Wenn ein Roman in immer wieder ähnlichen Variationen kopiert wird, so spricht das zunächst einmal für ihn. Die Tuchvilla ist so ein Roman: In einem herrschaftlichen Haus einer alteingesessenen Familie geht es um Liebe, Schicksal und Familiengeheimnisse.
Die Schokoladenvilla, das Weingut, die Villa an der Elbchaussee, das Rosenpalais - seit die Tuchvilla-Trilogie 2014 erschien, gab es viele Bücher, die in ihre Fußstapfen treten wollten. Einige davon sind erstaunlich gut, doch wie immer gilt: Das Original ist nur schwer zu überbieten, gerade wenn man es als erstes gelesen und dadurch von diesem speziellen Genre der Familiensagas begeistert wurde.
Dabei ist es strittig, ob die Tuchvilla tatsächlich als DAS Original bezeichnet werden kann, denn auch hier hat sich die Autorin Anne Jacobs wiederum vermutlich eines Vorbildes bedient: Serien wie Downtown Abbey erzählen genau wie die Tuchvilla vom prunkvollen Leben in alterwürdigen englischen Häusern, von den Geheimnissen der Herrschaften und den Sehnsüchten der Dienstboten.
Anne Jacobs jedoch kommt das Verdienst zu, mit der Tuchvilla solche Geschichten in ein deutsches Setting zu transferieren, noch dazu nach Augsburg. Hier kommt die junge Waise Marie 1913 als Haushaltshilfe in das Anwesen eines Augsburger Stofffabrikanten. Schnell bekommt sie Einblick in den imposanten Haushalt der Familie Melzer, der in Augsburg auch als Tuchvilla bezeichnet wird: Nicht nur die Dienstboten haben ihre Geheimnisse, Probleme und Liebschaften, auch die drei Kinder des Tuchhändlers müssen ihren Weg im Leben finden. Da ist Paul, der die Firma einmal erben soll, mit seinem Vater aber immer wieder im Streit steht und scheinbar ein besonders Interesse für Marie entwickelt. Seine Schwester Katharina ist hübsch und verträumt, interessiert sich aber nicht fürs Heiraten, sondern will Malerin werden. Und die dritte, Elisabeth, hat dagegen nichts von der Schönheit ihrer Schwester, wünscht sich aber nichts mehr als eine Hochzeit, auch wenn sich scheinbar kein Mann für sie interessiert.
Abgesehen davon, dass Marie ein Geheimnis mit sich bringt, das die Tuchvilla auf den Kopf stellen wird, gibt es auch kleinere Geplänkel unter den Dienstboten. Und schließlich steckt auch die Tuchfabrik in finanziellen Schwierigkeiten, während sich der Erste Weltkrieg ankündigt, der die bisher herrschenden, starren gesellschaftlichen Strukturen auf den Kopf stellen wird.
All dies wird von Anne Jacobs wirklich gut erzählt: Immer wieder wechselt sie die Perspektive und erzählt die Geschichte abwechselnd aus der Sicht der Dienstboten und der Fabrikantenfamilie Melzer. Diese Gegensätze machen die Erzählung nicht nur spannend, Anne Jacobs schafft es zugleich auch so gut zu erzählen, dass die Handlung trotz der vielen Perspektiven stets übersichtlich bleibt.
Natürlich könnte man der Tuchvilla auch einige Schwächen vorwerfen: Die Handlung ist teilweise stark vorhersehbar. Und natürlich ist das Buch auch vollgepackt mit Stereotypen, wie etwa der träumerischen Katharina und ihrer missgünstigen Schwester, Pauls Gunst für Marie und so weiter. Wer aber Bücher dieses Genres liest, sollte auf solche Konstellationen vorbereitet sein, da sie einfach dazugehören.
Die Tuchvilla wird in zwei weiteren Bänden fortgesetzt, die die Geschichte der Familie Melzer während und nach dem Ersten Weltkrieg erzählen. Die Dynamik vom ersten Band können sie leider nicht mehr entfalten, denn mit der Enthüllung von Maries Geheimnis im ersten Band verpufft diese. Sie führen aber erzählerisch konstant die Familiengeschichte weiter und verlängern so Band 1 für alle, die Gefallen an den Figuren der Tuchvilla gefunden haben.
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