschaft der Dunkelmagier geboren wurde', entgegnete
Schulleiterin Greenbeery.
'Nein, nein! Der Drache hätte sich dann niemals das Kind als
Begleiter ausgewählt, mag sein Herz noch so rein sein. Ich habe
da eine ganz andere Vermutung. Wenn ich richtig liege, wären
das Kind und der Drache erst einmal in Sicherheit', erwiderte
Schulleiter Mühlenstein.
Schweigend gingen sie mit ihren Fabelwesen weiter am Fluss
Wear spazieren und beobachteten das Gewitter.
***
Eine junge Frau Anfang zwanzig lief mit einem kleinen Bündel
im Arm eine schwach beleuchtete Gasse im Bremer Norden entlang.
Sie befand sich auf dem Weg zu einem stark heruntergekommenen
Gebäude am Ende der Gasse, einem Waisenhaus.
Dort warteten in einem Gebüsch ein grauer und ein brauner
Wolf auf sie. Als sie an den beiden Wölfen vorbeilief, sprangen
sie aus ihrem Versteck.
Die junge Frau erschrak fürchterlich. Beinahe wäre ihr das kleine
Bündel aus den Armen gefallen. Sie pustete eine ihrer braunen
Haarsträhnen aus dem Gesicht und sah die zwei Wölfe erleichtert
an. 'Mutter, Vater! Gut, dass ihr gekommen seid! Ich hatte schon
befürchtet, dass ihr meine Nachricht nicht erhalten habt.'
Die beiden Wölfe verwandelten sich augenblicklich in Menschen.
Ihr Fell verschwand und stattdessen trugen sie eigenartige Kleider,
die reich verziert mit Symbolen, Pflanzen und Tieren waren.
'Als deine Nachricht bei uns eintraf, befanden wir uns in London,
wo das Magistrat eine Sondersitzung einberufen hatte', erklärte
ihr Vater. 'Es ist in den letzten zwei Tagen viel geschehen.'
Beide bestaunten das kleine Bündel in den Armen ihrer Tochter.
Sie waren über den Umstand, dass ihre Tochter einen Säugling
bei sich trug, irritiert.
'Du hast ein Kind? Warum hast du uns das nicht geschrieben?
Und wo ist dein Verlobter?', erkundigte sich ihre Mutter.
Die junge Frau fing an zu schluchzen. Während sie erzählte,
rollten Tränen ihre Wangen herunter. 'Die Anhänger von Fürst
Gweadneal haben uns aufgespürt. Irgendwie haben sie erfahrenen,
wo wir uns befanden. Es war ihnen egal, dass er nicht reinblütig
war. Sie haben ihn getötet. Ohne ihn wäre ich jedoch nicht
entkommen. Er hat mich mit letzter Kraft wegteleportiert! Zusammen
mit dem Hüter der Grafschaft habe ich ihn unterhalb
von der Burg Drachenfels in einer Gruft beerdigt.'
Ihr Vater unterbrach sie und schaute sie eindringlich an. 'Wann
wurde der Kleine geboren? Vor zwei Tagen oder in der letzten
Nacht? Und ist es …'
'Vor zwei Tagen, aber das ist nicht alles! Schau dir dieses Familienmal
an! Die Farbe ist eindeutig. Wir können ihn nicht beschützen.
Deshalb habe ich euch den Brief geschickt! Das
Drachenmal allein ist schon eine Gefahr. Aber das vollkommene
weiße Familienmal, birgt in sich eine viel größere', erklärte sie
unter Tränen.
Ihre Eltern nickten und ihr Vater erwiderte: 'Du hast recht.
Unter diesen Umständen sehe ich auch keine andere Möglichkeit.
Zumal du noch nicht weißt, dass dein Sohn nicht das einzige
Kind mit einem Drachenmal ist, das geboren wurde.' Ihr
Vater hielt für einen kurzen Moment inne. 'Wir konnten in England
keine 50.000 Mark auftreiben. Daher haben wir die Summe
in englischen Pfund mitgebracht. Hoffen wir, dass die heiligen
Schwestern in diesem Waisenhaus das Richtige tun, den Jungen
anständig behandeln und ihn für die nächsten neun Jahre an eine
gute Pflegefamilie vermitteln.'
'Ich habe einen Brief an die heiligen Schwestern geschrieben
und erklärt, dass der Junge sechs Wochen vor seinem zehnten
Geburtstag abgeholt wird. Dass man die Pflegeeltern vorher darüber
informieren muss. Bewusst habe ich nur seinen Vornamen
William im Brief erwähnt. Der Nachname wäre zu gefährlich.
Jemand aus unserer Welt könnte zufällig über ihn stolpern. Ich
bitte euch, sollte mir irgendetwas zustoßen, so holt ihn ab und
besorgt für William und den Drachen alles für die Schule. Erzählt
ihm von mir und seinem Vater.'
Ihre Eltern nickten. 'Du tust das einzig Richtige. Auch wenn
es schwerfällt, daran zu glauben.'
Die junge Frau küsste ihr Baby, das sanft schlummerte, auf die
Stirn. Danach nahm sie das winzige Drachenei, was ihrem kleinen
Sohn an einem Kettchen um den Hals hing, und küsste es
ebenfalls. Leise hauchte sie ihnen zu: 'Passt auf euch auf und
beschützt euch gegenseitig. Ich liebe dich, mein Sohn, und es
wird kein Tag vergehen, an dem ich nicht an dich denken werde.'
Gemeinsam mit ihren Eltern trat sie an die Stufen zum Eingang
des Waisenhauses. Zögerlich kniete sie sich nieder und legte
ihr Baby vor der schweren Eichentür ab. Tränen benetzten ihr
Gesicht, sie zitterte am ganzen Leib. Sie konnte es nicht! Als sie
den Versuch unternahm, ihr Kind wieder aufzunehmen, hielt ihr
Vater sie davon ab. Er zog kräftig an einer Kordel und ein lautes
Glockenspiel ertönte. Danach teleportierte er sich, seine Frau
und seine Tochter in den magischen Bremer Schnoor.
Versandkostenfreie Lieferung! (eBook-Download)
Als Sofort-Download verfügbar
- Artikel-Nr.: SW9783943406221450914