Normalität und Fragilität
Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg
Die moderne Demokratie ist eine noch junge Erfindung. Sie war das politisch Neue, das Charakteristische und Dynamische des Zeitalters nach dem Ersten Weltkrieg. In diesen Jahrzehnten wurde Demokratie zur Normalität, zur umfassenden Regierungs- und Lebensform, deren Ablösung undenkbar schien. Und diese Entwicklung fand in vielen, vor allem in europäischen Gesellschaften gleichzeitig statt.
Historikerinnen und Historiker aus zahlreichen europäischen Ländern und aus Amerika befassen sich in diesem Band mit Kernfragen der vergleichenden Demokratieforschung: mit der gesellschaftlichen Akzeptanz der Demokratie, der Vielfalt ihrer Ausdrucksformen in Politik und Alltagsleben oder der Ausbildung eines dauerhaften demokratischen Erwartungshorizonts. Sie gehen der Frage nach, wie die Demokratie selbstverständlich wurde und es auch in existenziellen Krisen blieb - und warum sie dennoch in einigen Fällen zerstört wurde. In der Zusammenschau werden die transnationalen Gemeinsamkeiten und Gleichzeitigkeiten sichtbar, aber auch die durch die nationalen Kontexte bedingten Unterschiede.
Deutlich zeigt sich mit der Normalität zugleich das Brüchige dieser Ordnung, die Notwendigkeit, demokratische Grundlagen immer wieder aufs Neue zu sichern; Demokratie ist stets doppelgesichtig, geprägt sowohl von Instabilität und Stabilität, von Fragilität und Kreativität. Wenn heute die Fragilität der Demokratie wieder in den politischen Horizont rückt und von "gefährlichen Zeiten" für die Demokratie die Rede ist - dann bietet der Blick zurück in die Epoche, in der die Demokratie zur Normalität wurde, aber diese Normalität nicht ohne Fragilität zu denken war, erstaunliche Erkenntnisse auch für die heutige Zeit.
Tim B. Müller ist Historiker am Hamburger Institut für Sozialforschung. Er studierte Geschichte und Philosophie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und der Cornell University, Ithaca, New York. Seit 2007 ist er Redaktionsmitglied der "Zeitschrift für Ideengeschichte". In der Hamburger Edition erschienen zuletzt seine Monografien "Nach dem Ersten Weltkrieg. Lebensversuche moderner Demokratien" und "Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg", das mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde.
Adam Tooze ist Professor für Geschichte und Direktor des European Institute an der Columbia University. Er lehrte Wirtschaftsgeschichte an der University of Cambridge und war von 2009 bis 2015 Professor für moderne Geschichte und Ko-Direktor des International Security Studies-Programms an der Yale University. Er gehört den beiden unabhängigen Historikerkommissionen an, die vom Bundesministerium der Finanzen und vom Bundesministerium der Wirtschaft eingesetzt wurden, um die Geschichte und besonders die NS-Verstrickungen dieser beiden Ministerien aufzuklären.
Tim B. Müller | Adam Tooze
Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg
I Konstellationen, Kontinuitäten und Konvergenzen
Adam Tooze
Ein globaler Krieg unter demokratischen Bedingungen
Hedwig Richter
Die Konvergenz der Wahltechniken und die Konstruktion des modernen Wählers in Europa und Nordamerika
Benjamin Schröder
Wer ist Freund, wer Feind?
Parteien und Wähler in politischer Unsicherheit
Laura Beers
Frauen für Demokratie
Möglichkeiten und Grenzen des zivilgesellschaftlichen Engagements
Andrea Rehling
Demokratie und Korporatismus - eine Beziehungsgeschichte
Philipp Müller
Neuer Kapitalismus und parlamentarische Demokratie
Wirtschaftliche Interessenvertreter in Deutschland und Frankreich
Moritz Föllmer
Führung und Demokratie in Europa
II Nationale Kontexte, Konflikte und Kontingenzen
Helen McCarthy
Das "Making" und "Re-Making" der demokratischen Kultur in Großbritannien
Ben Jackson
Keynes, Keynesianismus und die Debatte um Gleichheit
Jessica Wardhaugh
Demokratische Experimente in der politischen Kultur Frankreichs
Tim B. Müller
Demokratie, Kultur und Wirtschaft in der deutschen Republik
Philipp Nielsen
Verantwortung und Kompromiss
Die Deutschnationalen auf der Suche nach einer konservativen Demokratie
Stefanie Middendorf
Finanzpolitische Fundamente der Demokratie?
Haushaltsordnung, Ministerialbürokratie und Staatsdenken in der Weimarer Republik
Urban Lundberg
"Volksheim" oder "Mitbürgerheim"?
Per Albin Hansson und die schwedische Demokratie
Jeppe Nevers
Demokratiekonzepte in Dänemark nach dem Ersten Weltkrieg
Johanna Rainio-Niemi
Die finnische Demokratie in der Zwischenkriegszeit
Elisabeth Dieterman
Demokratische Perspektiven in den Niederlanden der 1930er Jahre
Andrea Orzoff
Das Personal und das Vokabular der Demokratie
Die Erste Tschechoslowakische Republik
Till Kössler
Demokratie und Gesellschaft in Spanien
Populäre Vorstellungen der Zweiten Republik 1931-1936
Jason Scott Smith
Der New Deal als demokratisches Projekt
Die Weltwirtschaftskrise und die Vereinigten Staaten
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- Artikel-Nr.: SW164391.1