Rezension: Never - Die letzte Entscheidung

Wenn ich Ken Follets neuesten Roman "Never" in einem Wort beschreiben müssten, dann wäre das: Bedrückend.

Follett schafft es, komplexe politische Entscheidungen und Ereignisse auf realistische Art und Weise darzustellen und zu verknüpfen. Damit zeigt er, wie in modernen Zeiten ein (Welt-?)Krieg ausbrechen kann, ohne dass irgendeine Seite es anfangs darauf abgesehen hatte. 

Aber zunächst mal zum Inhalt. Das sagt der Klappentext: 

 

Cover Ken Follett: Never

Ken Follett: Never

Erscheinungsdatum: 19.11.2021 - Verlag: Lübbe - Seitenzahl: 877

Mehr als ein Thriller - Ken Folletts neuester, actiongeladener Roman führt tief in die Verstrickungen unserer globalisierten Welt und stellt die Frage "Was wäre, wenn ...?"

"Eine fesselnde Geschichte, und nur allzu realistisch" Lawrence H. Summers, ehemaliger US-Finanzminister

In der Sahara folgen westliche Geheimdienstagenten der Spur mächtiger Drogenschmuggler. Die Amerikanerin Tamara und ihr französischer Kollege Tab gehören zu ihnen. Für ihre Liebe riskieren sie ihre Karriere - und im Einsatz für ihr Land ihr Leben.

Nicht weit entfernt macht sich die junge Witwe Kiah mit Hilfe von Schleusern auf den Weg nach Europa. Als sie sich gegen Übergriffe verteidigen muss, hilft ihr ein Mitreisender. Doch er scheint nicht zu sein, was er vorgibt.

In China kämpft der hohe Regierungsbeamte Chang Kai gegen die kommunistischen Hardliner. Er hat ehrgeizige Pläne, und er befürchtet, dass die Kriegstreiberei seiner Widersacher das Land und dessen Verbündeten Nordkorea auf einen Weg leitet, der keine Umkehr zulässt.

In den USA führt Pauline Green, die erste Präsidentin des Landes, ihre Amtsgeschäfte souverän und bedacht. Sie wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um zu verhindern, dass die USA in einen unnötigen Krieg eintreten müssen. Doch wenn ein aggressiver Akt zum nächsten führt, wenn alle diplomatischen Mittel ausgereizt sind, die letzte Entscheidung gefallen ist - wer kann dann noch das Unvermeidliche verhindern?

In Ken Folletts neuestem Roman begegnen sich Heldinnen und Schurken, falsche Propheten und mutige Kämpfer, Liebe und Hass. Er fragt: Wenn sich die Welt nur einen Schritt vor dem Abgrund befindet - was kann jeder Einzelne dann noch tun? NEVER ist atemberaubend - und ein Weckruf.

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Rezension zu "Never" von Ken Follett:

Das deutsche Cover zeigt die Buchstaben auf Dominosteinen, das "N" ist bereits am Umkippen und dabei, das "E" umzustoßen. Wer genau hinsieht, entdeckt auf den Steinen auch schon einige Risse - ganz neu und makellos sind sie also nicht. Wenn man noch ein bisschen wartet, bräuchte es vielleicht gar keine Domino-Reaktion, damit die Steine von selbst fallen. Das englische Cover dagegen zeigt, wie sich die Buchstaben ab dem "V" in Staub auflösen. 

Beide Cover ergeben auf den ersten Blick keinen tieferen Sinn, nach der Lektüre des Romans finde ich jedoch, dass die Bildsprache hier sehr gut gelungen ist, und zwar bei beiden Versionen. Noch schöner wäre es gewesen, wenn die Dominosteine von klein nach groß angeordnet wären, denn tatsächlich ist es im Roman ein zunächst sehr klein erscheinendes Ereignis, das eine Kette von Entscheidungen nach sich ziehen wird, die in einem für alle Seiten desaströsen Krieg enden. 

 

Fakten und Personen: Worum es in "Never" geht und mit wem wir viel Zeit verbringen

Dass es zum Krieg kommt ist denke ich in diesem Fall kein Spoiler: In "Never" geht es vor allem um das Wie. Kriege passieren nicht einfach, vor allem in der heutigen Zeit. Geheimdienste operieren weltweit, Nachrichten werden genaustens analysiert und die Aktivität von bestimmten Gruppierungen und politischen Lagern überwacht, damit man am Ende nicht von Ereignissen überrascht wird. Natürlich klappt das nicht immer, auch im Roman nicht, aber man gibt sich zumindest Mühe.

Der Roman spielt an mehreren Orten gleichzeitig und wir verfolgen die Ereignisse durch die Augen von fünf Protagonisten:

Tamara arbeitet für das CIA und ist im Tschad in Afrika stationiert. Dort arbeitet sie mit ihrem Kollegen Tab, der zum französischen Geheimdienst gehört, an der Überführung eines unbekannten, aber einflussreichen Terroristen, der nur "der Afghane" genannt wird. Ihr Vorgesetzter Dexter macht ihr dabei das Leben schwer, da er scheinbar eine grundsäzliche Abneigung dagegen hat, auf Frauen zu hören. Dexters Fehlentscheidungen tragen unter anderem dazu bei, dass die Gesamtsituation überhaupt so eskalieren kann. 

Ein wichtiger Kontakt für Tamara ist Abdul, der verdeckt ermittelt und sich in der Tarnung als Zigarettenverkäufer im Land umhört. Sein Ziel ist es, das Versteck des Afghanen zu finden. Er findet heraus, dass sich die Terrororganisation vor allem durch Drogenhandel in Europa finanziert und macht sich auf, eine Ladung Kokain zu verfolgen. Diese wird in einem Bus transportiert, der offiziell dazu genutzt wird, Menschen aus dem Tschad gegen viel Geld nach Europa zu schleusen.

Kiah ist eine junge Frau aus dem Tschad, die kürzlich ihren Mann verloren hat und nach Europa auswandern will, um ihrem Sohn Naji ein besseres Leben zu ermöglichen. Sie verkauft das Fischerboot ihres Mannes und nutzt das Geld, um sich einen Platz in dem Bus zu kaufen, in dem auch Abdul unterwegs ist. Von Kiah selbst hören wir im Roman am wenigsten.

Chang Kai ist in China im Geheimdienst tätig und steht in regem Kontakt mit einem Informanten in Nordkorea. Leider gilt er im Gegensatz zu einigen Kollegen eher als "Liberaler" und einige Personen setzen alles daran, seine Karriere zu zerstören. Dabei zögern sie auch nicht, Kais Frau, eine beliebte Schauspieleren namens Ting, anzugreifen, in der Hoffnung den Ruf von Kai zu schädigen. Als die Situation in Nordkorea immer schlimmer wird, setzt Kai alles daran, sein Land vor einem Krieg mit den USA zu bewahren und tritt dabei seinen politischen Gegnern gehörig auf die Füße.

In den USA ist derweil die erste Präsidentin Pauline Green damit beschäftigt, sich gegen einen extrem konservativen Parteikollegen zu behaupten, der in der nächsten Wahl gegen sie antreten möchte. Ihm ist Pauline zu "sanft" in ihren Entscheidungen und er plädiert bei jeder Gelegenheit dazu, hart durchzugreifen, während Green diplomatisch vorgeht und versucht, zunächst eine friedliche Lösung für alles zu finden, bis ihr keine andere Wahl mehr bleibt.

 

Politische Spannungen mit einer Spur Trockenheit

Grundsätzlich gefiel mir der Aufbau des Romans. Während es in der Jahrhundert-Trilogie mehr verschiedene Perspektiven gab, konzentriert Follett sich hier auf zwei: Die der USA (Green) und die von China (Chang Kai). Gerade bei solchen Themen halte ich es für wichtig, nicht nur die Ansicht einer Seite darzustellen, sondern zumindest noch der Gegenseite eine Stimme zu geben, um die Motivation aller Beteiligten zu verstehen. Sowohl Abdul als auch Tamara zählen hier zur USA-Seite, während Kiah die Rolle der "normalen" Einzelperson übernimmt, die nicht direkt mit den politischen Geschehnissen zu tun hat, aber durchaus darunter leiden kann. Wenn man es ganz genau nimmt, herrscht hier ein Ungleichgewicht: Mich hätte zum Beispiel noch die Arbeit des Spions in Nordkorea interessiert, so hätte China eine ausgewogenere Rolle erhalten. Sicherlich gäbe es hier genug brisanten Stoff, über den es sich zu schreiben lohnt. So jedoch liegt der Fokus eher auf den USA. Das heißt jedoch nicht, dass China grundsätzlich zu kurz kommt: Chang Kai erhält reichlich Erzählzeit und sein Teil der Geschichte eröffnet einen Blick auf die chinesische Politik, der mir persönlich neu war. 

Allerdings kommt die ganze Geschichte vor allem an Anfang nicht so richtig in Fahrt. Andere Romane von Follett haben mich mehr mitgerissen. Gegen Ende hin, wenn die Situation langsam eskaliert und sich die Ereignisse überschlagen, habe ich das Buch dann nicht mehr weggelegt und die letzten drei Stunden in einer Sitzung gelesen. Aber ich muss zugeben, dass ich das nicht tat, weil ich so gespannt war, wie es weitergeht. Ich war mehr davon motiviert, das Buch endlich zu beenden. 

 

Fehl am Platz: Romantische Beziehungen und Kleiderwahl

Einige Dinge haben mich beim Lesen schon gestört. Ich weiß zum Beispiel nicht, warum in einem solchen Roman die persönlichen Liebesbeziehungen der Protagonisten unbedingt eine Rolle spielen müssen. Was interessiert es mich, dass Tamara schon zweimal verheiratet war, bevor sie sich in Tab verliebt? Warum muss sie sich überhaupt in einem Mann verlieben, der für den Geheimdienst eines anderen Landes arbeitet, wenn es dadurch nicht zu Problemen kommt oder Spannungen zwischen den beiden Ländern dafür sorgen, dass die beiden sich entscheiden müssen: Liebe oder Land? Es kommt nicht einmal zu Konflikten, weil die Frankreich und die USA Geheimnisse voreinander haben, die Tamara und Tab sich nicht verraten dürfen. Einzig am Anfang des Romans erinnert ein Vorgesetzter Tamara daran, dass sie bitte Bescheid sagen soll, wenn sie eine Beziehung zu einem Kollegen eingeht.

Die Geschichte zwischen Tamara und Tab ist aber nicht die einzige: Auch die Ehe von Präsidentin Green erhält mehr Aufmerksamkeit, als sie braucht. Kurz gesagt: Es gibt Probleme. Der First Gentleman findet es nicht gut, dass seine Frau so viel arbeitet und meint, dass sie zu wenig Zeit für ihre gemeinsame Tochter hat. Dabei schiebt er den schwarzen Peter gerne seiner Frau zu, die seiner Meinung nach die Schuld daran trägt, dass Pippa, die Tochter, so aufmüpfig ist. Den Eheproblemen und der schwierigen Erziehung einer Teenager-Tochter wird viel Zeit gewidmet, eine direkt Auswirkung auf das Handeln der Präsidentin lässt sich nicht erkennen. Klar wirkt es stark, wenn sie trotz dieser ganzen persönlichen Schwierigkeiten einen kühlen Kopf behält und nicht überstürzt handelt. Aber einen richtigen Mehrwert hatte ich davon nicht. Auch nicht von den überraschend häufigen Passagen, was Präsidentin Green gerade trägt. 

Dann bleiben noch Kiah und Abdul: Die beiden kommen sich durch externe Umstände näher und ertragen zusammen viel. Die Geschichte der beiden fand ich von allen noch am besten, auch wenn ihre Erlebnisse zu denen gehören, die nur nach einem laaaaangen Umweg wieder an einen Punkt führen, an dem sie tatsächlich die Gesamtgeschichte beeinflussen. Ich will an dieser Stelle nicht zu viel verraten, aber die Verbindung der beiden gehört zu den realistischeren Teilen des Romans. Ihre Geschichte war auch die einzige, bei der ich hinsichtlich ihres persönlichen Schicksals am ehesten mitgefiebert habe.

 

Bestürzend realistisch

Was der Roman sehr gut schafft: Er zeigt, wie Kleinigkeiten eine Welle an Ereignissen lostreten können, bei denen man sich am Ende fragt, wie zur Hölle es so weit kommen konnte. Bei manchen Situationen fragte ich mich, wohin das jetzt führen soll. Einige Erzählstränge schienen mir fast schon unnötig, aber gegen Ende hin erkannte ich dann doch ihre Signifikanz. "Never" ist kein Roman, bei dem man beim Lesen von Spaß reden kann: Zu oft hatte ich das Gefühl, dass das alles ein wenig zu real scheint. Die Beschreibung mancher Personen erinnerte mich sehr an einige Politiker:innen und überhaupt hatte ich die ganze Zeit den Eindruck, dass alle Ereignisse jederzeit exakt so passieren könnten. Daher auch mein zusammenfassender Eindruck als "bedrückend". "Never" von Ken Follett führt einem vor Augen, wie schnell heutzutage ein Krieg ausbrechen kann; auch wenn viele versuchen, genau das zu verhindern.

Das Ende kann meiner Meinung nach so stehen bleiben: Der Roman endet sehr plötzlich und lässt die Frage offen, ob Follett noch eine Fortsetzung plant. Ich persönlich hoffe es nicht: Ich schätze den Spielraum für Spekulation, wie es den einzelnen Personen nach Ausbruch des Krieges ergehen wird. So manche könnte es aber stören, dass es keinen richtigen "Abschluss" für einige Charaktere gibt.

Alles in allem ein guter Roman, dem ich 3 von 5 Sternen gebe. Etwas zu lang(atmig) um wirklich mitreißend zu sein, aber nicht so schlecht, dass ich vom Lesen abraten würde. Wer genug Zeit hat und sich auf eine solche Geschichte einlassen will, wird mit diesem Roman eine solide Lektüre finden. Wer einen superspannenden Thriller erwartet, kann aber enttäuscht werden. 

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