Die Kunst der Kürze

Leitfaden zum Schreiben spannender Kurzgeschichten

Leitfaden zum Schreiben spannender Kurzgeschichten Ob Witz, humorvolle, fantastische, kriminalistische Geschichte oder Lovestory – eine Kurzgeschichte zu schreiben ist eine Kunst für sich. Dieser Ratgeber beschreibt Schritt für Schritt, wie eine Story vom ersten Satz an aufgebaut wird, geht auf Genre-Besonderheiten ein und erläutert anhand von Beispielen, was eine gute Kurzgeschichte ausmacht. Ein Sonderkapitel geht auf das Schreiben von Storys für Literaturwettbewerbe ein. – Ein wichtiger Ratgeber für alle, die gern Storys schreiben oder es lernen wollen. 1. Kennzeichen der Kurzgeschichte Das Wichtigste: Jede Geschichte (im literarischen... alles anzeigen expand_more

Leitfaden zum Schreiben spannender Kurzgeschichten

Ob Witz, humorvolle, fantastische, kriminalistische Geschichte oder Lovestory – eine Kurzgeschichte zu schreiben ist eine Kunst für sich. Dieser Ratgeber beschreibt Schritt für Schritt, wie eine Story vom ersten Satz an aufgebaut wird, geht auf Genre-Besonderheiten ein und erläutert anhand von Beispielen, was eine gute Kurzgeschichte ausmacht. Ein Sonderkapitel geht auf das Schreiben von Storys für Literaturwettbewerbe ein. – Ein wichtiger Ratgeber für alle, die gern Storys schreiben oder es lernen wollen.



1. Kennzeichen der Kurzgeschichte



Das Wichtigste: Jede Geschichte (im literarischen Sinn), ob kurz oder lang, ob Kurzgeschichte oder Roman, soll unterhalten. Sie soll eine wahre oder erfundene Begebenheit erzählen, die interessant, spannend, gruselig, lustig, satirisch, „boshaft“ oder ergreifend ist und die Lesenden, Zuhörenden oder bei Film- und Theatergeschichten Zuschauenden vorübergehend den Alltag vergessen lassen. Alle Texte, die dieses Kriterium nicht erfüllen, sind keine Geschichten. Aus diesem Grund gelten z. B. Tagebucheintragungen, Reiseberichte, erzählte Lebensläufe oder Berichte über das Tagesgeschehen nicht als Geschichten, auch wenn man eine oder mehrere daraus entwickeln könnte. (Mehr dazu in Kapitel2.)

Eine Kurzgeschichte wirft ein Schlaglicht auf ein einschneidendes oder anderweitig wichtiges Erlebnis der Hauptperson und schildert nur dieses Erlebnis sowie alles, was unmittelbar damit zusammenhängt und für die Handlung wichtig ist. Stellen Sie sich ein Spotlight auf der Bühne vor. Dieses „Punktlicht“ beleuchtet ausschließlich einen relativ kleinen Bereich der gesamten Bühne. Das Publikum kann wegen der Helligkeit des Spotlights, das die Umgebung ausblendet, nur den Ausschnitt des Bühnenbildes sehen, der sich innerhalb dieses Lichtkreises befindet. Mehr sollen die Zuschauenden in diesem Moment ganz bewusst nicht sehen, weil sie sich nur auf das Geschehen in diesem Lichtkegel konzentrieren sollen. Die Kurzgeschichte ist das Spotlight der Literatur. Mehr als das, was ihr „Lichtkreis“ beleuchtet, liegt „außerhalb“ der Story und ist deshalb für sie unwichtig.

Wie der Wortteil „kurz“ in der Gattungsbezeichnung dieser Literaturart bereits aussagt, sollte eine Kurzgeschichte (englisch „Short Story“) so knapp geschrieben sein, dass man sie – von situationsbedingten unvorhergesehenen Störungen abgesehen – in einem Rutsch durchlesen kann. Zwar gibt es kein verbindliches Maß über die Zeitdauer dieses „Rutsches“, unter anderem, weil Menschen unterschiedlich schnell lesen (und unterschiedlich lange Mittagspausen haben). Aber länger als höchstens eine Stunde sollten in normalem Tempo Lesende nicht benötigen. Das sind, umgerechnet in durchschnittlich große Buchseiten (ca. 12 x 19 cm = Taschenbuchformat) mit durchschnittlich großer Schrift (Größe = ca. 12 Punkte), etwa fünfzehn bis zwanzig Seiten. Grundsätzlich gilt für die Kurzgeschichte: Je kürzer, desto besser.

Darüber hinaus gibt es grundlegende Merkmale, die nicht nur Kurzgeschichten charakterisieren, sondern jeden belletristischen Text:

1. Mit einer (Haupt)Person (oder mehreren Personen) geschieht etwas, sei es, dass sie selbst etwas tut, erlebt oder erleidet. „Person“ ist hier im weitesten Sinn gemeint, denn eine der Figuren kann oder alle können auch Tiere, Außerirdische, ein personifizierter Gegenstand und sogar ein abstrakter Begriff sein. So gibt es z. B. unzählige Storys, in denen der Tod (abstrakter Begriff) als Person auftritt.

2. Jede Geschichte beinhaltet einen Konflikt (im weitesten Sinn) oder eine Aufgabe (ebenfalls im weitesten Sinn), die die Hauptfigur lösen/bewältigen muss (auch wenn sie am Ende damit scheitert oder der Konflikt nur „zwischen den Zeilen“ steht).

3. Jede Geschichte präsentiert eine Entwicklung der Hauptfigur, die ihrem Leben und/oder ihrer Einstellung eine neue, mehr oder weniger folgenschwere Richtung gibt, auch wenn die sich nur auf die Bewältigung der aktuellen Situation bezieht. Das gilt zumindest für Texte, die für eine deutsche Leseklientel geschrieben sind, weil diese das aufgrund der Entwicklung/Entstehung der Kurzgeschichten (siehe oben) in unserem Land erwarten.

4. Jede Geschichte hat einen Sinn, ein Ziel, auf das die gesamte Handlung hinausläuft. Bei Kurzgeschichten ist das in der Regel gleichzeitig ihr Höhepunkt.

5. Jede Story enthält eine Botschaft, aus der die Lesenden etwas lernen, etwas „mitnehmen“ können, nach der Absicht der Autorinnen/Autoren vielleicht auch lernen sollen; die ihnen Hoffnung gibt, Mut macht oder die sie zum Nachdenken anregt. Ausnahmen gibt es ab und zu bei Horrorstorys, deren einziger Sinn es ist, dass sich die Lesenden gruseln. Dennoch existieren auch viele Horror-/Gruselstorys, die eine Botschaft vermitteln. Oft lautet sie, dass ein Pakt mit dem Teufel (im weitesten Sinn) sich nicht lohnt und dass, wer so dumm ist, sich trotzdem darauf einzulassen oder glaubt, den Erz-Trickser austricksen zu können, das Nachsehen hat. Auch Humoresken enthalten oft eine Botschaft, denn schon immer war der Humor ein Mittel, um z. B. Missstände anzuprangern oder Regimekritik zu üben. (Man denke an die sprichwörtliche „Narrenfreiheit“ der früheren Hofnarren, die als Einzige ungestraft den König kritisieren durften, sofern sie die Kritik in satirische Texte, Lieder oder Pantomimen verpackten.) Dies gilt, wie gesagt, für deutsche Kurzgeschichten. In manchen Ländern, besonders den USA und Großbritannien, werden viele Geschichten nur als Unterhaltung ohne tieferen Sinn und ohne Botschaft geschrieben.



Eine reine Aufzählung von Tätigkeiten oder Erlebnissen ist keine Geschichte im literarischen Sinn. Doch gerade diese Grundbedingung lassen viele Anfängerinnen und Anfänger außer Acht und schreiben Texte „ohne Sinn“ wie diesen:

Ein toller Abend

Sarah kam nach einem langen Arbeitstag erschöpft nach Hause und freute sich auf das Treffen mit ihrem Freund am Abend. Sie nahm ein Bad, machte sich schick, zog ihr neues Kleid an und hoffte, dass es Lukas ebenso sehr gefiele wie ihr. Während sie auf ihn wartete, erinnerte sie sich daran, wie sie ihn kennengelernt hatte. Sie hatte ihren Hausschlüssel verloren und Lukas war der Mann, den der Schlüsseldienst geschickt hatte, um ihr aus der Patsche zu helfen. Zwischen ihnen hatte es sofort gefunkt. Seitdem waren sie ein Paar und trafen sich jeden Tag.

Als Lukas kam, blickte er sie bewundernd an. „Toll siehst du aus“, stellte er fest. „Das passt perfekt für den heutigen Abend.“

„Wohin willst du mich denn entführen?“

Lukas lächelte. „Lass dich überraschen.“

Er fuhr mit ihr zu einem Lokal außerhalb der Stadt, wo Sarah noch nie gewesen war. Sie aßen dort zu Abend. Lukas bestellte sich ein Steak, Sarah wählte die Medaillons. Sie schmeckten hervorragend. Anschließend tranken sie einen leckeren Wein. Danach tanzten sie und tanzten, bis das Lokal um Mitternacht schloss.

Lukas fuhr Sarah nach Hause. „Ich hoffe, es hat dir gefallen“, vergewisserte er sich, bevor er sich verabschiedete.

„Oh ja“, bestätigte Sarah. „Das sollten wir unbedingt wiederholen. Denn das war ein ganz toller Abend, und dafür danke ich dir von Herzen!“

Das ist keine Geschichte, sondern – trotz der darin enthaltenen wörtlichen Rede – nur eine Aufzählung von nacheinander erfolgten Ereignissen. Der Text enthält keinen Konflikt und auch keine (charakterliche) Entwicklung der Hauptperson (Sarah). Etwas Außergewöhnliches passiert ebenso wenig. Außerdem können wir davon ausgehen, dass der „tolle Abend“ weder der Erste noch der Letzte seiner Art war und deshalb etwas Normales und nichts Besonderes ist. Eine „Botschaft“ an die Lesenden enthält der Text ebenfalls nicht. Sein Inhalt in einem einzigen Satz zusammengefasst lautet: „Sarah verbrachte einen tollen Abend mit ihrem Freund Lukas.“ Doch das ist kein „Stoff“ für eine literarische Geschichte.



Mara Laue (Jahrgang 1958) begann im Alter von 12 Jahren mit dem Schreiben. Seit 1980 wurden ihre Kurzgeschichten und Gedichte in Anthologien und Fanzines sowie verschiedene Sachartikel zu diversen Themen veröffentlicht. Seit 2005 lebt und arbeitet sie als Berufsschriftstellerin und freie Künstlerin am Niederrhein. Die vielseitige Autorin schreibt neben Krimis auch Science Fiction, Fantasy- und Horrorromane, Liebesromane, Lyrik und Theaterstücke. Sie verfasst die fortlaufenden Serien „Mission Phoenix“, „Sternenkommando Cassiopeia“ und „Schattenwolf“ für verschiedene Verlage. Nebenbei unterrichtet sie kreatives Schreiben in Workshops und Fernkursen. Sie ist Mitglied bei den „Mörderischen Schwestern – Vereinigung deutschsprachiger Krimiautorinnen e.V.“, „PAN – Phantastik Autoren Netzwerk e.V.“ und bei „DELIA – Vereinigung deutschsprachiger Liebesroman-Autorinnen und -Autoren“.

Im Jahr 2012 gewann sie ein Tatort-Töwerland-Literaturstipendium für den Kriminalroman „Brocksteins letzter Vorhang“ (Prolibris Verlag) und erreichte eine Platzierung beim „Sauerländer Theaterstückepreis“ für das sozialkritische Stück „Abgestürzt“ (adspecta Theaterverlag).

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